Geri Winkler
Sieben Welten – Seven Summits
Für Sylvia
Kein Horizont ist so fern,
dass wir ihn nicht erreichen könnten
Geri Winkler
Von großen Träumen und kleinen Schritten
Kapitel 1
ELBRUS – An Europas wilder Grenze
Wie alles begann
Zu Lenins vergessenen Erben
Kapitel 2
ACONCAGUA – Aus den Regenwäldern zum Berg der zornigen Winde
Diamanten, Ganoven und ein Hauch von El Dorado
Caribbean Ice
Kapitel 3
MOUNT VINSON – Eiswelten unter dem Kreuz des Südens
Stürmische Pforte der Weltmeere
Antarctica – Bergabenteuer in der weißen Unendlichkeit
Kapitel 4
CHOMOLUNGMA – Vom tiefsten Punkt der Erde auf den Gipfel des Mount Everest
Einleitung
Mit dem Rad vom Toten Meer in den Himalaya
Pfade zu den Bergen der Götter
Expedition Endpunkt
Kapitel 5
KILIMANDSCHARO – Im Rausch der Farben Afrikas
Perlen der Vergessenheit
Das weiße Dach Afrikas – der Weg als Ziel
Kapitel 6
NEMANGKAWI/CARSTENSZ-PYRAMIDE – Auf Wegen jenseits der Zeit
Bakopa und das Ende dieser Welt – Trilogie aus drei Jahrtausenden
Wald der Geister
Schneesturm am Äquator
Kapitel 7
DENALI/MOUNT MCKINLEY – Abenteuer unter der Mitternachtssonne
Auf den Spuren des Goldrausches
Himmelsleiter der Arktis
ANHANG
Besteigungsdaten
Nachwort
Dank
VON GROSSEN TRÄUMEN UND KLEINEN SCHRITTEN
Der kleine Junge, der von seinem Kinderzimmer auf die Zinnen der Götter blickt, in seinen frühen Tagen an Felsen herumkraxelt und später zu den Bergen der Welt aufbricht – nein, der bin ich nie gewesen. Ein Meer aneinandergereihter Häuserfronten in meiner Heimatstadt Wien und die Zerstreuungen städtischer Jugendlicher haben meinen Erfahrungshorizont geprägt.
Doch da war etwas gewesen, das schon in früher Kindheit meine Sehnsüchte weckte. Ich wünschte mir einen Globus. Ich saß vor aufgeschlagenen Atlanten, betrachtete die abstrakten Abbildungen fremder Welten und wusste, dass ich eines Tages dorthin aufbrechen werde.
Später habe ich die Liebe zu den Bergen entdeckt, hatte dann aber hart mit meiner Höhenangst zu kämpfen und konnte nie eine ansprechende Klettertechnik entwickeln.
Ein Bergsteiger bin ich eigentlich nie gewesen. Ein Reisender, der die Lebensformen fremder Völker, der die Wüsten, Meere, Wälder und auch die Berge ferner Länder erkunden will – das war mein Lebenstraum. Schon früh bin ich mit dem Rucksack in die Welt aufgebrochen, habe in klapprigen Bussen die Faszination des Fremden erlebt. Bald wollte ich mehr. Ich wollte mich nicht mehr darauf beschränken, mit öffentlichen Verkehrsmitteln von einem städtischen Zentrum zum nächsten zu gelangen. Fremde Länder zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu bereisen, das wurde für mich die intensivste Form der Begegnung, verbunden mit der größten Freiheit. Wochenlang wanderte ich durch abgeschiedene Täler und kleine Dörfer, erlebte die Bewohner in ihrer Ursprünglichkeit und bestaunte die zu beiden Seiten aufragenden Berge. Oft verhinderten einige Meter anspruchsvoller Kletterpassagen, dass ich zu ihren Gipfeln vordringen konnte. So fand ich in bescheidenem Ausmaß zum Klettern zurück – als Mittel zum Zweck, um auch die spektakulären Bergwelten in meine Reiseerlebnisse einfließen lassen zu können. Doch das alles sollte bald vorbei sein!
Als ich 1984 Diabetiker wurde, hat man mir vom ersten Tag an geraten, meine lang gehegten Reiseträume und meine erst kurz zuvor entflammte Bergleidenschaft für immer zu vergessen. Weiße Wände, weißes Bettzeug, die Sterilität des Krankenzimmers hatte mich gefangen genommen. Lautloses Grau meiner Gefühle! Tage, die so regelmäßig waren, dass sie in ihrer Gleichförmigkeit ihr Antlitz verloren, denen jede Farbe fehlte – mit solchen Tagen sollte ich künftig mein Leben verbringen. Nur in Büchern und Tagträumen folgte ich damals noch den aufregenden, oft zu Mythen verklärten Pfaden großer Abenteurer.
Hatte ich erahnen können, welch positives Wandlungspotenzial in einer chronischen Erkrankung verborgen liegen kann? Ich fand nach wenigen Jahren meinen individuellen Weg, meinen Diabetes in meine Lebensträume zu integrieren. Ich ging wieder auf Reisen, die langen Ferien gaben mir als Lehrer dazu ausreichend Möglichkeiten.
Jedes neue Reiseabenteuer steigerte mein Selbstbewusstsein, zu immer aufregenderen Zielen aufzubrechen. 1992 wanderte ich auf der Insel Neuguinea wochenlang mit drei Freunden auf Dschungelpfaden zu den Dörfern der dort steinzeitlich lebenden Urvölker, und es waren zum Teil neue, von Fremden bisher unbegangene Pfade. Der Bann war gebrochen! Der Aufbruch in ein Leben der Grenzenlosigkeit sollte keine Utopie bleiben, kein abgeschottetes Refugium, das nur den großen, bekannten Abenteurern vorbehalten ist.
Auch meine Bergleidenschaft erwachte zu neuem Leben. Doch das Bergsteigen blieb, was es immer für mich gewesen war: nie Ziel seiner selbst, stets Teil eines komplexen Reiseabenteuers. Auch meine Erlebnisse an den Seven Summits habe ich immer unter diesem Aspekt gesehen. Das vorliegende Werk ist daher kein Bergbuch im eigentlichen Sinn, es ist eine Reise in jene Welten, in der diese sieben faszinierenden Gipfel beheimatet sind.
Als ich 2004 an Krebs erkrankte, wusste ich, dass ich dieser neuen Herausforderung mit der gleichen Strategie begegnen werde, die auch nach meiner Diagnose Diabetes zum Erfolg geführt hatte. Die intensivsten Jahre meines Lebens sollten meiner erfolgreichen Krebsoperation folgen.
Schwierigkeiten? Es waren nie die letzten Schritte gewesen, die mich Überwindung kosteten. Es waren immer die ersten Schritte, die all meine Kräfte forderten – die ersten Schritte aus der Komfortzone des Alltags hinaus in ein unwägbares Abenteuer, die ersten Aktivitäten am Morgen in einem eisigen Zeltlager, die Momente vor dem Aufbruch. Danach, auf dem Weg, war alles viel leichter!
Wirklich ernst habe ich diese Aktion nicht genommen. Dass ich damit eine kleine Lawine in meinem Leben lostreten sollte, damit hatte ich wohl am allerwenigsten gerechnet. Aber alles der Reihe nach!
Der Frühling ließ die Großstadt wieder zum Leben erwachen, die warme Jahreszeit rückte näher und es war an der Zeit, Reisepläne für die Urlaubswochen reifen zu lassen. Ein Siebentausender soll es in diesem Sommer werden, darüber sind sich Thomas und ich schnell einig. Ein leichter Siebentausender, denn wir wissen, dass wir mit der Höhe noch genug zu kämpfen haben werden. Asienkarten, denn nur dort gibt es Siebentausender, nehmen den kleinen Tisch im Kaffeezimmer in Beschlag. Eine Idee nach der anderen sprudelt aus Thomas und mir heraus, während die mit ihren Kaffeetassen an den Rand gedrängten Kollegen bald nur noch die Köpfe schütteln. Was um alles in der Welt treibt diese Verrückten in der schönsten Jahreszeit in menschenfeindliche, eisige Höhen? Pik Lenin heißt unser erwählter Berggigant – Sommerurlaub in Zentralasien, mal etwas anderes!
Seit siebzehn Jahren bin ich Diabetiker, ohne mein Insulin kann ich nicht leben. Ob dies immer ein Nachteil sein muss? Ich will es wissen! So sende ich eine E-Mail an alle Unternehmen, die Blutzuckermessgeräte in Österreich vertreiben, biete an, ihre Geräte unter extremen Outdoor-Bedingungen zu testen, führe meinen Kumpel Thomas als nicht-diabetische Kontrollperson für Parallelmessungen an und verspreche großzügig umfangreiches Datenmaterial. Nun, ganz so großzügig ist mein Angebot doch nicht, schließlich denken wir an einen ergiebigen Reisezuschuss. Zu verlieren habe ich ja nichts! Nützt die Anfrage nichts, so kann sie auch nicht schaden! Ich drücke auf „Senden“ und vergesse die ganze Sache bald wieder. Wer soll sich schon für mich interessieren? Die Diabetiker-Kundschaft dieser Unternehmen strömt nicht gerade in Scharen auf Siebentausendergipfel, das Interesse der Firmenvertreter, wie ihre Produkte in eisigen Höhen funktionieren, wird wohl eher bescheiden sein.
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