„Geht es wieder?", fragte er noch einmal.
Nadira nickte, und bereute es sofort wieder, als die Welt sich wieder schneller zu drehen begann. „Nimm mir das Ding ab", sagte sie.
„Kann ich das so einfach?" Tinju schien von dem Halsring etwas abgeschreckt zu sein. Nadira konnte es ihm nicht verübeln. Eigentlich wusste sie nicht einmal, was passierte, wenn man es einfach abnahm. Aber es konnte nicht schlimmer werden, als es jetzt schon war.
„Nimm es einfach ab", sagte sie.
Tinju streckte die Hand nach dem Halsring aus, aber zögerte erst. Dann stahl sich ein Ausdruck von Entschlossenheit auf sein Gesicht und er griff zu. Er untersuchte den Ring genauer, aber schnell zeichnete sich Verwirrung auf seinem Gesicht ab.
„Was ist los?", fragte Nadira. „Nimm es ab."
„Ich … es hat kein Schloss. Es scheint einfach ein komplett geschlossener Ring aus Metall zu sein. Ich finde keinen Anfang und kein Ende."
Wahrscheinlich war es einfach zu dunkel hier, um das Scharnier und das Schloss zu sehen. Immerhin war sich ziemlich sicher, dass Brancus es ihr einfach umgelegt hatte und dass er keinen Schlüssel hatte, mit dem er es abschließen konnte. Hoffentlich schloss es sich nicht von selbst ab und ließ sich nur mit dem Schlüssel öffnen, dann würde Nadira das Ding nie mehr loskriegen.
Tinju drehte den Ring langsam an Nadiras Hals und schien ihn dabei mit den Fingerspitzen abzutasten. „Ich finde einfach nichts. Das ist alles total glatt."
„Wo ist Callanor?", fragte Nadira um das Thema zu wechseln. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was es bedeutete, wenn man das Ding wirklich nicht mehr entfernen konnte.
„Er schläft dort hinten", sagte Tinju und deutete auf einen dunklen Umriss auf der anderen Seite des Raumes. Nadira hatte nicht erkannt, dass es sich dabei um einen Menschen handelte.
„Ich fürchte, ohne genug Licht, kann ich Euch nicht helfen", sagte Tinju. „Ich finde einfach das Schloss nicht."
Nadira seufzte. „Schon gut. Ich werde versuchen ein wenig zu schlafen." Sie war sich ziemlich sicher, dass das nicht wirklich klappen würde, aber das musste Tinju nicht wissen. Und vielleicht reichte die Erschöpfung ja doch, um sie einschlafen zu lassen. War es ihr in Miragar auch so schwer gefallen, sich an den Halsring anzupassen? Sie hatte den Eindruck, dass es damals nicht so schlimm gewesen war.
„Könnt Ihr nicht den Fokusstein nutzen, um das Ding irgendwie … aufzubrechen?"
Die Idee hatte was. Aber sie hatte auch einen Schwachpunkt. „Der Stein hat nur begrenzte Energie und ich weiß nicht genau, was ich versuchen sollte. Außerdem glaube ich, dass er Ring das Ashara einfach absorbieren würde."
„Oh", machte Tinju.
„Versuchen wir zu schlafen", sagte Nadira und legte sich hin. Wie erwartet klappte das Einschlafen nicht. Zwar wollte ihre Erschöpfung sie immer wieder in den Schlaf ziehen. Aber der Sog in ihrem Geist und das dadurch entstehende Chaos waren zu groß, als dass sie sich hätte entspannen können.
Irgendwann musste sie dann doch noch eingeschlafen sein, denn das Nächste, woran sie sich erinnern konnte, war Callanor, der sie weckte. Es war nicht mehr ganz so dunkel hier drin und Nadira konnte endlich mehr erkennen, als nur schattenhafte Umrisse.
Sie waren tatsächlich in einem Keller, und wie Nadira schon vermutet hatte, bestand er aus Erde und Lehm, die mit einigen Steinen verstärkt worden waren. Sie waren nicht in einem reichen Haus. Das hölzerne Ding, an dem sie sich festgehalten hatte, war ein Fass. Es standen noch mehrere solche Fässer hier unten. Was sich darin befand war nicht zu erkennen.
„Gut geschlafen?", fragte Callanor.
Nadira schüttelte den Kopf. Zu ihrem Erstaunen wurde ihr davon nicht schwindelig. Sie schien sich doch ein wenig erholt zu haben. Sie fühlte sich auch mehr ganz so schlapp und hatte mehr Kontrolle über ihre Gedanken. Trotzdem fühlte sie noch immer den Sog. Ein tiefes Loch in ihrem Inneren, das alle Energie aufsog. Es war ein grauenhaftes Gefühl. Wer auch immer diese Dinger geschaffen hatte, war grausam gewesen. Allerdings konnte sie auch verstehen, dass solche Dinger erschaffen worden waren. Es gab sonst kaum eine Möglichkeit, einen Ashari unter Kontrolle zu halten.
„Kannst du mir dieses Ding abnehmen?", fragte Nadira und griff dabei an den Halsring.
„Ich kann es versuchen", sagte Callanor. Wie auch bei Tinju stahl sich schnell Verwirrung auf sein Gesicht. „Es ist ein geschlossener Metallring", sagte er. „Ich finde nichts, womit man ihn öffnen kann."
Wie hatten die Keshani die Dinger dann geöffnet? Es musste irgendeinen Trick geben, eine Technik. Oder waren nur Ashari in der Lage, dieser Dinger wieder zu entfernen? Aber Nadira wagte es nicht, das Ashara aus ihrem Fokusstein zu verwenden. Die Energie war begrenzt. Und solange der Sog in Nadiras Geist vorhanden war, konnte der Fokusstein seinen Vorrat auch nicht auffüllen.
Der Fokusstein nahm eine kleine Menge des Ashara seines Besitzers auf und speicherte es. Diese Menge war so gering, dass sie kaum ins Gewicht fiel. Es war weniger, als die Menge Ashara, sie ein Ashari regenerierte. Zwar wurde der Vorrat langsam aufgefüllt, aber ein Ashari konnte auch bewusst Energie in den Stein leiten, um ihn aufzufüllen. Mit dem Stein stand eine zweite Quelle von Energie zur Verfügung.
Jeder Ashari konnte nur eine begrenzte Menge von Ashara speichern. War diese Grenze erreicht, war die Energie die sich regenerierte, verloren. Der Fokusstein fing diese überschüssige Energie auf und speicherte sie für später. Die Hauptaufgabe eines Fokussteins war es aber, die Energie zu fokussieren und somit zu verstärken.
Im Moment war Nadira aber nicht in der Lage, ihren Fokusstein aufzuladen. Das Ashara im Stein war also alles, was sie hatte. Sie musste sehr vorsichtig damit umgehen. Das hieß, sie würde den Ring noch eine Weile tragen müssen.
***
Darec erwachte in einem Bett. Im ersten Moment dachte er, er wäre zu Hause in Seraint, in seinem Bett. Aber das schmerzhafte Pochen an seiner Schläfe rief ihm schnell wieder in Erinnerung, wo er wirklich war. Als er sich auf setzte, verstärkte sich das Pochen noch weiter. Er befand sich in einem einfach ausgestatteten Zimmer. Wahrscheinlich war er irgendwo im Haus der Dynari untergebracht.
Er stieg aus dem Bett und ging zur Türe. Es war an der Zeit Brancus zur Rede zustellen und mit Dyna Sirynda zu sprechen. Sie musste dafür sorgen, dass Nadira befreit wurde, und Brancus seine Strafe erhielt.
Darec griff nach der Türklinke und wollte die Türe öffnen, aber sie war verschlossen. Wütend schlug er gegen die Türe und verlangte, dass jemand öffnete, aber seine Forderung wurde nicht einmal einer Reaktion gewürdigt.
Darec trat an eines der Fenster. Er brauche keine Türe, um aus diesem Zimmer zu entkommen, ein Fenster würde es auch tun. Aber auch diesen Plan musste er schnell wieder verwerfen. Er befand sich mindestens zehn Meter über dem Boden, und es gab nichts, an dem er herunterklettern konnte. Darec saß fest.
Einige Stunden später, die Darec damit verbracht hatte auf dem Bett zu liegen und ein Loch in die Decke zu starren, wurde plötzlich ein Schlüssel im Schloss umgedreht. Darec setzte sich blitzschnell auf und wollte nach seinem Schwert greifen, aber natürlich hatte man ihm seine Waffen abgenommen. Die Türe wurde geöffnet und Aurel trat, in Begleitung zweier Wachen, in das Zimmer.
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