Schärenfahrt – nicht schiffbrüchig, sondern mit dem Rettungsboot auf Erkundungsfahrt
Leider habe ich über die Reisen mit der JONNY JONAS kein Tagebuch geführt, und ich kann die damaligen Reisen und Häfen nur aus den lückenhaft vorhandenen Briefen an meine Eltern rekonstruieren. Dass ich mich nicht mehr an alle Häfen erinnere, liegt auch daran, dass sie sich mit ihren Schuppen und Anlagen sehr ähnlich sahen und die Liegezeiten oft sehr kurz waren, so dass man von Land und Leuten wenig zu sehen bekam.
Manchmal mussten wir auch beim Laden oder Löschen mitarbeiten. Das wurde extra bezahlt, war aber eine schwere Schinderei. Einmal haben wir an einem Tag mit vier Mann in der Luke 3.000 Säcke mit Salpeter zu Hieven gepackt. Meine Hände waren nachher trotz Handschuhen total zerfressen und wund.
Ich stelle die Reisen mal in einer Tabelle zusammen so gut es geht.
Reisen mit MS JONNY JONAS:
17. – 18. Januar 1958 Aarhus, Dänemark (DK) mit Koks aus England (GB) 28. in Ballast nach Kiel
02. – 10. Februar warten in Hamburg-Finkenwerder auf Ladung
16. – 21.Bergen, Norwegen (NO)
22. – 25. Molde (NO), laden Heringe für Boulogne, Frankreich (FR)
28. – 01. März Boulogne (FR)
02. – 04. Antwerpen, Belgien (BE), Kalischüttgutladung für Aalborg
07. – 08. Aalborg
10. Bremen, Kohleladung für Sarpsborg im Oslofjord (NO)
17. – 19. Stralsund, Zuckerladung für Hafen in Norwegen
21. – 24. Bergen (NO)
25. – 26. Drontheim (NO), Zucker gelöscht
26. – 28. Hommelsvik im Drontheimfjord (NO), Zelluloseladung
04. – 08. April Rouen (FR)
10. Amsterdam (NE), Koksladung für
25. Helsingborg, Schweden (SW)
27. Danzig, Polen (PO), Kohle für Cork in Irland (IR)
01. – 05. Mai Cork (IR)
06. – 08. Paddington bei Liverpool (GB), Koksladung für Larvik
12. – 15. Larvik im Oslofjord
16. – 21. Porsgrund (NO), Salpeter in Säcken für
22. – 23. Söderhamn (SW)
24. Köbmansholm (SW), Zellulose in Ballen für Rotterdam
03. Juni Rotterdam (NL)
05. – 08. Antwerpen (B), Kupfer und Blei in Barren für Kopenhagen und Helsingborg – danach in Ballast nach Stettin (PL), Kohle für Cuxhaven
16. – 18. Cuxhaven
23. – 30. Yxpilanti, (FI), Schnittholz für Kingston upon Hull, (GB)
Aus der Aufstellung kann man gut erkennen, dass wir ziemlich herumgescheucht wurden.
Obwohl wir an Bord auf engem Raum zusammenlebten, gab es kaum Kontakt zum Kapitän. Der Steuermann stammte aus Balje an der Unterelbe und sprach nur Platt mit uns. Das konnte ich anfangs nicht verstehen, was er mir als Aufsässigkeit anrechnete. Ich war froh, als er von einem anderen Steuermann abgelöst wurde.
Bei Gesprächen über unsere Zukunftspläne drehte sich immer alles um die große Fahrt nach Übersee. Auf den großen Schiffen sollte dem Vernehmen nach alles viel besser und leichter sein. Ziele wie die Karibik oder Südamerika lockten besonders. Keiner von uns war bisher auf großer Fahrt gewesen.
Als ich meine neunmonatige Fahrzeit als Schiffsjunge voll hatte, musterte ich am 20. Oktober 1958 ab und fuhr zu meinen Eltern nach Wevelinghoven in Urlaub. Ich besuchte auch meine Schulfreunde im Heim in Neuß. Dabei merkte ich, dass man in der abgeschlossenen Welt an Bord schnell den Anschluss an das normale Landleben verlieren kann und etwas unbeholfen wird. Andererseits wunderte ich mich manchmal über das kindliche Gehabe der Freunde.
Nach einem Monat fuhr ich wieder nach Hamburg, um mir ein Schiff zu suchen. Ich wohnte im Seemannsheim und ging jeden Tag zum Heuerstall (Arbeitsamt für Seeleute) wo ich auf ein Angebot wartete. Die Zeiten waren für Seeleute nicht günstig. Die deutsche Handelsflotte war nach den Kriegsverlusten erst wieder im Aufbau begriffen.
Der Heuerstall befand sich praktischerweise im Erdgeschoß des Seemannshauses gegenüber dem Stintfang an der Geestrückenkante über den Landungsbrücken. Jetzt befindet sich in dem Gebäude das Hotel „Hafen Hamburg”. In dem großen Raum im Erdgeschoß saßen viele Arbeit suchende Seeleute jeden Alters und warteten, bis sich eine kleine Fensterluke öffnete und eine Stimme ein Angebot ausrief. Daraufhin meldeten sich die Interessenten am Schalter. In der Wartezeit unterhielten sich die Leute und erzählten von ihrem letzten Schiff und ihren Erfahrungen mit den verschiedenen Reedereien, von denen es gute und schlechte gab. Für mich war das sehr spannend und lehrreich. Natürlich wurde auch Seemannsgarn gesponnen.
Im Hamburger Seemannshaus an der Seewartenstraße – heute ‚Hotel Hafen Hamburg’ befand sich der „Heuerstall“
Nach einigen Tagen, ich hatte vorher schon mehrfach am Schalter meinen Wunsch nach einem Schiff in die Karibik geäußert, wurde ich aufgerufen. Ich sollte als Jungmann mit 110 DM Heuer auf der „WILHELM BORNHOFEN” anmustern. Der Mann hinter der Luke versicherte mir ausdrücklich, dass das Schiff nach einer Zwischenreise in die Ostsee tatsächlich in die Karibik fahren würde. Am 20. November 1958 musterte ich in Kiel-Holtenau auf der Schleuse an. Die Reise ging zum Holzladen nach Kemi in Finnland, das ich ja schon von meiner Kümozeit her kannte.
Motorschiff WILHELM BORNHOFEN
(ex „MARIE HORN”, ex „BOCA RATON”, 1935 ex „RIO BRAVO” Norwegen, 1936 „AMIN”, 1959 in den Libanon, 1960 Abbruch
Reederei Bornhofen, Hamburg
Werft: Friedrich Krupp AG, Kiel, Baujahr 1925,
3.132 BRT, 4.578 tdw, Länge ü. a: 93,2 m, Breite: 14,5 m, Tiefgang: 7 m, Geschwindigkeit: 10 kn, Fahrtgebiet: Große Trampfahrt sowie Nord- und Ostsee
MS WILHELM BORNHOFEN
Das Schiff war ein alter Vorkriegsbau aus dem Jahr 1925, eines der ersten Motorschiffe Deutschlands. Es war mit seinen 3.000 BRT und 90 m Länge viel größer als das Kümo. Da mehr Personal an Bord war, fiel mir die Arbeit leicht. Ich kannte mich ja auch schon aus. Auf dem Kümo war ich als Moses schon mit allen Bordarbeiten in Berührung gekommen, nur mit weißer Farbe durfte ich noch nicht malen, das war nur den Matrosen vorbehalten. Mit dem alten Aussehen des Schiffes und seinem vergammelten Zustand fand ich mich schnell ab. Die Ladearbeiten in Kemi dauerten über zwei Wochen. Es wurden 4.500 Tonnen Schnittholz geladen, auch als Decksladung. Als wir beim Auslaufen vom Pier ablegten, blieb das Schiff mitten im Hafenbecken in einer Neueisdecke stecken. Es wurde bitterkalt. Die Heizung meiner Kammer schaffte es nicht, die Eisschicht an der Innenwand des Schiffes abzuschmelzen, an der meine Koje lag, und die Toiletten froren ein. Man verrichtete sein Geschäft auf eine Schaufel und warf den Segen über Bord. Bald war das Eis rings um das Schiff mit braunen Häufchen bepflastert. Das Schlimmste war, dass ich meine Ausrüstung für die Tropenfahrt zusammengestellt hatte und mir warme Sachen fehlten. Um wenigstens etwas Wärme zu finden, gingen wir abends über das Eis an Land und hielten uns in Kaffees auf, bis sie schlossen. Alkoholausschank war in Finnland verboten. Ab und zu schmuggelten wir eine Flasche Schnaps mit an Land. Dann waren wir bei den Finnen sehr beliebt.
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