bereits Kampflärm, und nun setzten sich auch die Barbaren am Waldrand
ihnen gegenüber in Bewegung. Helrund spuckte aus und befeuchtete seine
trockenen Lippen. »Wir müssen so viele wie möglich von ihnen töten. Jeder
Stoß gibt unserem Volk ein wenig mehr Zeit, die neue Heimat zu finden.«
Otan stieß einen warnenden Ruf aus, und die beiden Pferdelords hoben
instinktiv ihre grünen Rundschilde. Mit leisem Pochen schlugen Stachelpfeile
in das Holz. Währenddessen spannte Otan die Sehne seines Jagdbogens und
begann seine Pfeile zu lösen. Doch es war ein einseitiges Duell zwischen den
wenigen Jägern auf Tarsilans Mauer und den Barbaren, die sie berannten.
Jeder Pfeil wurde von Hunderten scharfer Stacheln beantwortet, und Helrund
und Palwin mühten sich redlich, den fluchenden Jäger zu decken, der damit
beschäftigt war, seine Pfeile in schneller Folge auf den Feind zu schießen.
Einige wenige Barbaren stürzten, aber die anderen drangen unaufhaltsam vor.
Schließlich stieß Otan einen leisen Schrei aus und kippte hintenüber.
Helrund sah noch einen Stachelpfeil aus dem Auge des Jägers ragen, bevor
dieser haltlos von der Mauer stürzte. Er sah seinen Kampfgefährten Palwin
grimmig an und lauschte dem Schaben und Kratzen unter ihnen an der Mauer.
»Bald werden sie über die Brüstung kommen. Sie legen bereits die Leitern an.
Dann werden wir dem Tod ins Auge sehen, alter Freund.«
Palwin lächelte. »Und sie unserem Stahl, alter Freund. Mögen die
Legenden noch lange unseren Ritt zu den Goldenen Wolken besingen.«
Die beiden Pferdelords standen geduckt auf der Mauer, und als die ersten
Barbaren zwischen den Zinnen erschienen, zuckten ihre Lanzen vor und
stießen die Angreifer in den Tod. Die flinken Augen und geübten Reflexe der
beiden Kämpfer führten ihre Handlungen. Sich gegenseitig mit den Schilden
deckend, töteten sie jeden, der sich vor ihnen zeigte, und so gelangte keiner
der heraufkletternden Barbaren auf die Mauer.
Aber rechts und links der beiden Kämpfer gab es viele ungedeckte Zinnen,
an denen bald schon die ersten Krieger des Sandvolkes auf den Wehrgang
sprangen und schreiend mit erhobenen Schädelkeulen auf die beiden
Pferdelords zurannten. Rücken an Rücken stellten sich Helrund und Palwin
nun ihrem letzten Kampf.
Unten in der Stadt bliesen erneut die Hörner, welche die Verteidiger von
der Mauer zurück in die Stadt riefen. In deren Zentrum, dort, wo sich der neue
Königspalast erhob, würde sich der Erste König des Pferdevolkes mit der
verbliebenen Hälfte seiner königlichen Wache dem letzten Kampf stellen.
Unter seinem Banner würden sie dort sterben, doch ihr Tod würde das
Überleben des restlichen Volkes sichern. Gemeinsam mit dem König würden
auch die letzten Verteidiger fallen, ebenso wie jene ihrer Frauen und Kinder,
die sich entschlossen hatten, an ihrer Seite zu sterben.
Helrund und Palwin erlebten diesen letzten Kampf nicht mehr. Die
erdrückende Übermacht der Barbaren überwältigte sie schließlich. Doch als
sich das Blut der toten Pferdelords auf der Mauer Tarsilans vermischte, war es
wie ein Symbol für die erst vor Kurzem erfolgte Vereinigung des
Pferdevolkes.
Nur an wenigen Stellen der Mauer wurde noch gekämpft, und nur wenigen
Verteidigern gelang es, sich zum Zentrum und zum Königsplast
zurückzuziehen. Sie wichen langsam und kämpfend zurück und ließen den
Feind dicht folgen. Auf dem großen Platz, auf dem sich der Palast erhob,
stellten sie sich unter dem Banner des Königs dem Gegner, dessen Vorhut mit
Triumphgeheul auf sie einstürmte.
Nochmals zeigte sich die Zähigkeit des Pferdevolkes, als aus den Häusern
im Rücken des Feindes eine kleine Schar Kämpfer hervorbrach, begleitet von
den Frauen, die sich nicht nur darauf verstanden, Wunden zu heilen, sondern
diese auch dem Feind geschickt zuzufügen wussten. Männer und Frauen
starben massenhaft, nur die letzten Überlebenden zogen sich in den Palast
zurück.
Irgendwann erstarb der Kampflärm, und Stille senkte sich über die Stadt
Tarsilan. Die Krieger des Sandvolkes hatten gesiegt, aber einen hohen Preis
dafür bezahlt. Sie hatten keine Zeit, ihre Toten zu beklagen, ehrten sie jedoch
gemäß ihrer Tradition, bevor sie sich eilig nach Osten wandten, wohin die
Menschen des Pferdevolkes geflohen waren. Man durfte sie nicht entkommen
lassen, denn womöglich würde sich das Volk bald erholen und eines Tages
Vergeltung suchen. Also würde man den Pferdemenschen folgen und auch die
letzten Schädel nehmen.
Die Krieger des Sandvolkes nahmen den schnellen Schritt auf, der typisch
für ihre Clans war. Sie waren entschlossen, die Menschen des Pferdevolkes
noch vor der Grenze einzuholen. Diese führten auf der Flucht ihre Kinder, die
Alten und Kranken, ihre Herden und das nötigste Hab und Gut mit sich. Sie
würden nur langsam vorankommen, trotz all der Pferde, die sie dabeihatten.
Der Führer der Clans wusste, dass die Fliehenden von den letzten Männern
der königlichen Wache begleitet wurden. Doch das waren nicht mehr viele,
vielleicht gerade einmal zweitausend Lanzen.
Der Führer des Sandvolkes behielt recht. Sie holten die Fliehenden an der
Grenze ein, und tatsächlich waren es nicht mehr als zweitausend der
Pferdelords. Aber diese hier waren beritten.
Hinter den Barbaren blieb die ausgelöschte Stadt Tarsilan zurück. Der
Sand begrub die Wälder und die Stadt unter sich; er bedeckte gnädig den Ort
des Todes, um ihn eines Tages wieder freizugeben.
In der Gegenwart des Pferdevolkes…
Es war ein sanfter und warmer Wind, kaum mehr als ein Hauch, der
unmerklich von Westen nach Osten strich und nicht erahnen ließ, zu welchem
Sturm er anwachsen und welche Gewalt er bringen konnte. Der Wind
bewegte die langen grünen Umhänge, welche die Schultern der Reiter
bedeckten. Diese standen in langen Reihen, eine hinter der anderen, und
blickten nach Osten, dorthin, wo sich hinter steilen Gebirgszügen die neue
Heimat des Pferdevolkes erstreckte.
Zweitausend Reiter sahen ihr entgegen, doch keiner von ihnen würde sie
jemals erreichen.
Die ausgeblichenen Umhänge waren verschlissen und verfallen, so wie das
Fleisch der Reiter und ihrer Pferde längst verfallen war. Hölzerne Stützen
hielten Mann und Ross aufrecht und vermittelten den Eindruck von Leben,
wo schon so viele Jahre kein Leben mehr war.
Der Wind ließ Rüstungsteile und Knochen aneinanderschlagen und rief ein
leises Klappern hervor, als pochten die Hufe der Pferde noch über den Sand,
als schlügen die Reiter noch immer kampfeswillig die Waffen gegen ihre
grünen Rundschilde. Der Wind und der Sand des Dünenlandes forderten ihren
Tribut. Sie hatten die Knochen von den Sehnen gelöst, und ausgebleichtes
Gebein lag zwischen den Reihen der Reiter am Boden. Es wurde vom Sand
bedeckt, den der Wind herantrug, und von der nächsten Windbewegung
wieder freigelegt.
Die Toten trugen ihre Helme, an denen noch die Reste stolzer
Rosshaarschweife zu erkennen waren. Aber diese Helme bedeckten keine
Köpfe mehr, sondern steckten auf kurzen Stangen, denn jene, die den Reitern
einst das Leben raubten, hatten den Toten auch die Schädel genommen, als
Zeichen des Triumphes über die Männer mit den grünen Umhängen.
Die Toten waren Pferdelords und gehörten einst der Wache des Ersten
Königs an. Sie hatten die Grenzen des Pferdevolkes bewacht und das Volk
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