bewusstlos, blutete aus einer Stirnwunde. Er hörte die Mutter rufen.
„Was ist mit ihr Ago? Ist sie wach? Siehst du Verletzungen?“
Ehe Ago antworten konnte, war Burghild heran, ihr folgten zwei Männer der Burgwache mit einer Trage.
Mit geschickten Händen untersuchte sie die junge Frau.
„Bringt sie in meine Kemenate. Ago, sieh nach Hildegardis. sie soll mir helfen und gleich noch zwei Mägde mitbringen.“
Die Männer blieben mit ihrer Last vor dem Bett stehen, auf dem Burghild das Lager für die Verletzte vorbereitete. Behutsam wurde sie auf den frischen Leinentüchern abgelegt. Burghild tastete noch einmal vorsichtig Arme und Beine der Bewusstlosen ab, die während dessen leise stöhnte.
Ago betrat den Raum, gefolgt von Hildegardis und den Mägden.
„Gut dass du da bist, Hildegardis. Zieh Freya aus, lass dir von einem der Mädchen dabei helfen. Ich muss noch einiges vorbereiten“, sagte Burghild erleichtert.
Erst jetzt bemerkte sie Ago, der hilflos neben dem Bett stand.
„Was willst du noch hier? Raus mit dir! Du wirst hier nicht gebraucht.“
Sie öffnete den Schrank, der sich auf der anderen Seite ihrer Kammer befand. Auf den Regalen standen fein säuberlich
beschriftete irdene Krüge nebst anderen medizinischen Gerätschaften. Sie griff nach einer Schüssel und legte eines der Gefäße hinein. Ein Schlafschwamm kam noch dazu. Und die lederne Mappe mit den Instrumenten. Als letztes nahm sie noch ein Leinensäckchen, das sie einer der Mägde in die Hand drückte.
„Lauf in die Küche, nimm ein Quart kochendes Wasser, fülle es in einen Krug, gib den Beutel hinein, lass es abkühlen und bring ihn mir zurück.“
Ihre übrigen Gerätschaften stellte sie auf dem kleinen Tisch ab, der neben dem Bett stand. Aus einer Truhe holte sie hölzerne Stangen, Schafswolle zum Polstern und frische Leinenbinden, legte alles auf den Schemel am Fußende des Bettes, goss etwas Wasser in die Schüssel, feuchtete damit den Schlafschwamm an, drückte ihn aus und legte ihn mit sanftem Druck auf Freyas Gesicht.
„Atme tief ein, die Dämpfe nehmen dir den Schmerz!“
Nach wenigen Augenblicken verstummte Freyas stöhnen, ihr Atem wurde ruhiger, sie schlief ein.
Burghild tastete den rechten Arm noch einmal ab.
„Unten auf dem Fahrweg war ich mir nicht sicher. Es ist ein Bruch. Aber sie hat Glück gehabt, Hildegardis. Er ist glatt, ich kann ihn leicht schienen. Aber zuerst will ich mir noch einmal die Wunde ansehen. Doch dazu brauche ich mehr Licht.“
Während sich eine der Mägde darum kümmerte, schob sie Freyas blonde Strähnen aus der Stirn und wusch ihr das Blut aus dem Gesicht.
Burghild hielt die zu einer Schale geformten Hände über die Schüssel.
„Hilf mir Hildegardis“, bat Burghild ihre Schwester.
„Schütte ein wenig aus dem Krug auf meine Hände.“ Burghild verrieb eine ölige, grünschillernde Flüssigkeit auf ihren Händen.
„Jetzt öffne bitte das Lederne Etui und gib mir den blauschimmernden Stab mit dem Knopf an dem einen Ende. Und jetzt noch mal ein paar Tropfen.“
Nachdem die Substanz auch auf dem Stab verteilt war, schob sie das Instrument vorsichtig in den tiefen, fingerlangen Riss und tastete an verschiedenen Stellen.
„Da ist nichts gebrochen, ich kann nähen.“
Sie ließ sich die kleinste ihrer gebogenen Nadeln und die Rolle mit den neuen Seidenfäden geben. Hildegardis sah ihr aufmerksam zu, während Burghild die ersten Knoten setzte.
„Bei dem Knecht, dem du in der letzten Woche die Stirnwunde genäht hast, waren die Knoten nicht so dicht gesetzt“, wunderte sich Hildegardis.
„Freya ist mit ihrer schiefen Nase doch schon genug gestraft. Außerdem soll mein Sohn keine Frau heiraten, die eine hässliche Narbe auf der Stirn hat“, entgegnete Burghild lächelnd, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken.
„Ach ja, ich vergaß, das ihr die beiden schon vor Jahren einander versprochen habt! Aber weiß Freya davon? Du weißt wie störrisch sie ist. In ihrem Alter sind die meisten Jungfrauen längst aus dem Haus“, erwiderte Hildegardis. Burghild unterbrach ihre Arbeit, warf einen Blick auf das blasse Gesicht Freyas, kontrollierte ihren Puls und nickte zufrieden.
„Das wäre sie auch“, entgegnete Burghild. „Ihr Vater musste Freyas Mutter auf dem Sterbebett versprechen, Freya nicht gegen ihren Willen zu verheiraten.“
„Ja, ja, die gute Almut. Sie war die heimliche Herrin auf der
Falkenburg.“
„Und jetzt ist es Freya“, entgegnete Burghild lachend. Sie machte den letzten Knoten, legte einen Verband an und tränkte ihn mit Rotwein.
Freya wurde unruhig, ihr Atem ging heftiger, sie wimmerte leise.
„Ich muss mich beeilen, sie wird wach. Halt durch Freya, ich bin gleich fertig“, sagte Burghild.
Sie fasste Freyas Handgelenk, während Hildegardis Freyas
Schulter runter drückte. In diesem Augenblick wurde Freya
wach und schrie auf. „Den Schwamm kannst du nicht mehr haben, es wäre zu gefährlich! Ich muss dir nun Schmerzen zufügen, aber ich bin gleich fertig!“ rief Burghild und zog und drehte weiter, während die Mägde halfen, Freya zu halten. Burghild störte sich weder an Freyas schreien, noch an dem Knirschen der Knochen.
„Fertig. Es ist vorbei. Gebt Freya von dem Sud.“ Sie strich Freya das Haar aus der Stirn.
„Trink nur, es wird dir gut tun.“
Sie wartete ab, bis sich Freyas Züge wieder glätteten. Mit der Hilfe ihrer Schwester polsterte sie den Arm ab. Halbrunde, hölzerne Stäbe wurden auf das Polster gelegt und mit Leinenbinden fixiert.
„Das wird halten und der Bruch kann heilen. Du hast es überstanden Freya!“
„Holt Ago wieder rein. Einen besseren Krankenwächter kann es für Freya nicht geben“, sagte sie lächelnd zu Hildegardis gewandt.
Ago lief unruhig auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Noch immer hallten die Schreie in seinen Ohren. Er konnte sein Verhalten nicht verstehen. Es geschah nicht zum ersten Mal, das sich Freya bei einem Besuch auf der Schauenburg verletzte.
„Warum mache ich mir diesmal bloß so viele Gedanken…“ murmelte er vor sich. Die knarrende Tür in seinem Rücken hörte er nicht. Er reagierte erst, als er Hildegardis leises rufen hörte.
„Du kannst rein kommen, Freya ist versorgt und schläft.“
Zögernd betrat er den Raum.
„Ago, setz dich zu Freya“, hörte er die Mutter sagen. „Pass auf sie auf, du weißt ja, worauf du achten musst! Ich werde dich in zwei Stunden ablösen.“
Ago, der seiner Mutter oft und gern bei der Versorgung von Kranken und Verwundeten half, wusste was er zu tun hatte. Leise stellte er einen Scherenstuhl an das Kopfende des Bettes. Dann fasste er nach Freyas Handgelenk, um den Puls zu tasten.
Er betrachtete ihr Gesicht, das ihm trotz des weichen Kerzenlichtes sehr blass erschien. Und es kam ihm so vor, als ob es nicht mehr so rund war. Es war eckiger geworden, die Wangenknochen traten stärker hervor. Oder täusche ich mich da? Ich habe sie mehr als ein Jahr nicht gesehen. Nur der Mund ist so wie er war, mit diesen wunderschön geschwungenen, vollen Lippen. Er lachte leise auf und musste daran denken, dass er diesen Mund mit vielleicht fünf oder sechs Jahren schon einmal geküsst hatte. Sie hatten es bei Agos Eltern einmal gesehen und wollten unbedingt wissen, wie es sich anfühlt.
„Damals fanden wir es schrecklich, unsere Lippen waren so
feucht. Und wenn ich sie heute küssen würde…“ murmelte er
leise vor sich hin.
Im nächsten Augenblick wurde es ihm seltsam warm uns Herz, er fühlte sich unendlich leicht, er hätte tanzen können.
Eigentlich hatte Ago sich darauf gefreut sich mit Freya unterhalten zu können. Aber sie schlief nur. So war er froh, dass die Mutter ihn ablöste. Er ging in seine Kammer, zog sich aus und legte sich auf sein Bett. Aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Mit seinen Gedanken war er immer noch bei Freya. Ihre Schreie klangen immer noch in seinen Ohren. Wie hatte er mit ihr gelitten. Aber jetzt geht es ihr ja wieder gut. Und dann waren da noch diese seltsamen Gefühle, ihr gegenüber.
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