1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Lächelnd verschwand Layna im Haus. Mit gemischten Gefühlen betrat sie den Aufzug. Der Abend war gut verlaufen, bis zu dem Moment, in dem der Störenfried den Kuss verhindert hatte. Warum hatte sie sich auch durch ein kleines Geräusch ablenken lassen? Bestimmt war es nur ein Tier gewesen, das durch die Dünen geschlichen war.
In der Wohnung war es dunkel. Sie war erleichtert, dass Tony nicht auf sie gewartet hatte. Sie musste erst einmal ihre Gedanken ordnen, bevor sie jemandem von diesem Abend erzählte. Schnell zog sie sich aus, wusch sich und schlüpfte unter die Bettdecke. Durch die Fenster beobachtete sie die Sterne, die wie kleine Glühwürmchen am Himmel saßen.
Ihre Finger streichelten die schwarze Feder, die über ihrem Kopf am Bettrahmen hing. Sie war so wunderbar weich. Laynas Bewegungen wurden immer langsamer, bis die Hand an der Feder hinabglitt und ihre Augen zufielen. Sie schlief ein. Ohne einen weiteren Gedanken an Mike.
Es dämmerte bereits, als Tony und Vicci in ihr Zimmer gestürmt kamen und sich auf das Bett setzten. Layna zuckte vor Schreck zusammen und blinzelte die beiden an. Am liebsten hätte sie ihre Freunde hinausgeschmissen, sich umgedreht und weitergeschlafen, doch die neugierigen Gesichter, die sie gespannt anstarrten, hätten einen Rauswurf nicht geduldet.
»Jetzt erzähl schon!«, forderte Tony sie auf.
Layna rieb sich die Augen, setzte sich auf und gähnte ausgiebig. »Wir sind mit dem Tandem zum Strand gefahren, haben ein Picknick gemacht, und er hat mich wieder nach Hause gebracht. Übernachtet hat er hier nicht, wie ihr sehen könnt.«
»Das war’s?«, fragte Vicci enttäuscht. »Da ist nichts passiert?«
Layna seufzte. »Er wollte mich küssen, aber da war ein Geräusch, das mich abgelenkt hat.«
Tony und Vicci schauten sich überrascht an und grölten gleichzeitig los, als hätten sie den besten Witz ihres Lebens gehört.
»Du hast dich von einem Geräusch ablenken lassen?«, fragte Tony, nach Luft schnappend. »Das muss aber ein sehr interessantes Geräusch gewesen sein.«
»Da war jemand! Man hat uns beobachtet!«, fuhr Layna ihn an.
»Hast du denjenigen gesehen?«
»Nein. Aber ich weiß, dass dort jemand war. Und danach war die Stimmung irgendwie im Eimer.«
»Wann trefft ihr euch wieder?«
Layna zuckte mit den Schultern.
»Mach nicht den Fehler, zuerst anzurufen!«, ermahnte Vicci sie.
Erst jetzt bemerkte Layna, dass sie ihre Kontaktdaten nicht ausgetauscht hatten. Wie sollten sie sich wiedersehen? Sie machte sich Vorwürfe, dass sie nicht an dieses wichtige Detail gedacht hatte. Vielleicht würde er im Café oder in der Uni auf sie warten. Vielleicht hatte er aber auch genug von ihr nach dem verpatzten Abend.
Warum war plötzlich alles so kompliziert? Erst der Aufsatz, dann die Geheimnisse um Mike und jetzt auch noch das? Am liebsten wäre Layna zurück unter die Bettdecke gekrochen und hätte gewartet, bis alles von alleine einfacher geworden wäre. Aber das passte nicht zu ihr. Sie war die Starke und musste sich durchbeißen. Zumindest hatte sie es früher so gehandhabt.
Also krabbelte sie aus dem Bett und streckte ihre Gliedmaßen. Eine kalte Dusche war jetzt genau das, was sie brauchte. Wortlos ließ sie ihre Freunde im Zimmer zurück und ging ins Bad. Sie drehte die Duscharmatur auf die kälteste Stufe, doch das eisige Wasser machte sie nicht munterer. Schließlich setzte sie alle Hoffnungen in einen doppelten Espresso aus dem Picasso.
Gemeinsam mit Tony und Vicci ging sie zum Café. Die Luft dort war erfüllt von köstlichen Kaffeearomen und frischem Gebäck. Eine lange Schlange hatte sich bereits vor dem Tresen gebildet, da sich die Studenten einen Coffee to go holten, bevor die Vorlesungen begannen. Da war es praktisch, eine Freundin zu haben, die dort arbeitete. Dadurch mussten sie sich nicht anstellen.
Layna und Tony warteten abseits der Menge auf ihren Kaffee, als jemand seine Hand auf Laynas Schulter legte. Sie fuhr erschrocken herum, konnte ihre Freude und Erleichterung aber nicht zurückhalten.
»Mike!«, quietschte sie durch das gesamte Café, sodass auch Vicci hinter dem Tresen den Kopf neugierig in ihre Richtung drehte.
»Guten Morgen«, sagte Mike wesentlich leiser und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Layna wurde krebsrot. Es war ihr ein wenig peinlich vor ihren Freunden.
»Du musst Tony sein.« Mike streckte ihm die Hand zur Begrüßung entgegen. Dieser betrachtete ihn mit Argwohn, als würde er einem Rivalen gegenüberstehen. Einem Rivalen, dem er nicht gewachsen war. Mike überragte ihn fast um eine Kopflänge und war wesentlich stärker gebaut als er. Doch als er seine Hand schüttelte, war sein Händedruck lockerer, als Tony es erwartet hatte. Vielleicht war er ja kein schlechter Kerl.
»Hi Mike«, brachte er schließlich mit dünner Stimme hervor.
»Freut mich, dich kennenzulernen, Tony. Ich habe schon viel von dir gehört.«
»Aha.« Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er Layna fragend an, doch diese hatte nur Augen für den großen, blonden Mann vor ihr.
Vicci stürmte an der Schlange vorbei, gab ihren Freunden die Kaffeebecher und griff sofort nach Mikes Hand.
»Hey, ich bin Vicci!«, überfiel sie ihn. Sie plapperte wie ein Wasserfall auf ihn ein, sodass weder Mike noch die anderen zu Wort kamen. Layna boxte ihr schließlich in die Seiten, damit sie endlich ruhig war. Mit einem breiten Grinsen verabschiedete sie sich schließlich und verschwand hinter dem Tresen.
Diesen Moment nutzte Layna aus. »Also, Mike, mir ist heute Morgen aufgefallen, dass ich gar keine Möglichkeit habe, dich zu kontaktieren. Vielleicht … also … vielleicht magst du mir deine Nummer geben?«
»Da muss ich dich leider enttäuschen«, sagte Mike. »Ich besitze kein Smartphone.«
»Kein Smartphone?«, fragten Layna und Tony erstaunt wie aus einem Mund. Dass jemand in dieser modernen Zeit ohne ein solches Kommunikationsmittel zurechtkam, war für sie unvorstellbar. Die Menschen organisierten schließlich das komplette Leben damit.
Mike schüttelte den Kopf. »Hätte ich eins, würde es jede Minute piepen. Also habe ich mir erst gar keins zugelegt.«
»Aber du hast doch sicher ein Tablet? Internet?«, fragte Tony.
Mike grinste Layna an, die an ihrem Kaffee nippte. »Dein Freund ist ja genauso neugierig wie du.«
Verlegen lächelte sie zurück.
Tony bezweifelte allerdings, dass er das als Kompliment auffassen sollte. »Ich möchte ja nicht drängeln, Lay, aber wir müssen los. Du darfst nicht schon wieder zu spät kommen.«
Layna verdrehte die Augen. Musste er das gerade vor Mike ansprechen?
»Geh schon mal vor. Ich komme gleich.«
»Ich verschwinde hier nicht ohne dich. Du weißt, was Williams gesagt hat«, ermahnte er sie.
»Geh ruhig«, sagte Mike zu ihr. »Ich will nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst.«
Doch sie bewegte sich keinen Millimeter. Sie wollte nicht zur Vorlesung. Viel lieber wollte sie schwänzen und den Tag mit Mike verbringen.
Tony versuchte, sie am Ärmel mitzuziehen. »Nun komm schon!«
Mike gab ihr einen kleinen Abschiedskuss auf die Wange. »Wir sehen uns sicher bald wieder«, versprach er und verschwand.
»Das ist ein seltsamer Typ«, flüsterte Tony.
»Warum?«
»Hast du nicht gesagt, dass sein Büro in der Nähe des Museums liegt? Warum geht er dann in ein Café, das am anderen Ende der Stadt liegt? Und nimmt sich nicht einmal einen Kaffee mit?«
»Vielleicht, weil er mich sehen wollte?« Layna gefiel es nicht, dass ihr bester Freund so skeptisch gegenüber Mike war. Sah er denn nicht, was für ein toller Mann er war? Obwohl er kein Smartphone besaß und meilenweit fuhr, um sie zu sehen? All das machte ihn für sie nur noch spannender. Außerdem zeigte es doch, dass sie ihm wichtig war und er ihre Nähe suchte. Sie wünschte sich, dass ihr bester Freund hinter ihr stand und nicht an Mike zweifelte. Gerade jetzt, wo sie die Zweifel so gut wie begraben hatte.
Читать дальше