Jane setzte ihr Fernglas ab, während Galam weiter auf die Rauchsäule starrte.
„Probleme?“, erkundigte sich Francis.
„Vielleicht!“, erwiderte Jane wortkarg. Ihr Gesicht spiegelte Nachdenklichkeit und Besorgnis.
„Könntet ihr mich einweihen? Was bedeutet der Rauch?“
„Große Schwierigkeiten!“, entgegnete Galam.
Francis verdrehte verärgert die Augen, was Jane zu einem schwachen Grinsen reizte.
„Der Ort ist etwa fünf Meilen Luftlinie entfernt. Es handelt sich um einen befestigten Platz, Sitz eines Clans. Häuser aus Holz, Torf und Lehm, umgeben von zwei konzentrischen Steinmauern und tiefen Gräben. In dieser Zeit bedeutet das knapp vierzig Krieger und deren Familien.“
„Die Rauchmenge entsteht nur, wenn buchstäblich alles brennt“, fügte Galam hinzu. „Ich schließe einen Unfall aus. Wir hatten bis vor kurzem Regenwetter. Das Stroh der Dächer muss noch feucht sein. Darum ist der Rauch dunkel.“
„Die Häuser brennen also von innen nach außen“, meinte Francis, worauf Jane nickte.
„Vermutlich ein Überfall. Aber ich kapiere das nicht! Der Clan ist uneingeschränkter Herrscher des Gebietes um uns herum, friedlich zu anderen. Niemand redet schlecht über sie. Die Steinmauern sind gut zu verteidigen. Seit Sonnenaufgang vergingen nur ein paar Stunden. Jetzt brennt alles!“
„Okay, irgendjemand hat den Clan überfallen“, bemerkte Francis ungerührt. Wieso schenkte man den üblichen Zwistigkeiten des aktuellen Jahrhunderts so viel Aufmerksamkeit? „Diese Zeit ist brutal, dauernd sterben irgendwelche Leute einen gewaltsamen Tod. Was kümmert uns das?“
„Das sind keine Fußnoten in einem Geschichtsbuch, sondern Tragödien, du Universitätsfuzzi“, knurrte Jane. „Ob es mit den Nachrichten in den letzten Tagen ...“
Sie ließ den Satz unvollendet, hob stattdessen abermals das Fernglas. Sie schien mit sich selbst zu hadern. Die Hände zitterten leicht.
„Wir müssen näher heran“, forderte Galam.
Jane schwieg, starrte die Rauchsäule an. Francis wurde zunehmend unruhig. Warum klärte man ihn nicht auf? Was war besonders an diesem Überfall, dass Jane so nervös darauf reagierte? Wen interessierte der Angriff auf ein Dorf? Die Organisation arbeitete geheim und ohne Einmischung in die Zeitlinie, wie man erklärt hatte. Nach dem Verständnis von Francis konnte man die Angelegenheit mit dem Clan ignorieren.
„Wir müssen sicher sein“, sprach Galam nochmals eindringlich. „Du weißt, was auf dem Spiel steht!“
Jane kämpfte sichtlich mit ihren Emotionen, vermied den direkten Blickkontakt und legte die Hände auf die Brüstung. Ein Windstoß blies eine Haarsträhne in ihr Gesicht, sie ignorierte es. Ihre Augen schweiften über die Landschaft. Die Finger trommelten auf dem Plastik, erzeugten dumpfe Töne. Schier endlos vergingen die Sekunden.
„Einverstanden, aber nicht mehr heute. Die Angreifer könnten noch in der Gegend sein. Morgen bei Sonnenaufgang reiten wir los.“ Sie drehte sich zu Francis um. „Es gibt in letzter Zeit komische Gerüchte von herumziehenden Händlern. Da draußen geschehen merkwürdige Dinge und sie wandern vom Landesinneren in Richtung Westküste.“
„Was für Dinge?“
Jane verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust und blickte zu Boden.
„Leider macht keiner den Mund auf. Vor lauter Aberglauben und Angst weigern sie sich, es genauer zu beschreiben. Sie wollen damit verhindern, dass es sie trifft.“
„Hüte dich, über den Teufel zu sprechen, sonst kommt er zu dir“, zitierte Francis einen alten Spruch.
„So ungefähr. Morgen werden wir auf jeden Fall Neues erfahren. Vielleicht sogar mehr, als uns lieb ist.“ Sie musterte Francis herausfordernd. „Interesse an einem ersten Ausritt für die Organisation?“
„Wie sieht die Bewaffnung aus? Bekomme ich eine Pistole?“
Als Jane den Kopf schüttelte, klappte bei Francis der Unterkiefer nach unten. „Nein! Galam ist mit deinen Fortschritten im Schwertkampf zufrieden. Auch deine Fitness wird besser.“
„Was? Ich soll morgen in das Unbekannte reiten mit einem Schwert als alleinige Waffe?“
Jane zeigte keine Gefühlsregung. Ruhig musterte sie Francis, mit einer Spur Spott im Blick, wie er meinte. Er wurde aus der Frau nicht schlau. Sie führte ihn an der Nase herum.
„Wie du schon sagtest: Die Zeit ist brutal und dauernd sterben irgendwelche Leute einen gewaltsamen Tod.“ Sie grinste schnippisch. „Das ist die Gelegenheit für einen Universitätsfuzzi, diese Dinge persönlich kennenzulernen. Interesse?“
Francis kämpfte mit seinen Emotionen. Der Ausflug in die Landschaft wäre ein Sprung in das kalte Wasser einer gefährlichen Welt. Jane warf ihn direkt hinein, ohne geeignete Ausrüstung. Sollte er zustimmen? Wie würde sie auf eine Ablehnung reagieren? Er musste ein vollwertiges Mitglied der Organisation werden, um jeden Preis! Sonst kam er nie zurück in seine eigene Zeit.
„Ich gehe mit“, erwiderte Francis schließlich tonlos. Was ging hier vor?
*
Jane wählte einen Pfad dicht an den Bergen. Die Landschaft zeigte ihre herbe Schönheit, wenige Gräser und Sträucher wuchsen auf dem dünnen Humus, die Pferde traten zumeist auf Moose und Flechten. Licht und Schatten wechselten je nach Höhe der umgebenden Hügel. Flächen mit großen Steinen bildeten Hindernisse, zwangen zum Absteigen. Francis fragte sich, ob sie überhaupt jemals ankommen würden.
Sie wichen weitläufigen Moorlandschaften aus, mit vielen Büschen und einzelnen Bäumen. Francis hatte öfters den Eindruck eines Zickzack-Kurses, den Jane einschlug. Mal ging es durch dichten Wald, Vögel zwitscherten fröhlich, dann kam wieder eine karge Steinebene. Nur Grasbüschel wuchsen in rauer Menge. Die Hufe der Tiere machten helle Geräusche auf dem felsigen Untergrund.
Nur Galam und Jane besaßen Pistolen, versteckt unter dem Überwurf, welcher, mit Spangen an der Tunika befestigt, als Mantel diente. Beim Aufbruch aus der Station hatten sie merkwürdige längliche Lederbeutel an ihren Sätteln angebracht, Auskünfte über den Inhalt abgelehnt.
Francis schwitzte unter den beiden Tuniken. Man trug in dieser Zeit eine Leinentunika, die bis zu den Oberschenkeln reichte, direkt am Körper und eine aus grober Wolle darüber. Das unterband zwar das Scheuern auf der Haut, doch in den sommerlichen Temperaturen führte es zu einem Hitzestau. Der Schweiß rann in Strömen, machte unangenehm die Leinenhose nass. Francis fragte sich ernsthaft, ob es für einen Beobachter aussah, als hätte er es nicht zur Toilette geschafft. Das Gefühl einer vollen Blase spürte Francis keineswegs. Die Unmengen an Wasser, die er aus den Feldflaschen trank, schien er vollständig auszuschwitzen.
Hinter zwei eng beieinanderstehenden Bergen sah Francis ein bewaldetes Tal, in das der breite Bach mündete. Die Pferde wurden an der Hand langsam durch das Wasser geführt, das in die Lederstiefel der Reiter eindrang. Francis kam die Abkühlung nicht ungelegen. Platschend tönten die Beine der Tiere im Wasser, Libellen flogen elegant herum. Francis widerstand dem Wunsch, sich einfach hineinfallen zu lassen und die Erfrischung zu genießen. Jane würde schlimmer reagieren als sein alter Sergeant während der Grundausbildung.
Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich der Bach in die Landschaft eingegraben. Links und rechts verhinderten dichte Sträucher einen Blick von außen hinein. Leider galt das auch umgekehrt, wie Francis mit Bedauern feststellte. Bei jedem Rascheln in den Sträuchern griff er erschrocken nach dem Schwert an seiner Seite. Am Ende des Einsatzes hatte er bestimmt einige graue Haare. Verkniffen ging er weiter. Das Rascheln störte außer ihm niemanden sonst.
Der Wind spielte mit den Büschen an den Ufern und gelegentlich flog ein Vogel vorbei. Ansonsten saßen sie in den Sträuchern, sangen laut. Alles vermittelte einen friedlichen Eindruck, den nur die besorgten Gesichter der beiden Begleiter trübten. Jane hatte auf dem Bachbett bestanden, wollte eine unbemerkte Annäherung an den Wohnort des Clans.
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