»Zouzou, die Leute«, flüsterte ich ihr atemlos ins Ohr, und konnte es nicht verkneifen, ihr ins Ohrläppchen zu beißen.
»Ich mache eine Pipi auf die Leute, Frantschi«, sagte sie laut.
»Du machst was? – Zouzou, also bitte!«
»Eine Pipi! Ich zeige mit die Finger an die Gehirn und mache eine Pipi-Vögelchen!«
»Ein Pieps-Vögelchen«, sagte ich erleichtert, »ich dachte schon, du machst ein Pipi auf die Leute, wie Willy an die Radkappen der Autos.«
»Du hast eine Pipi, Frantschi, eine ganz große Pipi sogar. Lass mich jetzt runter, ich habe Hunger. Wo ist denn Willy, mein süßer Toutou? Du hast ihm hoffentlich nichts Böses getan!«
»Ich bin Willys Freund, wie könnte ich. Was du von mir denkst. Willy wollte seinen Urlaub am Genfer See verbringen, wegen der vielen Katzen dort, die in Janine' Garten in Nyon herumlaufen. Du hättest seine Augen sehen sollen, die glänzten vor Glück und ich will doch auch, dass Willy glückliche Ferien verbringt. Du musst wissen, dass deine Tante Janine ihm auf keinen Fall fette eklige Schweinswürste servieren wird. Schau mich nicht so an, Zouzou. Willy kann dort russisch lernen, sie ist Russin!«
»Janine ist aus der Ukraine, Herr Vancelli. Sie ist keine Russin!«
»Ich schäme mich vor dir, Zouzou, du bist so edel und ich bin ein Schuft! Glaube mir, Willy ist glücklich und Janine auch!«
»Ich weiß, dass Janine glücklich ist, ich habe mit ihr von Marseille aus telefoniert. Ihr beiden habt euch ja gut amüsiert, wie ich feststellte. Janine ist eine sehr schöne Frau. Schwamm drüber, Frantschi. Was machen wir, hast du eine Programm?«
»Ja, zuerst gehen wir in das Restaurant Baur au Lac, ich habe nämlich eine Gehaltserhöhung von Wegener bekommen, und dann fahren wir nach Küsnacht in mein neues Appartement. Nächste Woche ziehen wir ein. Du bekommst ein eigenes Zimmer!«
»Ich bleibe nicht für immer bei dir, Frantschi!«
»Macht nichts, Zouzou. Du kannst kommen und gehen, wann immer du willst. Du bist an nichts gebunden! Das Zimmer wird eine Anlaufstation für dich sein, wenn du willst!<<
Von Kloten fuhren wir mit einem Taxi nach Zürich. Zouzou kuschelte sich ganz eng an mich und wir waren ausgelassenen, wie kleine Kinder. Wir erzählten uns nur dummes Zeug und als der Taxifahrer in einen Verkehrsstau geriet, und anfing in seiner Nase zu pollen, gab es für uns keinen Halt mehr. Ich stupste Zouzou und gab ihr mit den Augen einen Hinweis zu Taxidrivers schändlichem Tun.
»Wusstest du, liebster Frantschi, dass neunzig Prozent aller Männer bei Verkehrsstau oder an die Ampel bei Rot in die Nase drin bohren?«
»Sind es so viele, Zouzou? Ich mache es in der Badewanne! Und außerdem weiß ich, dass es in der Südsee eine Insel gibt, da fressen die Eingeborenen anschließend dieses Zeug!«
»Iehhh - Igitt, Frantschi, du bist eine kleine rosiges Trüffelschwein!«
Der arme Taxifahrer bekam knallrote Ohren und ließ uns bei Baur au Lac, aussteigen. Ich war mir sicher, dass er Zouzous Gelächter sein Leben lang nicht mehr vergessen wird. Nach dem Essen fuhren wir nach Küsnacht, zu meinem neuen Appartement. Zouzou war sichtlich begeistert und durfte sich nach freier Wahl ihr Zimmer aussuchen. Natürlich nahm sie sich das beste Zimmer - das mit Seeblick!
»Ach, Frantschi, ich möchte für immer bei dir bleiben können!«
»Kannst du ja!«
»Kann ich nicht Frantschi und werde ich nicht. Ich dachte, dass hättest du endlich gefressen!«
»Mir ist es lieber, du kannst nicht wenn du willst, als wenn du willst und du kannst es nicht!«
»Deine Grammatik springt auch von die Schaufel runter manchmal, mein lieber süßer Frantschi. Nicht nur meine Grammatik!«
»Hast du eigentlich eine Tante in Grenoble, Zouzou?«
»Ich habe viele Tanten, mein Herr. In Limoges, Vichy, Paris, St. Etienne und in Toulouse. Ach ja, eine halbe Tante habe ich noch am Genfer See, in Nyon. Mit der ist ein gewisser Blaubart in die Federn gegangen und sie hat sich mit ihm unglücklich gemacht. Ich glaube, Vancelli hieß der Böse. In Grenoble habe ich keine Tante wohnen.«
»Ich dachte nur, Zouzou. Weil ich vor mehr als zwanzig Jahren ein Mädchen aus Grenoble kennen lernte, die so aussah wie du, und auch deine Wesenszüge trug. Ich war mit ihr sechs Monate verheiratet und dann ist sie mir abgehauen! Mit einem Algerier! Sie heißt Bijou.«
»Ich trage keine Wesenszüge, Frantschi. Ich habe so schon genug zu tun. Du kannst und darfst nicht mit allen Tanten die mir gehören in die Federn steigen und nicht glücklich machen. Das ist keine gute Anstand und eine Tante Bijou habe ich auch nicht. Und wenn es so wäre, Frantschi, dann wärst du eine Verwandtschaft von mir. Ein Onkelchen, jawohl. Ein richtiger Tonton!«
»Ich will nicht dein Onkel sein. Das lehne ich entschieden ab! Ich bin noch viel zu jung für so was!«
»Das ist es, Frantschi, du bist meine süße liebe kleine Tonton, die ich gerne zum Fressen habe!«
»Ist ein Tonton so etwas wie ein Toutou?«
»Quatsch, Tonton! Ein Tonton ist ein Tonton, an dem sich die kleine Zouzou ankuscheln darf, und an seine breite Brust weinen kann, wenn seine Zouzou einmal großen Kummer hat. Ein Tonton muss immer für mich da sein, und muss für mich durch die dicke und die dünne „Merde“ gehen.«
»Darf ein Tonton seiner Nichte die sie nicht ist auch einmal an die Wäsche gehen?«
»Niemals, Tonton! Ein Tonton ist ein Grandseigneur! Er geht nie an die Wäsche seiner Nichte! Ein Tonton ist kein Mann!«
»Wie dein kastrierter französischer Grandseigneur Willy!« Sie schaute mich dabei seltsam an mit einer kleinen strengen Falte zwischen ihren Augenbrauen an.
»Mon Tonton, also du…, bist nie eine Willy. Willys sind immerhin noch eine Köter!«
»Ich sage dir, Zouzou, ein richtiger Tonton, wie ich, dass ist das beste was es gibt. Ich bin stolz ein Tonton zu sein. Kein gewöhnlicher ordinärer Onkel, dass kann jeder sein. Nein, Tonton ist eine Berufung, ein edles Handwerk für Edelmänner!«
»Du spinnst, Tonton, wie immer!«
»Eine Frau sollte fünf Männer besitzen, Zouzou!«
»Hä - jetzt hast du aber eine ganz große Knall in die Hirn drin, Tonton!«
»Doch ehrlich, Zouzou. Hör mal zu. Du, oder besser alle Frauen sollen einen Ehemann bekommen. Einen braven Schweizer, der die Sore heranschafft und für den Nachwuchs sorgt. Dann muss sie noch einen lasziven Latino besitzen, für die blauen Stunden am Abend. Dazu einen graumelierten englischen Gentleman, für in die Oper und für zum Essen zu gehen. Weiterhin noch eine echte französische Schwuchtel, die sie in Mode Angelegenheiten berät und der mit ihr zum Shopping geht. Und zum Schluss als Krönung einen Tonton wie mich, bei dem sie sich anlehnen und ausweinen kann, und sich über die anderen vier ausgiebig beschweren kann!«
»Du bist der verrückteste Tonton, den es je gab, und den es je geben wird. Es ist so!«
»C'est cela, Zouzou! So ist es!«
Marseille, Sonntag, den 8. Dezember 1963.
Wir standen am Flughafen Zürich-Kloten, und es waren noch etwa zwei Stunden Zeit bis zu unserem Abflug nach Algier. Zouzou Zizanie gab mir mein Ticket. Sie dachte wirklich an alles. Ich musste mich um nichts kümmern.
»Zouzou, auf dem Ticket steht Marseille und nicht Algier. Erkläre mir das einmal, aber ohne Umschweife.«
»Wir müssen zuerst nach Marseille, Tonton. Wir haben die andere Disposition müssen tun. In Marseille holen wir noch einige Equipement ab und eine besondere Überraschung für dich und danach machen wir eine richtige Schiffsfahrt über das Meer, nach Algier. Mit einem tollen Dampfer, mit Schwimmbad, Restaurant und Tanzkapelle. Das werden Super Ferientage für uns. Ich freue mich schon auf dich!«
Wir befanden uns bereits seit geraumer Zeit in einigen tausend Meter Flughöhe, als eine der Stewardessen zu uns kam und mich dabei strahlend anschaute, und mich fragte, ob der Herr, also ich, noch einen Wunsch habe. Sie duftete wunderbar und so strahlte ich lächelnd zurück und deutete an, dass sie mir diesen, wohl nie erfüllen könne. Sie lächelte mich glücklich erscheinend an und fragte auch nach den Wünschen meiner Begleitung.
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