Der Exklusivkoch arbeitete heute - extra eingeflogen aus München - im Untergeschoss des Kanzleramtes in einer supermodernen Küche, wo er von den folgenden schrecklichen Ereignissen erst ziemlich spät, fast zu spät, erfuhr. Eine weibliche Bedienung, eine sehr stilvolle junge Frau mit brünettem Haar unter ihrem Häubchen, kam an unseren Tisch. Niemand schien etwas anderes zu wollen als Mineralwasser oder, wie ich, Cola Zero, das man uns in einem schicken Metallgefäß voller Eiswürfel kühlte. Wir beobachteten die unruhigen Vögel auf den Baum-Ästen im Kanzleramtsgarten.
Plötzlich überkam mich ein komisches Gefühl und in meinem Geiste sah ich vorüberfliegende Drohnen, immer taumelnd, in Gefahr abzustürzen – und reflexartig warf ich Uschi, unserer Drohnenexpertin, unauffällig einen Blick zu. Sie saß ziemlich ungerührt auf ihrem Platz, etwas steif, vielleicht sogar so steif wie ihre Frisur. Und dann lenkte ich mich ab und stellte mir vor, wie auf der Friedrichstraße hübsche Frauen ihre zunehmend nervösen Hunde eilig Gassi führten.
Als mir dies nicht weiterhalf, wandte ich mich mit einem Ruck an den Kanzlergatten; ich weiß auch nicht, was mich geritten hatte, jedenfalls fragte ich ihn ganz unverblümt: “Wie sollte man unter physikalischen Gesichtspunkten das Fracking beurteilen, was meinen Sie, Herr Sauer?“ Ich kann mich erinnern, dass er mich mehr als nur merkwürdig ansah. Vielleicht zweifelte er in diesem Moment an meinem Verstand, und ich glaube, einen kurzen Augenblick lang zweifelte ich selbst daran. Denn das war keineswegs eine der üblichen Small-Talk-Fragen, die man auf der Party von Sauers Gattin hätte stellen sollen. Aber nun war mir die Frage in all meiner Hilflosigkeit herausgerutscht und so musste ich das Beste daraus machen.
„Fracking kennen wir hier ja gar nicht“, sagte er trocken und stocherte mit professoraler Würde in Lafers Kartoffelsalat herum.
„Ich meine, diese tiefen Bohrungen und all die Chemie, die Umweltschäden …“
„Nicht hier. Haben wir hier nicht“, wiederholte er knapp sein Statement.
„Aber in Amerika; man liest so viel darüber …“
„Ja, es wird viel geschrieben.“ Sauer sah zur Kanzlerin und sie sah zu mir. In ihrem Blick loderte jener Funke Misstrauen auf, der mich veranlasste, die entscheidende Frage nicht zu stellen. Zu gerne hätte ich gewusst, ob der Kanzlergatte eingeweiht war in das Wissen seiner Frau. Ob er wusste, dass amerikanische Unternehmen in der Ukraine experimentierten. Eine unangenehme Stille entstand. Langsam dämmerte mir, dass ich ihm die Frage vielleicht in vertrauter Zweisamkeit hätte stellen sollen. Um die Peinlichkeit zu überbrücken, landete ich meinen nächsten Gesprächsversuch nun bei einer sicheren Zielperson, bei Gabriele Krone-Schmalz, und ich sagte: „Schön, dass Du doch noch gekommen bist.“ Sie hat extra wegen der Kanzleramts-Party einen Termin für den Bericht aus Berlin mit der ARD abgesagt. Doch man hatte ihr versprochen, sie stattdessen in der Folgewoche zu interviewen. Das war ein Wort. Ob man jedoch Wort hielt - das war Gabriele wohl bewusst -, war eine andere Sache. Sie nickte mir milde zu. Sie spürt immer, wenn ich etwas aus Verlegenheit sage. Ich glaube mich zu erinnern, dass sie kurz meinen unbeholfenen Gesprächsfaden aufnahm und daraufhin jedenfalls ein paar der üblichen Höflichkeiten mit Angela wechselte; wahrscheinlich Belanglosigkeiten, obwohl das nicht ihr Ding ist. Ich weiß es nicht mehr.
Nach dem Abendessen ging Yousef im hinteren Bereich des Kanzleramtsgartens auf sein Klettergerüst, um Pirat zu spielen. Ein Sicherheitsbeamter begleitete ihn, weil die Kanzlerin meine Anwesenheit an ihrem Tisch wünschte und weil ich ungern meine Begleiterin Gabriele alleine am Tisch zurück gelassen hätte; die Kanzlerin spürt so etwas. Was immer man politisch über sie denken mag, aber in solchen Punkten ist sie absolut feinfühlig. Wir konnten Yousef aus der Ferne beobachten. Er saß auf dem Ausguck und ich glaubte, ihn rufen zu hören: „Achtung, Schiff backbord. Bereit zum Entern!“
Rundum herrschte Partystimmung. Die Puhdys, eine bekannte Rockband aus DDR-Zeiten, spielten in angenehmer Lautstärke Songs der achtziger und neunziger Jahre. Ich vernahm Stimmen, die ich, ohne mich größer umsehen zu wollen, versuchte, irgendwelchen bekannten Personen zuzuordnen. Hörte ich da nicht die Stimmen der gut versicherten Veronika Ferres und ihrem Gemahl Maschmeyer? Na klar. Und dann schien ich Til Schweiger zu hören, und etwas weiter entfernt vernahm ich zwei unangenehme Stimmen, auf die ich heute wirklich hätte verzichten können; sie gehörten, ich war mir sicher, zu Alice Schwarzer und Wolf Biermann.
Nun hatten unsere Tischgäste die wetterbedingte Lustlosigkeit doch noch überwunden und sich bis eben angeregt und locker unterhalten. Aber jetzt saßen die Kanzlerin, ihre Tischgesellschaft und ich eine kurze Zeitlang da, ohne viel zu reden, tranken kaltes Cola, O-Saft oder Wasser und blickten hinüber nach Osten in Richtung des hochragenden Berliner Fernsehturms. Die immer grünen Bäume des äußerst gepflegten Kanzleramtsgartens sahen staubig aus und wirkten erschlafft. Selbst der immer blaue Himmel der letzten Tage nahm allmählich ein staubiges Blau an.
Im Osten bauten sich langsam massive purpurne Gewitterwolken auf, formierten sich wie eine grandiose und schlagkräftige Armee, wie gemacht für Frau von der Leyen. Ein feiner Nebel zog auf. Blitze zuckten, die selbst die dunklen Gewitterwolken in ein grelles merkwürdiges Hell verwandelten; sie waren noch weit entfernt und doch registrierte sie mein Bewusstsein, als zuckten sie unmittelbar vor dem Kanzleramt.
Yousef schrie vom Klettergerüst herunter: „Achtung, Blitzschüsse auf den Bug!“
Flinten-Uschi lachte. Man durfte sie niemals so nennen, aber wenn wir einfachen Mitarbeiter unter uns waren, rissen wir schon einmal Schoten und nannten sie so.
Ich musste zur Toilette. Als ich am Büro des Kanzleramtsministers Peter Altmaier vorbeikam, hörte ich, dass sein Radio - er war ein passionierter Radiohörer - auf jene Rundfunkstation eingestellt war, die vom östlich gelegenen Frankfurt/Oder klassische Musik sendet, und bei jedem Blitz gab es laute Störgeräusche von sich. Altmaier war ein dicker Freund von Angie, eine echte alte Seilschaft, ein typisch sparsames Nachkriegskind, was man seinem Bauchumfang jedoch nicht ansah. Sein Vater war Bergmann, seine Mutter Krankenschwester. Vielleicht war es das, weshalb viele in dem später einsetzenden Partychaos ihre ganze Hoffnung auf ihn setzten. Einst arbeitete er als Rechtsanwalt, dann eine Zeitlang als Hoher Beamter in der Generaldirektion der Europäischen Kommission.
Altmaier war einem kleinen Dorf an der Saar entsprungen, und hier oben in Berlin hatte er in Affengeschwindigkeit eine Karriere im Kanzleramt hingelegt. Er hatte sich vor zwei Jahren mit mir zerstritten, und er hat ein Elefantengedächtnis und kann weder vergessen, noch verzeihen. Er hatte gegenüber dem Vizekanzler Gabriel behauptet, ich nutze meine Stellung als Kanzlerin-Biograf, um die Regierungschefin politisch zu beeinflussen, was natürlich völliger Quatsch war. Er spielte auf meine Einstellung zur Ukraine an, deren Regierung ich wahrhaftig nicht als leuchtendes Vorbild einer demokratischen europäischen Demokratie bezeichnen würde. Aber Siegmar Gabriel hatte ohne mich zu fragen in bester sozialdemokratischer Manier nichts Anderes zu tun, als dies weiter zu tratschen.
Die Sache kam vor die Kanzlerin. Sie stellte sich auf meine Seite, was Altmaier als Niederlage empfand. Er behauptete, ich hätte nur gewonnen, weil sie und ich uns duzten und weil er weniger im Kanzleramt sei als ich. Und weil er kein »Privatsekretär« wäre, so wie ich. Und weil ich »besondere Beziehungen« zu Frau Merkel hegen würde. Das war schon nicht mehr nur Quatsch, das grenzte stark an Verleumdung, und Altmaier und ich empfinden seitdem wenig Sympathie für einander.
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