Meine Ohren hörten sie. Sie waren fast da. Sehweite sei Kraftweite, hatte ich gehört. Wenn die mich sehen konnten und mit der Kraft lähmten, dann starb ich gewiss.
Ich sprang in den Fluss, der mich zu den Schnappern ins Meer brachte.
Wasser.
Ich sank.
Die Tiefe empfing ein zurückkehrendes verloren geglaubtes Kind.
Klarheit.
Die Menschen beherrschten das Land. Ich war definitiv einer. Warum liebte ich das Wasser, das Meer, Flüsse, Seen? Der Strom nahm mich auf. Kühlung. Wohltat. Meine Hände bewegten sich automatisch, um vorwärts zu kommen. Andere wären durch Kleidung und Taschen ertrunken. Ich war eins mit dem Wasser. Um mich herum tummelten sich die zahmen Fische wie Zartflos und Dicklips, die sich von Flusspflanzen wie das Schlinggras ernährten. Der Fluss versuchte sie zu nimmersatten Mäulern zu treiben. Ich war der einzige, der davon trieb.
Ich konnte lange, sehr lange unter Wasser bleiben, und wusste nicht warum. Ich schätzte, wie flott ich dem Belt entgegen trieb, um vorbereitet zu sein, bevor die Schnapper kamen. Der Strom brachte Nährstoffe zum Belt. Dort nahmen die pflanzenfressenden Meeresfische, wie die Farben wechselnden Ohnezahns, die Nährstoffe auf. Je mehr sie fraßen, um so dunkler und unsichtbarer wurden sie. Dennoch bot jede Flussmündung Beute für Hafenschnapper.
Die Ohnezahns mehrten sich. Ich kämpfte gegen die Strömung und tauchte bis zu den Augen auf. Die Delmenhäuser, wie ich aus der Nähe nun sah, waren nicht verwaist sondern durch Brand zerstört. Die Dächer blieben unversehrt. Ich trieb am Schiffswrack vorbei, dass ich vom oberen Rand aus gesehen hatte. Es erzählte eine furchtbare Geschichte. Mit einem unsichtbaren mörderischen Wahnsinnigen wunderte mich das nicht. Einen zusätzlichen Rundblick wollte ich nicht riskieren und tauchte wieder.
Die meterlangen Hafenschnapper jagten ihre Beute. Ihre Zähne rissen jedes Fleisch. Ich zog den Stock aus den Laschen und bewegte mich zum steilen inneren Felsenrand. Hinter dem Hafenbecken öffnete sich der Klippenspalt in eine blaue, dann schwarz werdende Tiefe.
Ich blieb noch unbehelligt, weil ich nicht nach Beute aussah. Ich tauchte am Rand entlang auf den Spalt zu, hoffend, dass die Klippen des Belts zerklüftet waren. Viel Raum wollte ich eilig zwischen Schnapper, Menschen und mich bringen.
Der Angriff kam prompt, als ich durch die Hafeneinfahrt trieb und im Belt aufatmen wollte. Zähne schossen auf mich zu - Stock hinein. Der Schnapper sank zuckend und blutend in die Tiefe. Ich schwebte im Wasser, hielt still. Andere jagten dem verletzten Fisch hintendrein. Ich tauchte auf. Jetzt erst schluckte ich das nasse Element. Süßlich. Ich trank gierig. Die kilometerlange zerklüftete Klippenwand erhob sich über mir. Ich sah eine Vertiefung. Dort musste ich hin. Ich zog mich hoch. Meine Knie gaben nach. Ich griff oft daneben, riss mir Hände und Füße blutig, bis ich in der kleinen Mulde lag, den Stock als Halt in der Wand verkeilt. Ich schlief sofort ein.
„Bist du sicher?“ Eine unbekannte Männerstimme weckte mich. Jemand stand über mir auf der Klippe.
„Ihre Krallen sind immer vergiftet. Der ist tot.“ Die Stimme des Unsichtbaren.
„Sie fanden die Leiche nicht.“
„Na und! Er ist ertrunken oder die Schnapper haben ihn zerrissen. Wie willst du da seinen Körper finden?“
„Ich wünschte, ich hätte deinen Optimismus. Wenn er doch lebt?“
„Dann verschwendest du nur Zeit. Deren einzige Hoffnung ist dahin. Die letzten Züchtungen im Norden versprechen viel. Endlich. Wir lassen sie über Plawass herfallen. Die Decke wird sie anlocken. Wir werden genug haben, um die ganze Stadt in den Boden zu stampfen.“
„Wir sollten die Neun nicht dorthin senden. Es dauert zu lange, bis alle dort eintreffen. Bruder, in den Städten brauchen wir sie dringender. Sie garantieren die Furcht. Die Gruppen könnten sonst unsere Macht infrage stellen.“
„Wir fegen sie hinweg, wenn wir die Horte vernichtet haben. Marov erledigen wir dazu. Vor zwanzig Jahren spähte er für uns die Familien aus. Jetzt steigt ihm zu Kopf, dass die Weisen ihn zum Ratsmitglied ernannten. Er stellt zu viele Fragen. Nein, die Neun werden dafür sorgen, dass Plawass unvorbereitet bleibt. Fällt der Hort, dann fällt auch Balidan.“
„Hm.“
„Was?“
„Und wenn er nicht tot ist?“
„Was soll das, Vorvo? Er ist tot! Verstanden! Tot, tot und tot!“
„Warum schreist du, Lorov?“
„Du ignorierst Fakten.“
„Ich sorge nur vor. Meine Vorsicht hat uns soweit gebracht.“
„Komm mir nicht so, kleiner Bruder!“
„Er hat bisher alle Anschläge überlebt.“
„Hör auf! Er kann die Kraft nicht nutzen. Er ist nicht gefährlicher als ein Kind.“
„Weil er nicht weiß, was er ist.“
„Und er darf es nie herausfinden. Was rede ich? Er wird es nie, weil er tot ist. Ihr Gift ist das Tödlichste, das wir kennen. Es gibt kein Gegenmittel. Er fiel in den Fluss und niemand sah ihn auftauchen. Es ist endlich vorbei. Begreife das doch endlich!“
„Ja, wir kennen kein Gegenmittel. Was wissen die Schlamen oder die anderen?“
„Er hielt sich nie länger als eine Stunde in einer Stadt auf. Er hat nirgendwo Kontakte aufbauen können.“
„Das liegt aber an den-.“
„Sei still! Benutze nie ihren Namen! Es hat lange gedauert und viele Tote, bis wir den Namen aus den Horten und der Jugend tilgten. Fang du nicht damit an. Er ist tot. Basta. Wir vernichten die Horte und herrschen über Balidan für immer.“
„Lorov! Ich bitte dich doch nur an die-.“
„Genug, kleiner Bruder! Die Unterredung ist vorbei. Ich bin der Ältere und gebiete. Entferne dich, starte mit dem, was immer du machen willst! Aber verschone mich mit deinen Hirngespinsten, Die-du-kennst-ihren-Namen kämen zurück. Ich habe es heute beendet - für immer.“
Ich hörte Schritte, die sich entfernten.
Wellendonner weckte mich. Die kleine Mulde, in der ich lag, bot kaum Schutz vor der Gischt der Wellen. Warum Wasser belebend auf mich wirkte, wusste ich nicht. Im Gegensatz zu dem sauren Wasser in den Bergen, das gerade noch genießbar war, schmeckte Meerwasser süß und erfrischend. Die Mulde lag nicht hoch, um auszutrocknen, auch nicht tief, um überschwemmt zu werden. Ständig bestäubten mich kleinste Tropfen. Ich zwang mich wach zu werden, um mir klar zu machen, was mich überhaupt überleben ließ und was in Tawa geschehen war.
Ein unsichtbarer Mann schwebte. Obwohl ich drei tiefe Furchen auf der Brust hatte, bezweifelte ich die Beteiligung magischer Vomenkrallen. Woher sollte ein Vomen Naverengift haben und das Gegengift nicht kennen? Nein. Der Alte war nach der Stimme mindestens zwei Meter höher über mir gewesen. Er hätte mich niemals aufschlitzen können. Vomen waren kleiner als ich. Mit dem Arm hätte er mich nicht erreicht. Etwas anderes mit drei Krallen verletzte mich und war bestimmt kein Mensch. Etwas tiefer und mein Herz wäre zerfetzt worden.
„Sie haben stets Gift an ihren Krallen. Es gibt kein Gegengift.“
Meine gesammelte Naverenspucke rettete mich. Das Blut der Naveren war giftig. Wenn der unsichtbare Lorov über Krallen anderer sprach, er selber mir nichts getan hatte, so musste etwas mir Unbekanntes und ebenso Unsichtbares mit drei Krallen meine Brust verletzt haben. Die sonderbarsten Gedanken knäuelten sich zu einem unentwirrbaren Knoten. Ich schüttelte mich, musste mich beruhigen. Nichts außer mir und mein Verstand half mir aus der Lage. Egal, was gestern geschehen war, egal, wie ich überlebt hatte. Ich war in Gefahr. Auf der anderen Seite der Klippe lag eine Stadt, die mich tot sehen wollte.
Wusste der Vomen wirklich nicht, dass Naverenspucke das giftige Blut neutralisierte? Ich kannte nur ein Wesen, das einer Navere so nah wie ich kam. Eine Schwarzfeder. So nannte ich sie. Sechs Flügel, zwei riesige aus schwarzen Federn und vier aus durchscheinendem Leder, die die Flugarbeit verrichteten. Die schwarzen Flügel sah ich nie schlagen und überhaupt die Schwarzfedern sehr selten. Sie blieben fast nur am Himmel. Jedenfalls konnte ich sie sehen. Wenn sie zu Boden sanken, griffen sie Naveren an. Meist verloren die Luftriesen. Ich war ihnen nie näher als einige Kilometer gekommen. Ich haute mir auf die Wange. Ob Schwarzfeder oder nicht. Die ganze Gedankenraserei half mir nicht aus meiner Lage.
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