Dabei fing alles so gut an. Allein, wie wir diesen einmaligen Platz zum Leben gefunden hatten. Während meiner Haft hatte ich in einem „GEO“ gelesen, dass die ideale Lebenshöhe für den Menschen auf 1200 m liegt. An einem Wochenende, an dem ich Hafturlaub hatte, war ich deswegen mit Maria nach Garmisch gefahren, um mir die Berge aus der Nähe anzuschauen. Wir fuhren weiter Richtung Mittenwald, als ich plötzlich eine kleine Straße von der Bundesstraße abzweigen sah, die offensichtlich bergauf führte.
Ich liebe Nebenstrecken, also bog ich ohne zu zögern ab. Es ging anfangs noch auf geteertem Grund bergauf, dann aber wurde es staubig und steinig. Maria sah mich von der Seite mit diesem „Was-soll-das-denn-jetzt?“ – Blick an, aber ich ließ mich nicht beirren. Meine innere Stimme sagte mir, fahr weiter.
Wir erreichten ein kleines Plateau, auf dem drei Häuser standen. Eins entpuppte sich als ein bewirtschaftetes Gasthaus, eine Alm, wie die Bayern sagen. Daneben stand ein ganz gewöhnliches Wohnhaus im Jodlerstil.
Der Hammer aber war das anscheinend uralte Holzhaus, das perfekt renoviert zu sein schien und um das herum liebevoll platzierte Details den auserlesenen Geschmack der Besitzer verrieten.
Besonders ein mit Rosenstöcken bewachsener Pavillon fiel mir ins Auge, der neben einer mit Holzdielen ausgelegten Terrasse stand, auf der teure Teakholzmöbel verrieten, dass hier auch Geld vorhanden war. Das für mich Beeindruckendste war jedoch der Ausblick auf das höchste Kirchendorf Deutschlands auf der anderen Seite des Tales, hinter dem sich das Wendelsteinmassiv erhob, überragt von der Zugspitze.
Wir ließen uns auf einer Almwiese unterhalb dieses Traumanwesens nieder und ich öffnete eine mitgebrachte Flasche Champagner.
„Das wäre doch was, in dem Haus zu wohnen und mit diesem Blick jeden Morgen aufzuwachen, findest nicht?“ fragte ich Maria und prostete ihr zu.
Maria, die einen Großteil ihres Lebens in Sylt und St. Moritz an den Bars der In-Discos und - Clubs gearbeitet hatte und den Trubel und das turbulente Leben in der Stadt liebte, sah mich misstrauisch an. Aber dann hakte sie den Satz als eine für einen Mann übliche Spinnerei ab und zuckte die Achseln. Sie hatte allerdings keine Ahnung, wozu ich fähig war. Ich hatte einen Wunsch an das Universum gesandt und zu jener Zeit hatte ich noch den direkten Draht.
Kurz vor Weihnachten kam ich auf die Idee, meinen Weihnachtsurlaub mit Maria in Garmisch zu verleben. Deshalb bat ich einen Mithäftling, der aus Garmisch stammte, mir einen Prospekt von Ferienwohnungen mitzubringen, von denen ich eine für die Feiertage mieten wollte.
Tatsächlich brachte er mir eine Broschüre mit. Mir fielen vor Überraschung die Augen aus dem Kopf, als ich sie öffnete: Ich sah ein Bild dieses wunderschönen alten Bauernhauses. Und es gab darin eine Ferienwohnung, die hier angeboten wurde. Der Preis war astronomisch, aber das war mir egal. Ich schrieb Maria, sie solle unbedingt dort anrufen und die Wohnung buchen. Und nachfragen, ob wir sie eventuell für länger mieten könnten.
Wenige Tage später besuchte sie mich und erzählte mir ganz aufgeregt, dass die Eigentümerin des Hauses eine enge Freundin ihres Chefs sei. Sie habe schon am Telefon gemerkt, dass sie sich hervorragend verstehen würden. Daraufhin sei sie nach Garmisch gefahren und habe sich mit ihr getroffen. Sie seien zu dem Haus gefahren und es sei innen noch schöner als von außen.
„Und“, fragte ich sie aufgeregt, „können wir die Wohnung haben?“
Sie fiel mir um den Hals.
„Ja, sie gibt sie uns. Aber sie kostet …“, und sie nannte einen Preis, für den ich eine Villa in Grünwald, dem Nobelviertel im Speckgürtel Münchens, hätte mieten können.
„So what“, dachte ich. „Dafür sparst du viel Geld, weil du die Ebene des sogenannten Jetsets verlassen hast und gegen wirkliche Lebensqualität eintauscht. Irgendwie sehr interessant, dass du für ein Leben in einem Bergbauernhof genauso viel zahlst wie für eine Villa in München.“
„Macht nichts, miete sie“, sagte ich zu Maria.
„Was ist mit meinem Job? Wenn wir dort leben, kann ich unmöglich weiter arbeiten.“
„Den gibst du selbstverständlich auf. Ich glaube, wir haben uns beide eine Auszeit verdient, meinst du nicht?“
Maria sah mich nachdenklich an. Dann nickte sie zögernd.
„Also gut. Ich werde die Wohnung mieten und meinen Job aufgeben.“
Spontan nahm ich sie in den Arm. Ich dachte nicht weiter darüber nach, dass sie gerade eine Entscheidung getroffen hatte, die ihr bisheriges Leben auf den Kopf stellte. Naiv dachte ich, dass ich endlich meine „Elaine Robinson“ gefunden hatte, die die Kirche mit mir verlässt und mit dem Bus davon fährt. Ich hatte keine Ahnung, dass Maria einfach die Schnauze voll hatte und keine Perspektive mehr in ihrem Job an der Bar des besten Feinkosthauses in München sah.
Sie war sehr früh von Zuhause weggegangen und hatte sich alleine durchs Leben gekämpft. Dabei hatte ihr ihre fast übernatürliche Schönheit viele Türen geöffnet, aber sie hatte niemals daraus Kapital geschlagen. In jener Zeit, in der sie als Bardame in Gunter Sachs´ „Dracula Club“ in Sankt Moritz arbeitete, hatten sie zahllose sehr reiche Männer umschwirrt wie die Motten das Licht. Sie hatte jedoch stets zugunsten von armen Schluckern verzichtet, weil sie sich vor den erfolgreichen, selbstbewussten Männern fürchtete. Ihr Ziel war es gewesen, eines Tages genau an der kleinen, aber feinen Bar des Feinkosthauses zu arbeiten.
Das war ihr gelungen, obwohl sie den etwas zwielichtigen Ruf einer Nacht-Bardame hatte. Der Chef des Hauses war von ihr begeistert gewesen, als er sie kennenlernte, und hatte sie trotz der Bedenken seiner Geschäftsführer eingestellt. Da Maria eine ungeheure Erfahrung, Kompetenz und Souveränität im Umgang mit Menschen hatte, wurde die Bar ein echter Renner. Doch diese Fähigkeiten waren wie weggeblasen, wenn sie nicht die sichere Barriere des Tresens vor sich hatte, der ihr wie eine Zugbrücke Schutz vor der Nähe zu ihren Gästen bot. Sie war eine Frau, die diesen Schutz, zu dem auch ihre absolute finanzielle Unabhängigkeit gehörte, brauchte wie die Luft zum Atmen.
Genau die warf sie gerade über Bord – und ich merkte es nicht. Für mich war es vollkommen normal, dass meine Frau nicht arbeitete. Wozu sollte sie? Ich war jederzeit in der Lage, ein überdurchschnittliches Einkommen zu erzielen, das für ein luxuriöses Leben zu zweit ausreichte. Außerdem hatte ich ausreichend Reserven.
Aber ich hatte noch nie von Otto Mainzer und seinen Thesen über die „sexuelle Zwangswirtschaft“ gehört und keine Ahnung, dass eine solche Basis das Ende jeder Lust, Leidenschaft und Liebe bedeutet.
„Wunderbar, dann werden wir deine Wohnung in München vermieten“, sagte ich leichthin.
Sie sah mich mit ihren schönen braungrünen Augen undurchdringlich an.
„Wie du meinst.“
„Und einen Mieter habe ich auch schon: Meinen Freund Gus“, fuhr ich fort. „Er sucht eine Wohnung.“
Maria nickte langsam.
„Gute Idee“, sagte sie mit leiser Stimme.
Ich verstand nicht, dass ich von ihr verlangte, nicht nur ihr bisheriges Leben substanziell zu verändern, ihre sämtlichen mühsam aufgebauten Schutzzonen und sogar ihre geliebte Insel am Viktualienmarkt aufzugeben und sich mir auf Gedeih und Verderb auszuliefern. Wenn ich aus heutiger Sicht über ihre Persönlichkeit nachdenke, ist es unfassbar, dass sie damals einwilligte.
Maria verweigerte nämlich jede Weiterbildung, alles Neue war ihr suspekt. Mein Lebensstil eines Studenten auf hohem Niveau war ihr fremd. Ich ging spät zu Bett, schlief lange und hatte ständig neue Ideen, wie man den Tag verbringen könnte. Permanent zerstörte ich ihre selbst erzeugte tägliche Routine. Ohne diese war sie aber verloren. Sie wurde aggressiv und war keinen Argumenten mehr zugänglich. Maria hatte sich als eine Reinlichkeitsfanatikerin entpuppt, die täglich wie ein Derwisch durchs sowieso sehr saubere Haus fegte und mehrere Stunden mit Putzen verbrachte.
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