Bertram von Schöpfingen bemühte sich verzweifelt nach der Hand der Gräfin zu greifen, musste aber bald einsehen, dass er zu schwach war. Auch die Zunge gehorchte ihm nicht, ein heiseres krächzen war alles, was er hervor brachte. Burghild bemerkte sein Vorhaben, fasste lächelnd die Hand des Kranken. Der leichte, kaum spürbare Druck seiner Finger, der Glanz in den Augen des Fremden verriet ihr auch so, was er ihr nicht sagen konnte.
„Ihr müsst mir nicht danken. Ich tue doch nur meine Christenpflicht.“ Bertram merkte erst jetzt, wie viel Kraft ihn der Besuch der Gräfin gekostet hatte. Und ihm wurde bewusst, dass es noch
lange dauern würde, ehe er wieder im Sattel sitzen könnte.
Bertram hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Waren es Wochen, oder gar schon Monate, die er auf der Schauenburg
verbracht hatte? Er wusste es nicht. Aber die Zeit hatte für
ihn gearbeitet. Seine alte Kraft kam langsam zurück. Endlich durfte er sein Lager verlassen. Es war ihm erlaubt, zumindest stundenweise, und in warme Decken verpackt, am offenen Fenster zu sitzen. Die Tür wurde aufgestoßen, so derb, das sie von der Mauer zurück schwang und dem jungen Schauenburger beinahe das Tablett aus der Hand schlug. Ago schaffte es gerade noch die Tür mit dem Fuß zu stoppen. Mit zwei, drei Schritten war der kleine Tisch neben Bertram erreicht und das Tablett abgestellt.
„Meine Mutter hat dir eine neue und sehr starke Kräutermischung angesetzt. Du wirst sie jetzt vertragen können. Sie wird dich sehr schnell wieder auf die Beine
bringen!“
„Gewiss schmeckt sie dann auch noch ekliger als das Gebräu, das du mir sonst immer bringst!“
Ago half dem Ritter, sich so weit aus seinen Decken zu befreien, dass er sein Elixier trinken konnte. Der junge Graf nahm den Deckel von der Kanne und goss die dunkelbraune
heiße Flüssigkeit in den bereit stehenden irdenen Becher. Augenblicklich erfüllte ein köstlicher, aromatischer Duft den kleinen Raum.
Der Kreuzfahrer nahm den Becher in beide Hände und nahm vorsichtige, kleine Schlucke von dem dampfenden Heiltrank.
Bertram setzte den Becher wieder ab.
„ Diesen Trank lass ich mir gerne schmecken. Woraus macht ihn deine Mutter? Oder verrät sie derlei Geheimnisse nicht?“
„Nicht ganz. Auch ich weiß nur, dass viele verschiedene Kräuter und Wurzeln hier ihre Wirkung entfalten. Allein, die
Mengen der einzelnen Pflanzen ändern sich ständig. Und
auch deren Zubereitungsart. Ein Geheimnis macht die Mutter aus der Herstellung nur deswegen, weil die Wirkung der Pflanzen nicht immer harmlos ist. Falsch angewendet,
können sie sogar schaden.“
„Auch unter den Sarazenen im fernen, Heiligen Land, gibt es Heilkundige. Einem solchen Medikus habe ich es zu danken, das mein rechter Arm noch vorhanden ist.“
„ Davon musst du der Mutter erzählen. Sie wird dir gewiss
eine sehr aufmerksame Zuhörerin sein. Auch ich würde gern
mehr über diese Heilkunst hören. Doch gibt es da noch etwas, was mir sehr viel mehr auf dem Herzen liegt!“
„Sprich nur, mein Freund. Ich werde dir gern zu Diensten sein, wenn ich es denn kann.“
„ Bertram“, begann Ago, „ Du weißt, dass auch mein Vater das Kreuz genommen hat, um das Grab Christi gegen die Heiden zu verteidigen?“
„Deine Mutter erwähnte es einmal kurz, als ich nach dem Burgherren fragte. “
„Dann will ich dir etwas mehr über meinen Vater erzählen. Er zog mit anderen Edlen unter der Führung des Markgrafen Roland von Bingen nach Jerusalem. Das ist nun mehr als vier Jahre her. Im ersten Jahr hörten wir noch durch heimkehrende Kreuzfahrer von ihm. Seitdem bekamen wir keine Nachricht mehr. Jeder Kreuzfahrer, dessen Weg an der Schauenburg vorbei führte, musste uns Rede und Antwort stehen. Soviel wir auch gefragt haben, niemand konnte uns etwas über den Verbleib des Vermissten mitteilen.“
„Und jetzt willst du von mir erfahren, ob ich ihn kenne, oder sonst etwas neues von ihm weiß? So gern ich dir helfen würde: Ich muss dich enttäuschen, weder euer
Wappen noch dein Name sind mir jemals im Heiligen Land unter gekommen. Vielleicht beschreibst du ihn einfach. Mag sein, dass ich ihn irgendwo gesehen habe.“
„Wenn es so wäre, du hättest ihn nicht vergessen können. Er hat das gleiche, bis auf die Schultern fallende blonde Haar wie ich. Er ist von sehr breiter, kraftvoller Statur und einen Kopf größer als ich. Unsere Gesichter sind uns sehr ähnlich. Unverkennbar ist die große Narbe, die seine Stirn in ganzer Breite überzieht. An seiner linken Hand fehlen der kleine Finger und der Ringfinger.“ Agos Gesicht war eine einzige, stumme Frage.„ Ich würde von Herzen gern sagen, dass ich deinen Vater gesehen habe. Doch ich kann es nicht. Lange Zeit war ich ohne Sinn und Verstand, dämmerte nur noch im Fieberwahn vor mich hin. An die Erlebnisse im Heiligen Land kann ich mich darum kaum erinnern, ich konnte es auch vor meiner Verwundung nicht so recht. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis sich der Nebel löst, in den mir alles versunken scheint. Nun hab auch ich noch eine Bitte. Dich und deine Mutter kenn ich nun schon recht gut. Nur von deinem Vater weiß ich nichts. Erzähl mir etwas über ihn.
„Diesen Wunsch will ich dir gern erfüllen. Du darfst aber nicht vergessen, dass ich gerade einmal elf Sommer zählte, als er das Kreuz nahm. Aber da sind noch viele Dinge, an die ich mich erinnere und die ich niemals vergessen werde. Mein Vater war ein sehr milder, gütiger Mensch. Wild und gewaltig war er nur im Kampf. Niemals hat er die Hand gegen die Mutter oder mich erhoben. Er war zu jedem Menschen freundlich. Um mich hat er sich immer sehr viel gekümmert. Alles nur erdenkliche hölzerne Spielzeug hat er mir geschnitzt. Er hat mir gezeigt, wie ich mit Pfeil und Bogen umgehen muss. Ich werde fünf oder sechs Jahre gezählt haben, als er mich das erste Mal auf die Jagd mitnahm. Voller Stolz saß ich vor ihm auf dem Pferd, die Hände in die Mähne gekrallt, die Beine fest an den Leib des Tieres gepresst.“ Die Erinnerung an die Kindheit war zu viel für Ago. Er schwieg.
„Dass es für dich eine schöne Zeit war, die mit du deinem Vater verbracht hast, freut mich. Aber wie stehst du heute zu ihm?“
„Das weiß ich nicht so richtig. Damals war alles einfacher für mich, er war der Vater, den ich über alles liebte, er war mein Vorbild, ich wollte so sein wie er. Heute ist es anders. Ich weiß nicht, ob es richtig war, das er ins Heilige
Land gegangen ist. Er hat Mutter und mich einfach allein gelassen. Am Anfang war ich stolz auf ihn, weil er Kreuzfahrer war. Irgendwann habe ich ihn dann doch sehr vermisst. Mutter hat sich oft bei ihrem Beichtvater Trost geholt. Und heimlich geweint hat sie auch. Ich denke, dass ich ihn noch immer liebe, aber manchmal verspüre ich einen leisen Zorn auf ihn, weil er uns im Stich gelassen hat!“
„Hast du jemals mit deiner Mutter darüber gesprochen, warum der Vater das Kreuz genommen hat?“
„Nein, weil ich immer geglaubt hatte, er musste gehen, habe ich nie darüber nachgedacht. Aber jetzt, wo du mich danach fragst, erinnere ich mich an ein Erlebnis. Es mochte einige Monate vor der Abreise nach Jerusalem gewesen sein. Irgendein hoher geistlicher Herr war zu Besuch auf der Schauenburg. Vater hat sich mit ihm gestritten. Warum, weiß ich nicht mehr. Wenn ich auch damals gerade elf Jahre alt war, so bin ich mir doch sicher, dass er oft Zwistigkeiten mit einem geistlichen Herrn hatte. Vater war sicher genau so Christ wie du und auch ich, aber er war nicht immer mit dem was die Kirche wollte, einverstanden, so habe ich das jedenfalls in Erinnerung. Darum denke ich, dass er nur auf Befehl des Königs gegangen sein kann, der ja sein Lehnsherr ist und dem er zu Treue verpflichtet ist.
Jetzt weißt du einiges über mich, über meinen Vater und darüber, wie wir beide zueinander stehen. Du hast bisher nicht viel von deinen Abenteuern berichten können, weil dir die Erinnerung daran fehlt. Aber von deinem Vater, und von deiner Knabenzeit kannst du mir erzählen oder hat dich unser Gespräch sehr ermüdet?“
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