Endlich hatten die Gäste ihre Plätze in dem großen Rittersaal gefunden und es konnte aufgetragen werden, was Keller und Küche hergaben. Die Kreuzfahre langten kräftig zu. Wein, Bier und Met mussten oft nachgeschenkt werden.
Ago war überhaupt nicht zum Feiern zumute. Er saß nur auf
Bitten der Mutter mit an der Tafel. Lieber hätte er sich irgendwo in der Burg verkrochen um seinen Tränen freien Lauf zu lassen. Die leichte Berührung der Mutter spürte er kaum. Dann blickte er aber doch auf, dankte ihr mit einem Nicken für den Teller voller Braten, den sie ihm zugeschoben hatte. Im gleichen Maße, in dem die Diener
Speisen und Getränke nachreichten, stieg auch die Stimmung der Kreuzfahrer, sie vergaßen ihre Strapazen, die Gespräche wurden lebhafter, ja ausgelassen und lustig. Ago fühlte sich nicht wohl an der Tafel. Ihm war es zu laut. Am Eingang zum Rittersaal wurde es turbulent, einer der Kreuzfahrer hatte sich etwas verspätet. Die entstehende Unruhe nutzte Ago, um den Rittersaal unbemerkt durch einen versteckten Nebenausgang zu verlassen. Der schmale Gang führte ihn auf den Innenhof. Er blieb stehen, lehnte sich an die Mauer. Was soll ich nur machen?
Dem Trubel im Rittersaal bin ich entkommen. In meine Kammer gehen? Sein Blick fiel auf die Fenster der Gesindestube. Das darin flackernde Kerzenlicht erinnerte ihn daran, dass dort die Knappen und Knechte der Kreuzfahrer saßen. Die könnte ich doch nach dem Vater fragen!
Mit schnellen Schritten näherte er sich seinem Ziel. Im nächsten Augenblick schallten ihm wilde Kreuzfahrergesänge entgegen.
Er schüttelte den Kopf, blieb abrupt stehen und wandte sich dem Ostturm zu, wo er seine Kammer hatte. Er wollte lieber am nächsten Morgen die Mutter fragen, ob sie vom Vater gehört hatte.
*
Leise knarrend wurde die Tür von innen geöffnet. Agos verschlafenes Gesicht kam zum Vorschein. Er rieb sich verwundert die Augen, denn die Kreuzfahrer erteilten den Knappen und den Männern der Burgwache eine Lehrstunde.
Ago beeilte sich den Innenhof der Burg zu überqueren. Er war zu müde zum Kampftraining. In den letzten beiden Nächten hatte er schlecht geschlafen und Lust verspürte er auch keine. Zum Glück drehte ihm der Waffenmeister den Rücken zu. So musste er nicht fürchten, angesprochen zu werden.
Er öffnete die hölzerne Pforte in der Mauer und drückte sie hinter sich zu. Augenblicklich wurde es still. Das Geschrei der Kreuzfahrer und das Geklirr der Waffen verstummten. Auf dem Grünfeld der Burg hatte Agos Mutter einen Kräutergarten angelegt. Hier wuchsen die Heilkräuter, die sie für ihre Tinkturen, Aufgüsse und Salben benötigte. Er saß gern hier, auf der Bank am Stamm des uralten Nussbaumes, der seine Äste weit über die Mauer der Schauenburg streckte. Aber seine Ruhe währte nicht lange. Wieder knarrte das Tor. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck wandte er sich dem Ruhestörer zu und erkannte Arnulf.
„Hast du kein Verlangen danach, von den Rittern etwas zu
lernen? Dietrich vermisst dich dort unten!“
„Hat er dich wieder geschickt?“ fragte Ago.
„Nein, diesmal nicht. Er wunderte sich nur, denn von den Kreuzfahrern können wir alle viel lernen.“
„Mir ist heute nicht nach kämpfen, Arnulf. Außerdem bin ich müde. Ich helfe der Mutter bei der Pflege des Ritters Bertram von Schöpfingen. Er wurde einige Tage vor Erreichen der Schauenburg bei einem Überfall schwer verletzt! Mutter weiß nicht, ob er überleben wird, er wirkt jetzt schon mehr tot wie lebendig.“
„Wer ist denn so dumm, eine Schar heimkehrender Kreuzfahrer zu überfallen?“ wunderte sich Arnulf.
„Sie wurden nicht überfallen. Es war Bertram, der sehr leichtsinnig war. Von einem seiner Gefährten hörte ich, dass er zur Nachhut eingeteilt worden war. Er hat sich im Wald, an der finstersten Stelle, zu weit zurück fallen lassen. So kam es zu einem Überfall. Das Raubgesinde war scharf auf seine Ausrüstung“, erklärte Ago.
„Die Gefährten kamen ihm doch zur Hilfe?“ fragte Arnulf.
„Ja sicher taten sie das, sonst hätte er nicht überlebt“, erwiderte Ago erstaunt.
„Hast du etwas Neues von deinem Vatergehört gehört?“
„Nein Arnulf. Ich selbst habe die Knappen nach ihm gefragt, aber ohne Erfolg. Meine Mutter hat mit allen edlen Herren gesprochen, aber niemand konnte ihr etwas über den Verbleib des Vaters sagen. In den zwei Tagen, in denen wir die Heimkehrenden beherbergen, haben wir nichts über ihn
erfahren können Meine Mutter hofft darauf, dass Bertram mehr weiß. Wir wollen ihn fragen, wenn er überlebt.“
„Gib die Hoffnung nicht auf, Ago.“
„Nein, das werde ich nicht. Aber es fällt immer schwererer an seine Rückkehr zu glauben, schließlich haben wir seit mehr als vier Jahren nichts mehr von ihm gehört“, erwiderte Ago.
„Mir würde es auch schwer fallen. Trotzdem ist schon so mancher von einem Kreuzzug zurück gekommen, der nicht mehr erwartet wurde.“
Der Rand der glutroten Scheibe schien die fernen Berge zu berühren. Ago hockte zwischen den Zinnen, den Rücken an die sonnenwarmen Sandsteinquader gelehnt. Er musste an das Gespräch denken, das er vor einigen Stunden mit Arnulf führte. Seine Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Den Mann, der leise an ihn heran trat, bemerkte er erst, als er eine Hand auf seinem Arm spürte. Es war Fulcher von Chartres, der Priester, der mit den Kreuzfahrern zurück gekehrt war.
„Verzeih mir Ago, wenn ich dich störe. Ich mache mir Sorgen, ich sah dich oft nachdenklich, fern vom üblichen Betrieb der Burg in einer stillen Ecke sitzen. Gibt es da etwas, das du dir von der Seele reden möchtest?“
Ago brauchte einen Augenblick, ehe er in die Wirklichkeit
zurück fand. Er stand auf und begrüßte den Priester
freundlich.
„Ich habe euch nicht kommen hören“, sagte Ago entschuldigend.
„Habt Dank für euer Angebot, aber helfen könnt ihr mir nicht. Von meiner Mutter werdet Ihr gehört haben, dass auch mein Vater das Kreuz genommen hat und wir schon lange auf seine Rückkehr warten. Ich hänge sehr an meinem…“
Ago wurde von lautem Alarmgeschrei unterbrochen.
Sein Kopf zuckte herum, der Blick fixierte den nahen Waldrand, denn nur von dort konnte Gefahr drohen. Im gleichen Moment hörte er den Hauptmann rufen.
„Öffnet das Tor, es sind die Männer des Grafen von Praunfalk.“
Um Agos Lippen spielte ein Lächeln. Er kannte den Reiter, der da gerade in vollem Galopp auf den Fahrweg zur Burg einbog, gefolgt von einer kleinen Eskorte.
„Wer ist es, der da in einem Höllentempo dahin fliegt?“ fragte der Priester.
„Es ist Freya, die Tochter eines Nachbarn, die von unserem Besuch erfahren hat und nun sehen möchte, wer da gekommen ist“, entgegnete Ago.
„Da sitzt eine Frau im Sattel? Nun, ja, dass passt zu diesem heidnischen Namen“, entgegnete der Priester, wobei er missbilligend die Stirn runzelte.
„Ihre Mutter entstammt einem dänischen Könighaus. Sie wurde auf den Namen der heiligen Agnes getauft“, entgegnete Ago. „Aber sie hört nur auf Freya, dem Namen ihrer Urgroßmutter, die sie sehr geliebt hat.“
Ago, der Freya fast ein ganzes Jahr nicht gesehen hatte, freute sich über den Besuch der Nachbarin.
Mit seiner Freude war es jedoch im nächsten Augenblick vorbei. Freya wandte sich im Sattel herum um nach ihrer Eskorte zu sehen. Sie kam zu weit nach links. In dem weichen Boden strauchelte ihr Pferd, schlug zu Boden. Freya wurde aus dem Sattel geworfen und prallte hart auf dem Fahrweg auf.
Ago stockte der Atem. Wie gelähmt blickte er auf Freya, die da unten, im Staub des Weges lag.
„Ruft nach meiner Mutter, sie ist verletzt!“
Er stürmte die Treppe des Wehrganges herab, gefolgt vom
Priester und Arnulf.
Kaum dass Ago Freya erreichte, kniete er nieder. Sie war
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