Richard Mackenrodt
Mein Leben davor
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Richard Mackenrodt Mein Leben davor Dieses ebook wurde erstellt bei
MEIN LEBEN DAVOR MEIN LEBEN DAVOR Eine Geschichte über das Leben und den Tod. Happiness is only real when shared. (Christopher McCandless) Copyright © 2015 by Richard Mackenrodt Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by EDITION TAKUBA, München Umschlaggestaltung: Alexandre Rito, Loule, Portugal Alle Rechte vorbehalten
TEIL I Richard Mackenrodt Mein Leben davor Dieses ebook wurde erstellt bei
Schmerz ist mein ständiger Begleiter
Der Mann mit dem Hammer
Kona
Norseman
TEIL II
Zusammenbruch
Eva
Grenzenlose Weißheit
Das Tal der Rosen
Tatko
Mein Leben davor
Iskuplenie
Mein ganz besonderer Dank gilt...
Leseprobe
Von Richard Mackenrodt bei EDITION TAKUBA bereits erschienen:
Impressum neobooks
Eine Geschichte
über das Leben
und den Tod.
Happiness is only real when shared.
(Christopher McCandless)
Copyright © 2015 by Richard Mackenrodt
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by
EDITION TAKUBA, München
Umschlaggestaltung: Alexandre Rito, Loule, Portugal
Alle Rechte vorbehalten
Schmerz ist mein ständiger Begleiter
Es ist lange her, und dennoch erinnere ich mich genau: Er kam, ohne sich vorher anzukündigen. Einfach so. Aus dem Nichts.
Ein Freund hatte Videos besorgt, über seinen großen Bruder, der in einer Videothek arbeitete. Die Eltern der beiden waren übers Wochenende verreist, das wollten wir ausnutzen. Sieben Jungs aus der neunten Klasse, ausgerüstet mit Popcorn, Bier, Chips und Schlafsäcken. Wir hatten elf Filme am Start und ordneten sie der Härte nach. Alle ab 18. Es sollte losgehen mit Freddy Krüger, dann würden Vampire, Werwölfe, Zombies und Kettensägenmörder folgen, und als krönender Abschluss ein Menschenfresser-Film, der überall auf der Welt auf dem Index stand und von dem es hieß, dass nur die Abgebrühtesten in der Lage waren, ihn auszuhalten. Jeder klopfte großspurige Sprüche und kündigte an, das Programm locker zu überstehen. Das waren noch VHS-Videos, klobige, schwere, störungsanfällige Dinger, die grobkörnige, matte Bilder durch den Röhrenfernseher flimmern ließen. Damals gab es nichts Besseres. Auf dieses Wochenende freuten wir uns seit Monaten. Die Mission unterlag strengster Geheimhaltung. Niemand durfte etwas davon wissen, keine Eltern und Geschwister (außer dem besagten Bruder), keine Lehrer, und auch die anderen Mitschüler nicht. Das machte uns zu einer verschworenen Gemeinschaft. Wochen lang warfen wir uns in der Schule stumme Blicke zu und wussten: Wir waren tausendmal cooler als die ganzen anderen Hirnis. Die Glorreichen Sieben. Mädchen waren zu der Veranstaltung natürlich nicht zugelassen, sie hatten nicht die nötigen Nerven (glaubten wir). Der große Bruder besorgte Bier und zwei Flaschen Schnaps und stellte klar, dass er hinterher keine Sauerei wegmachen würde. Wir mussten uns verpflichten, das Haus am Sonntag in einwandfreiem Zustand zurück zu lassen. Oder er würde uns den Arsch aufreißen, vom Nacken bis zum Kinn.
Am Freitagabend fanden wir uns ein, mit all den Taschen und Tüten. Keiner kam zu spät. Nicht eine Sekunde dieses Wochenendes durfte versäumt werden. Helden an der Schwelle zu einem großen Abenteuer. Der erste Film war noch ziemlich harmlos, da hatte ich Schlimmeres gesehen. Der zweite ging schon mehr an die Nieren. Beim dritten fragte ich mich zum ersten Mal, ob das Ganze hier wirklich eine so gute Idee gewesen war.
Und dann kam er. Ohne sich anzukündigen. Ohne jede Vorwarnung. Der Schmerz. Er schoss in meinen Kopf, und ich stöhnte leise auf. Was meine Freunde mir sofort als Schwäche auslegten.
»Zu hart für dich, Alex?«
»Quatsch – hab nur Blähungen«, log ich. Wir waren 15, wir wollten cool wirken, um jeden Preis. Nur so behielt man den Rang in der Clique, den man sich mühsam erarbeitet hatte.
»Furzen läuft aber nicht«, sagte einer. »Sonst Rote Karte.« Alle lachten, nur ich nicht. Denn das hier war kein normaler Schmerz. Ich war schon vom Fahrrad gefallen, beim Klettern vom Baum gestürzt, mit dem kleinen Zeh an der Schrankecke hängen geblieben, und hatte mir die Hand in der zugeschlagenen Autotür eingeklemmt. Mit Schmerz kannte ich mich aus. Dachte ich. Erst ein paar Tage zuvor hatte ich mir im Backofen die Finger verbrannt, das hatte höllisch weh getan. Aber dieser Schmerz hier war anders, er fühlte sich an, als hätte mir jemand eine Axt mitten in die Stirn getrieben. Ich wollte aufschreien, aber ich riss mich zusammen, so gut es eben ging, presste die Zähne aufeinander, und als ich merkte, dass mir Tränen in die Augen schossen, sprang ich auf und lief hinaus. Dabei riss ich eine Lampe um, prallte gegen den Türrahmen, und im dunklen Hausflur gelang es mir nicht, den Lichtschalter zu finden.
»Hey!« rief ich. »Wo is‘n das Klo?!« Ich stolperte über einen Schlafsack, der auf dem Boden lag, und als ich mich auf allen Vieren auf dem Boden wiederfand, verlor ich jede Kontrolle über meinen Körper. Im nächsten Moment kamen die Jungs auf den Flur, das Licht ging an. Ich sah ihre angewiderten Gesichter.
»Mann, Alex, auf den Teppich kotzen? Und dann legst du dich auch noch rein? Scheiße noch mal!«
***
Ich war nicht in der Lage, den teuren Perserteppich sauber zu machen. Ich rief zu Hause an, und mein Vater kam, um mich abzuholen, nachts um eins. Auf dem Fernseher war noch das Standbild zu sehen, das gerade einen Enthaupteten zeigte, dem das Blut aus der Halsschlagader schoss. Mein Vater fand die Videos, das Bier, den Schnaps. Er nahm alles mit, und noch in der Nacht wussten sämtliche Eltern Bescheid. Ich hatte den Jungs nicht nur das Wochenende ruiniert. Ich hatte die größte denkbare Katastrophe ausgelöst. Überall hagelte es Stubenarrest, Fernsehverbot, gekürztes Taschengeld. Das würden sie mir nie verzeihen. Noch vor Sonnenaufgang brachte Vater mich ins Krankenhaus. Ich wurde an Geräte angeschlossen, es gab eine Sonographie, meine Hirnströme wurden gemessen. Das volle Programm. Ich bekam starke Medikamente, durch die der Schmerz erträglicher wurde. Aber mehr auch nicht. Er dachte gar nicht daran, zu verschwinden. Er schien sich immer tiefer in meinen Schädel bohren zu wollen, wie Säure, die du aufs Dach gießt und die sich bis in den Keller frisst. Die Ärzte fanden nichts. Ich hatte keinen Tumor und auch keine andere diagnostizierbare Krankheit. Ich hätte kerngesund sein müssen. Aber ich war es nicht. Sie gaben mir einen Cocktail aus besonders starken Schmerzmitteln, um mir wenigstens den Schulbesuch wieder zu ermöglichen. Aber wie sollte ich mich auf eine Mathe-Schulaufgabe konzentrieren, wenn ich halb sediert in der Gegend herum hing?
Ich verlor meine Clique. Die Jungs wussten, dass ich krank war und wünschten ständig gute Besserung. Aber das Desaster des gescheiterten Horror-Wochenendes hing mir hartnäckig in den Kleidern wie stinkendes, verdampftes Frittenfett. Es stand mir auf die Stirn geschrieben. Und ich veränderte mich. Seit der Schmerz mich im Griff hatte, bewegte ich mich anders. Bedächtiger, vorsichtiger, als könnte jeder schnelle Schritt neue Schmerzen verursachen. Ich lächelte nicht mehr, und wenn ich es doch einmal tat, war es das Lächeln eines gefolterten Irren. Ich versuchte, wie früher zu sein, aber ich bekam es nicht hin. Für die Kids in meiner Klasse wurde ich unheimlich. Sie wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollten, und deswegen ließen sie es lieber bleiben. Das zu erleben war fast so schmerzhaft wie der Sturm, der unablässig in meinem Kopf tobte.
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