Marie Döling - Sequenzen der Wörtlichkeit

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In diesem Sammelband treffen zeitgenössische Gedichte auf moderne Kurzgeschichten.
Themen wie Selbstfindung, Menschlichkeit, Umbrüche, Krieg und Religion werden aufgenommen und in vier Sequenzen (Kapiteln) literarisch miteinander verknüpft.
Ich nehme das Leben, ziehe es ganz aus, bis die Hülle voller Vorurteile fällt, und schmücke die Strukturen mit Buchstaben.
So zeichne ich die Menschen, das Leben und die Welt mit Wörtlichkeit, um hinter die Fassaden zu blicken.
Denn ein Wort hat die Gabe der Vernunft, die Kraft eines Glaubens und die Macht über Leben.

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Sequenzen der Wörtlichkeit Lyrik und Kurzprosa Marie Döling Vorwort Liebe - фото 1

Sequenzen der Wörtlichkeit

Lyrik und Kurzprosa

Marie Döling

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich freue mich, dass du »Sequenzen der Wörtlichkeit« in deinen Händen hältst, in dessen lyrischen Texten ich vor allem aktuelle und relevante Inhalte thematisiere.

Dies hat zur Folge, dass drei Gedichte und fünf Kurzgeschichten potentiell triggern und negative Erinnerungen hervorrufen könnten.

Aus diesem Grund findest du auf der letzten Seite eine TRIGGERWARNUNG.

Bitte sei dir deiner eigenen Verantwortung bewusst.

Der Kampenwand-Verlag und ich wünschen dir das bestmögliche Leseerlebnis.

– Marie

Für Paul.

Und für deine einhundert Schutzengel. Danke, dass du noch da bist.

Sequenz I

Von den Menschen und ihren Gesichtern

Für alle, die kämpfen, wenn die Hoffnung längst verloren scheint.

Wenn ich in dem Chaos hier versinke findest du mich im Wahnsinn wieder - фото 2

Wenn ich in dem Chaos hier versinke, findest du mich im Wahnsinn wieder?

Gedankenozean Leichtes Atmen Ein und aus Sanfte Klänge einer raschelnden - фото 3

Gedankenozean

Leichtes Atmen. Ein und aus. Sanfte Klänge einer raschelnden Bettdecke. Dumpf, aber idyllisch klingt das Zwitschern der Vögel durch die geschlossenen Schlafzimmerfenster zu mir hinein.

Ich öffne meine Augen und blinzle dem Licht des Morgengrauens entgegen, bis mein Blick sich klärt und mir seine Anwesenheit bewusst wird.

Die Wärme, die von ihm ausgeht, kriecht nebelhaft zu mir herüber und saugt sich an mir fest. Sie lässt mich auf eine seltsame Weise frösteln. Im Hintergrund der Klang meines Herzens, welches gemächlich schlägt und im stetigen Rhythmus Blut durch meine Adern pumpt.

Das sind sie. Diese Augenblicke, in denen ich mir lauernd gegenübertrete. Jene Momentaufnahmen, die mich so häufig einholen und mich unwirklich festhalten. Diese natürlich unnatürlichen Minuten zu Beginn eines Tages, in denen ich innerlich mein Spiegelbild betrachte. Ganz zentral diese eine, alles überlagernde Frage nach dem Glück.

Und ich schaue mich an, blicke von oben auf mich herab und frage mich, ob ich es überhaupt sein kann. Glücklich, meine ich.

Denn diese junge Frau, deren Finger am Saum der Bettdecke zupfen, sieht nachdenklich aus. Fast verängstigt. Als fürchtete sie sich davor, auf die rechte Seite ihres Bettes zu blicken. Als verschließe sie die Augen, um nicht sehen zu müssen, wo sie sich in ihrem Leben befindet. Ich komme nicht umhin, mich zu fragen, welchen Weg sie einschlagen wird. Denselben wie jeden Tag, oder einen anderen.

Manchmal erscheint es mir, als würde ein einziger geworfener Stein den Ozean ihres Selbst zum Toben bringen. Dann flehe ich, dass der Sturm kommen möge, der ihr Innerstes zermürbt und umwirft, damit sie endlich wieder atmen kann. Wirbelndes Chaos, das sie vor dem Ertrinken bewahrt.

Denn hier schwimmt sie, strampelt und schreit. Stumm. In ihrem Ozean voller Gedanken. Nicht in der Lage, sich zu befreien.

Wenn sie doch wenigstens sinken würde - doch nichts geschieht. Sie steckt fest und ist gefangen in sich selbst.

Aus Sekunden werden Momente, bis ich inmitten meines Wahnsinns begreife, dass sie sich nicht bewegen will . Dass sie nur nach einem Weg sucht, zu akzeptieren. Zu feige, sich von der immer gleichen Stelle zu bewegen; einen neuen Pfad zu wählen.

So liege ich hier. Höre ihn leise atmen. Ein und aus. Lausche den sanften Klängen der raschelnden Bettdecke. Dumpf, aber idyllisch klingt das Zwitschern der Vögel durch die geschlossenen Schlafzimmerfenster zu mir hinein.

Ich schließe die Augen und sperre das Licht des Morgengrauens aus, während ich krampfhaft versuche, ihn nicht mehr zu spüren. Doch die Wärme, die von ihm ausgeht, umgibt mich wie eine zweite Haut. Sie sollte mich doch nicht frösteln lassen.

Im Vordergrund der Klang meines Herzens, welches gemächlich schlägt und im stetigen Rhythmus Blut durch meine Adern pumpt.

Das Herz, das mir zeigt, dass ich lebe.

Lavendel

Der Wind flüstert, der Regen weint um mich. In meinem Feld voller vertrockneter Blumen liege ich in mir selbst und höre den Ozean meinen Namen

s i n g e n.

Gründe

Ganz langsam denke ich rückwärts und schleiche über unbekannte Gedankenlichter. Nur ich allein zerdenke dich und mich und uns. Und suche nach

E r k l ä r u n g e n.

Einhundert Jahre

Jahre.

Einhundert Jahre.

Einhundert Jahre für einen einzigen Tag.

Ich blicke mir in die Augen, als könnte ich mich nicht an mich erinnern. Höre mir zu, als würde ich meine eigene Stimme nicht erkennen; als würde mich jede Erinnerung täuschen.

Wer ist dieses Spiegelbild, das mir entgegenblickt und mir vor Augen hält – mir so fremde Augen – nicht mehr der zu sein, der ich doch eigentlich sein sollte. Habe ich mich in deinen Wünschen so verloren, dass ich mich selbst nicht mehr finden kann?

Vielleicht ist es so, wenn man liebt. Dass man ein Stück von sich opfern muss. Dass man so lange liebt, bis nur Leere bleibt.

Denn nun stehe ich hier und blicke in ein mir so fremdes Spiegelbild – mein Spiegelbild – als mir klar wird, dass ich mich irgendwo zwischen deiner Liebe, deinen Zweifeln und deinen Ansprüchen verloren habe.

Wie soll ich denn ich sein, nachdem ich dich geliebt habe? Nichts ist in mir, bis auf den Wunsch, die Zeit zurückzudrehen. Dich zu lieben, hat mich zu einem Desaster werden lassen.

Die Erinnerungen fügen sich zu einem Bild zusammen, welches mich – mich selbst – vermissen lässt.

Würdest du mich fragen, wer ich sein will, gäbe ich dir einhundert Jahre meines Lebens für einen Tag meines früheren Selbst.

Einhundert Jahre für einen einzigen Tag.

Einen einzigen Tag.

Nur einen Tag.

Ich habe jetzt begriffen, dass jede Geschichte mit uns selbst endet.

Ob wir dieses Selbst sein wollen oder nicht.

Erinnerungen

Ich ersticke in dieser Enge, verstecke mich hinter Luft. Um mich herum nur tanzende Erinnerungen. Sie brennen. Und verbrennen.

M i c h.

Zwietracht

Hier stehen wir, auf dem Schlachtfeld unseres Lebens, und haben all unsere Munition verschossen. Wie konnten wir uns nur so

v e r l i e r e n?

Versprechungen

Es gibt Momente in meinem Leben, da tanzen die Erinnerungen völlig wild vor meinen Augen und verspotten mich. Verhöhnen mich.

Dann stelle ich mir wieder und wieder die Frage, wieso mein Märchen plötzlich zu einem Leben wurde, welches ich nicht gewollt, aber dennoch auf meine Weise gewählt hatte.

Zu leben und ein Mensch zu sein, bedeutet zu verzeihen. Ohne dieses Gut würde sich die Welt unter ihrer Fehlbarkeit begraben.

Der Mensch ist nicht perfekt.

In all diesen Jahren wurde mir bewusst, dass Schuld eng verwandt mit Reue ist. Und dass Reue, wenn sie ehrlich empfunden wird, mehr wert ist als Schuld.

So wurde die Gunst, zu verzeihen, meine oberste Priorität.

Durch dich aber musste ich lernen, dass jedes Prinzip seine Grenzen hat und jede Priorität sich ändern kann .

Denn dir, dir vergebe ich nicht. Ich habe es so oft getan. So oft versucht.

Nach deinem ersten Schlag hast du mich angefleht, zu bleiben. Hast mich inständig gebeten, dir zu verzeihen. Du hattest einen schwierigen Tag, dir ist die Hand ausgerutscht, der Stress und der Druck auf Arbeit bescherten dir ein Blackout.

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