Das hatte den Vorteil, dass ich in Ruhe Lesen und Meditieren konnte. Der Nachteil war, dass sie nicht zu bewegen war, das Haus zu verlassen, bevor nicht alles „in Ordnung“ war. Da sie auch dank der Inspiration durch Anja eine sensationelle Köchin war und mir täglich die besten und ausgefallensten Mahlzeiten kochte, war auch das zu verschmerzen. Nicht zu ertragen war allerdings ihre Unlust, zu reisen oder sich kulturell zu betätigen.
Ich bin auch nicht gerade der große Theaterfreak, aber ab und an eine gute Aufführung ist eine ebenso willkommene Abwechslung für meinen danach dürstenden Geist wie eine Städtereise am Wochenende. An Marias Seite darbte er.
Außerdem war ich ungeheuer verwöhnt durch den täglichen Umgang mit teilweise blitzgescheiten Ganoven. Mir fehlten der witzige Schlagabtausch, das Lachen und der Esprit dieser Männer. Am meisten aber sehnte ich mich nach der Intensität des Seins im Knast, so dass sich in mir eine völlig ungewöhnte Unruhe bemerkbar machte, die ich durch ausgedehnte Bergwanderungen vergeblich zu kompensieren versuchte.
Doch es gab immer wieder Highlights, nach denen sich ein „Normalsterblicher“ die Finger geleckt hätte. Zum Beispiel unsere ersten Weihnachten in dem Bergbauernhof. Anja war eng befreundet mit Marias ehemaligem Chef, dem Inhaber des berühmtesten Münchner Feinkosthauses. Deshalb erlaubte sie ihm, für seine besten Kunden eine Weihnachtsfeier in ihrem Wohnzimmer zu arrangieren, das wegen seiner exklusiven, aber dennoch urgemütlichen Einrichtung regelmäßig in allen Einrichtungsjournalen der Welt abgebildet wurde.
Der Feinkostkönig rückte mit einer Brigade an, die neben dem Haus ein Zelt mit einer kompletten Küche aufstellte. Die auserwählten Gäste fuhren mit dem gläsernen Zug von München nach Garmisch, wurden am Bahnhof mit Pferdeschlitten abgeholt und zu uns hochgefahren. Dort hatten sich inzwischen Alphornbläser in ihrer Werdenfelser Tracht zu ihrem Empfang aufgestellt. Während unten im Wohnzimmer die Gäste in bester Stimmung am Tisch tafelten, lagen wir oben gemütlich im Bett, an das uns ein Kellner die im Zelt frisch zubereiteten Gänge des feinen Menüs inklusive der Getränke brachte, und draußen die Alphornbläser weihnachtliche Weisen bliesen.
Während ich diese einmalige Situation und Stimmung aus vollem Herzen genoss, konnte Maria nicht damit umgehen, dass ich sie gebeten hatte, im Bad zu verschwinden, während der Kellner uns die Teller im Bett arrangierte. Da sie jahrelang für dieses Feinkosthaus gearbeitet hatte, kannte sie jeder Mitarbeiter. Ich wollte vermeiden, dass man sie erkannte und wir schon wieder in den Schlagzeilen des Münchner Boulevards auftauchen würden.
Nicht nur deswegen maulte sie die ganze Zeit und nörgelte herum. Ich vermutete, dass ihr gerade bewusst geworden war, wen sie da geheiratet hatte. Und dass sie statt mit mir im Bett zu liegen, viel lieber bei ihren ehemaligen Kollegen gewesen wäre und beim Service mitgeholfen hätte. Nicht zum ersten Mal fing ich an zu zweifeln, ob es wirklich so klug gewesen war, sie zu heiraten.
Dieser Gedanke vertiefte sich, als ich erlebte, wie sie Auto fuhr. Nach etwa sechzig Fahrstunden, drei nervlich verschlissenen Fahrlehrern und zwei leichten Blechschäden hatte sie endlich ihre Führerscheinprüfung bestanden.
Um sie ans Fahren zu gewöhnen, bot ich ihr an, sich entweder den Jaguar, den Range Rover oder den Porsche für eine erste Fahrt auszuwählen. Sie entschied sich für den Porsche, weil er der kleinste war. Dasss er der PS-Stärkste und eine echte Rakete war, übersah sie geflissentlich. Ich unterließ es, sie darauf hinzuweisen, fuhr selbst den Berg hinunter und auf einem Parkplatz neben der breiten Bundesstraße nach Mittenwald ließ ich sie ans Steuer. Wie sie es gelernt hatte, justierte sie sorgfältig den Sitz und den Außenspiegel, startete den Motor und fuhr los, als weit und breit kein anderes Auto zu sehen war. Schon nach wenigen Sekunden erreichten wir die Höchstgeschwindigkeit: 40 km/h. Ich sagte nichts und ließ sie gewähren. Aber als sich nach einigen Kilometern hinter uns eine lange Schlange bildete, riet ich ihr sanft, sie möge doch bitte etwas beschleunigen. Ein Porsche, der auf einer völlig freien Landstraße mit 40 km/h dahin schleicht, sei etwas merkwürdig. Vorsichtig gab sie Gas. Die 328 PS ließen den Wagen davon schießen wie eine Rakete. Entsetzt trat sie voll in die Bremsen, stellte den Porsche quer und würgte den Motor ab. Ich knallte gegen die Windschutzscheibe. Selbstverständlich schnalle ich mich niemals an, wegen der Freiheit und so. Leicht gereizt rieb ich mir meine schmerzende Stirn, an der sich eine nicht unbeträchtliche Beule gebildet hatte.
Wir blockierten beide Spuren der Fahrbahn. Ich riet ihr, den Gang herauszunehmen und erneut zu starten. Die anderen Verkehrsteilnehmer sind nicht besonders tolerant, wenn am Steuer eines Porsches ein absoluter Anfänger sitzt, der auch noch eine bildschöne Blondine ist. Die ersten Hupen ertönten. Maria wurde nervös und meinte, ich solle das Steuer übernehmen.
„Ich denke nicht daran. Du sollst fahren lernen, darum geht es.“
Ihr Blick verriet aufsteigende Panik. Und aufsteigenden Hass. Nach einigen Fehlversuchen gelang es ihr, den Motor zu starten, den Wagen gerade zu stellen und los zu fahren. Mit 30 km/h. Die Fahrer hinter uns konnten nicht überholen, weil sich auch auf der Gegenfahrbahn wegen unseres Querstellens und Marias Rangierens eine lange Schlange gebildet hatte. Ein ohrenbetäubendes Hupkonzert setzte ein. Mir wurde es zu bunt. Ich beugte mich zu ihr hinüber und drückte ihr Knie nach unten. Ihr Fuß wurde aufs Gaspedal gepresst und der Porsche raste los. Sie wurde leichenblass und schrie: „Mit dir fahre ich nie wieder.“
Ich hielt ihr Knie eisern fest und zwang sie, 100 km/h zu fahren. Auf schnurgerader, freier Strecke. Sie fing an, mich aufs Übelste zu beschimpfen.
„Wenn du bremst, fliegst du von der Straße“, sagte ich ruhig.
Sie war so voller Panik, dass sie mir glaubte. Verkrampft hielt sie sich am Lenkrad fest. Ohne Probleme schaffte sie es bis zum nächsten Parkplatz. Dort ließ ich sie von der Straße abbiegen. Ich beugte mich zu ihr rüber und gab ihr einen sanften Kuss, weil ich sie belohnen wollte, dass sie acht Kilometer unfallfrei gefahren war. Aber sie war völlig außer sich, sprang aus dem Auto und schluchzte hemmungslos.
In diesem Moment wurde mir klar, dass unsere Ehe nicht gut gehen würde. Der Knast hatte mich zu sehr romantisiert und meine Schärfe der Wahrnehmung getrübt. Ich war täglich mit der Aufrichtigkeit und Authentizität meiner Knastbrüder konfrontiert gewesen und musste mich erst wieder an die verlogenen Spiele und dem hinter dem Berg Halten der Menschen hier „draußen“ gewöhnen. Wie konnte es mir sonst entgangen sein, dass Maria ihr Leben in ganz engen Bahnen gelebt hatte? Ich hatte mir eingebildet, so was wie eine feine Version der völlig durch geknallten Uschi Obermeier, der Ikone der 68er, erwischt zu haben. Stattdessen hatte ich eine kleinbürgerlich denkende, angstbesetzte Persönlichkeit geheiratet, der Sicherheit und Ordnung über alles ging. Die jedes Risiko und jede neue Erfahrung scheute wie der Teufel das Weihwasser.
Endgültig warf ich meine Theorie über Bord, dass eine schöne Frau auch innerlich makellos sein muss. Wie innen so außen passte einfach nicht bei Frauen. Sokrates hatte sich geirrt mit seiner Theorie der Verbindung von Schönheit und dem Guten. Dieses Häufchen Elend am Straßenrand war von meinem Ideal einer ebenbürtigen Partnerin Lichtjahre entfernt. Völlig unbrauchbar für mein wildes Leben, in dem es mir letztendlich darum ging, mein wahres Selbst im Sinne des delphischen Orakels kennenzulernen. Indem ich nicht nur meditieren, sondern auch in den Extremen des Seins meine Belastbarkeit und meine Grenzen erfahren wollte. Aber konnte ich das überhaupt jemanden an meiner Seite zumuten? Sagen nicht alle Erleuchteten, dass man den letzten Teil des Weges zur Selbsterkenntnis alleine beschreiten muss? Gehe in die Wälder oder Berge und lass alles hinter dir? Ohne Frau oder sonstige Bindungen?
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