„Was für Erkenntnisse?“
„Nichts, was dich betrifft“, wich Jane aus. „Seitdem der USB-Stick bei uns liegt, geschehen da draußen ungewöhnliche Dinge.“ Sie blickte nervös zur Seite. Es kam Francis vor, als wollte sie ihre Mimik vor ihm verbergen. Wozu? Was lief im Hintergrund? „Ich sage Galam Bescheid. Verlasse jetzt mein Zimmer.“
Francis fand die Situation mysteriös. Mit Schwertern zu üben hielt er für anachronistisch, jedoch führte der Weg zurück in das 21. Jahrhundert nur über die Mitgliedschaft in der Organisation. Im Detail bedeutete dies, den Anweisungen und Forderungen einer ehemaligen Türsteherin zu folgen. Francis fühlte sich unwohl bei dem Gedanken. Jane war nett, doch das reichte nach seiner Ansicht nicht für die Qualifikation als Anführerin einer Gruppe aus. Sie verbarg vor ihm die bei den Ausritten gewonnenen Ergebnisse. Ihre nebulösen Bemerkungen fand Francis wenig vertrauenserweckend. Sie verschwieg ihm Details nicht nur aus Misstrauen, wie er zu erkennen glaubte. Jane wusste wenig, hatte aber Vermutungen, die ihr Angst einjagten.
„Ich werde üben“, sagte Francis mit trockenem Mund und flauem Gefühl im Magen.
*
Francis taumelte zurück. Die Wucht des Schlages von Galam traf ihn unvorbereitet. Bedrohlich hob sein Sparringspartner erneut das Schwert und ließ es in einem eleganten Schwung herabfallen. Diesmal wich Francis aus, entging dem Treffer an den Beinen. Sein Gegenangriff scheiterte grandios, die Klinge Galams schlug hart gegen die linke Schulter und verursachte einen stechenden Schmerz. Francis schrie auf, krümmte den Rücken. In der linken Körperhälfte fühlte er gar nichts mehr.
„Du bist zu langsam“, bemerkte Galam sachlich. „Deine Bewegungen sind vorhersehbar und die Beinarbeit ist grauenhaft. Außerdem ermüdest du zu schnell, die Gesamtfitness ist das größte Problem.“
„Ich bin aus der Übung.“ Francis keuchte und griff zur Wasserflasche am Boden. Wie ein Verdurstender schüttete er fast die Hälfte in einem Zug gierig in die Kehle. Die Wochen seit seiner Entlassung hatte er im Pub verbracht. Die Rache dafür folgte nun auf dem Fuße. Ein drahtiger junger Mann zeigte ihm deutlich die Fehler der Vergangenheit auf.
„Du solltest die Wendeltreppe mehrmals am Tag hinauf und wieder herunterlaufen“, schlug Galam vor. „Das ist ein gutes Training. Wir machen eine Pause.“
Francis nickte dankbar. Sie übten in einem fast leeren Lagerraum. Lediglich in einer Ecke standen gestapelte Dosen, die Etikette deuteten auf Fertignahrung hin. Galam saß auf dem Boden, drehte gelangweilt das Holzschwert in den Händen, während Francis den Schweiß von der Stirn wischte. Er atmete stoßweise und schnell.
„Gibt es eigentlich eine Art Terminplan für deinen Einsatz im 21. Jahrhundert?“, erkundigte er sich wie beiläufig, um sein Wissen zu vergrößern.
„Nein. Es ist abhängig von der Punktzahl des Personalkontos. Der Dienst in Stationen erhöht die Zahl, sofern die Leiter mit der Arbeit zufrieden sind. Eydis durfte in deine Zeit reisen. Sie war bereit.“
„Diese Politikersache“, ergänzte Francis und studierte dabei die Mimik von Galam. Doch er blieb gelassen, schien den Auftrag nicht zu kennen. „Welche Fähigkeiten besitzt du, die im 21. Jahrhundert gebraucht werden?“
„Wenige“, gab der junge Mann zu, spielte mit seinem Schwert. „Ich beherrsche Schusswaffen, bin körperlich gut trainiert. Außerdem habe ich einen sechsten Sinn für Gefahren. Lediglich Eydis ist darin besser als ich. Jane meinte, dass ich als Bodyguard arbeiten könnte. Da passt man auf wichtige Leute auf. Ist das korrekt?“
Francis nickte zustimmend. Wer gefährdete Personen schützte, erfuhr viel über ihr Privatleben. Gewisse Leute würden intime Details interessant finden, sie für eigene Zwecke verwenden. Unruhe erfasste Francis. Während in der Gegenwart ein Netzwerk geflochten wurde, dessen Ausdehnung und Gefährlichkeit keiner kannte, saß er in der Vergangenheit fest. Weshalb die ominösen Meister der Zeit und die Organisation miteinander kämpften, war für Francis unwichtig. Beide Parteien mussten gestoppt und zerschlagen werden.
„Wieso ist diese Inga desertiert? Warum machte sie die Spielchen hier nicht mehr mit?“
Der junge Mann stoppte das Spiel mit der Waffe, seine Hände umklammerten für einen Moment den Schwertknauf sehr heftig. Dann wurde er ruhig. Galam machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Das ist eine lange Geschichte.“
„Ich mag lange Geschichten“, erwiderte Francis. Galam wollte dem Thema ausweichen, Francis spürte es deutlich. Wenn er am Ball blieb, redete der Mann bestimmt. Sein Gesprächspartner schwieg einige Sekunden, starrte die gegenüberliegende Wand an.
„Inga war die gute Seele der Station und die Stellvertreterin von Jane.“
„Mit Jane kommt man prima aus, oder?“
„Sogar perfekt!“
Francis grübelte. Positive Zusammenarbeit und trotzdem Desertion? Wieso entschied Inga so? Das passte nicht zusammen. Francis ließ das Thema fallen. Andere Informationen waren jetzt wichtiger.
„Bestimmt freust du dich schon auf das 21. Jahrhundert und kannst die Versetzung kaum erwarten?“
Galam drückte den Schwertknauf so fest, dass die Knöchel der Finger weiß wurden. „Es hält mich etwas hier. Sie heißt Fenella.“
Abrupt stand Galam auf. Eine Zornesfalte zeigte sich auf seiner Stirn. Francis überraschte die Reaktion. Was war schief gelaufen?
„Wir machen heute Nachmittag weiter. Bis dahin läufst du mehrfach die Treppe auf und ab. Dein Training war bisher nicht aktiv genug, du strengst dich zu wenig an. Falls keine Änderung passiert, werde ich Jane sagen, dass du ungeeignet bist.“
Francis blickte irritiert. Okay, das mit dem Schwertkampf hatte er etwas ruhig angehen lassen. Galam hingegen nahm es anscheinend sehr ernst.
„Du wirst dich die nächsten Tage anstrengen wie verrückt, oder es ist vorbei mit der Aufnahme in die Organisation. Ist das klar? Ich bin dein Trainer und kein Ausgleich für fehlende Gesprächspartner. Ab sofort keine Fragen mehr sondern viel Schweiß!“
Er ließ er das Holzschwert fallen und stürmte aus dem Raum. Francis blieb erschrocken zurück und trank die Wasserflasche leer. Leicht schwankend verließ er den Übungsraum. Die mangelnde Fitness zeigte sich deutlich, der Kreislauf machte Probleme. Francis erkannte bitter seine Unfähigkeit, den Anforderungen gerecht zu werden. Der Mitgliedschaft in der Organisation war er nicht wesentlich näher gekommen. Das Training musste intensiviert werden, sonst fiel jede Hoffnung auf eine Heimkehr flach.
Langsam begann die Verzweiflung an Francis zu nagen.
*
Einige Tage später vermisste Francis seinen Sparringspartner. Im Übungsraum empfing ihn gähnende Leere. Galam besaß einen ausgeprägten Sinn für Pünktlichkeit. Einen Termin zu versäumen passte nicht zu ihm. Francis fühlte aufsteigende Unruhe. Hatte Jane heimlich das Training abgesagt? War sie mit seiner Leistung unzufrieden? Francis hatte alle Möglichkeiten zur Formsteigerung ausgenutzt, bis zur völligen Erschöpfung trainiert. Das sollte man honorieren.
Francis blickte suchend und mit nervös gefalteten Händen in den menschenlosen Gang. An der Wendeltreppe sah er einen fahlen Lichtstrahl, was auf eine offene Luke zum Turmzimmer hindeutete. Neugierig geworden, erklomm Francis kurzentschlossen die Stufen.
Galam und Jane standen an der als Felsen kaschierten Brüstung, starrten angestrengt durch Ferngläser. Niemand beachtete ihn. Die beiden schwiegen, bewahrten äußerste Konzentration. Francis stellte sich absichtlich neben Jane, versuchte das anvisierte Objekt zu entdecken. In der Blickrichtung sah er nichts, was zunächst Frust bei ihm weckte. Erst nach einer Weile bemerkte er eine Rauchsäule, die in größerer Entfernung hinter einer Hügelkette in den Himmel stieg. Die Farbe war dunkelblau bis schwarz, der Rauch hatte nur eine kleine Ausdehnung. Es schien kein Waldbrand zu sein.
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