„Hey, das ist die beste Medizin, die es gibt,” entgegnete ich entschieden und lächelte ihn unschuldig an.
„Wer sagt das?”, fragte er, und seine Hände kamen auf der Innenseite meines Oberschenkels zur Ruhe.
„Dr. Pearce. Ada Pearce,” antwortete ich. Entschlossen packte ich seine Hände und schob sie weiter nach oben, weiter in Richtung…na, Sie wissen schon! Es fehlten nur noch wenige Millimeter. Ich schloss verzückt die Augen, und ein wohliges Seufzen kam mir über die Lippen.
„Hör auf damit!” Was war nun? Also, das hatte ich nun wirklich nicht erwartet! Abrupt schlug ich die Augen auf und zog einen Flunsch, als Pater Michael seine Hände fortzerrte. „Das hier ist kein Spiel, Ada! Wir müssen dafür sorgen, dass du wieder fit wirst. Ich meine es ernst!”, fuhr er mich mit lauter Stimme an.
„Ich auch,” säuselte ich und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen, woraufhin sich tiefe Falten in des Paters Stirn gruben und er mich mit einem Blick anstarrte, der fragte: „Was soll ich nur mit ihr machen?” Nun, mir fielen da so ein, zwei Sachen ein. Leider stimmten sie nicht mit der Grobheit überein, mit der mich der Pater am Arm packte und halb aus dem Bett herauszerrte. Mhh, also in meiner Fantasie hatte ich mir etwas mehr Zärtlichkeit vorgestellt.
„Zeig mir, wie gut du dich schon wieder bewegen kannst, Ada! Zeig mir, in welch guter Verfassung du bereits bist!”, forderte er mich unwirsch auf. Seine Art verschlug mir die Sprache. Die Hitze stieg mir ins Gesicht. Ich fühlte mich unendlich gedemütigt, und mir traten Tränen in die Augen, als mein Oberkörper über die Bettkante hing und ich unter Schmerzen versuchte, mich auf der Matratze zu halten.
„Das ist gemein, Michael!”, jammerte ich und suchte nach einem Zipfel des Lakens hinter mir, an dem ich mich wieder zurück ins Bett ziehen konnte. Pater Michael half mir nicht einmal, obwohl er genau sah, welch große Schwierigkeiten ich hatte. Erst als ich anfing zu betteln, schien ich sein Herz zu erweichen, und er half mir zurück auf die Matratze.
„Siehst du nun ein, dass das hier nicht zum Spaß ist?”, fragte er. Behutsam deckte er mich zu und setzte sich zu mir. Er legte einen Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf an, damit ich ihn ansah.
„Ich wollte dich doch nur ein bisschen auf andere Gedanken bringen. Du wirkst immer so ernst,” bemerkte ich.
„Du wurdest entführt und gefoltert, und dir wurden Unmengen an Blut abgenommen! Du bist beinahe erneut in meinen Armen gestorben! Verzeih mir bitte, dass ich bei diesen furchtbaren Dingen nicht zu Späßen aufgelegt bin,” erwiderte er.
„Du hast Recht. Es tut mir leid,” sagte ich kleinlaut. Auch wenn ich seinen Worten zustimmte, seine grobe Aktion aber verstand ich nicht. Sicherlich hatte er damit bewiesen, wie weit entfernt ich noch von der alten, agilen Ada war. Aber es änderte nichts daran, dass es unfair und unnötig gewesen war. Er hätte es auch anders tun können! „Das war wirklich nicht schön,” ließ ich ihn daher mit Tränen in den Augen wissen. Ich versuchte, mich zusammenzureißen. Aber je mehr ich mich anstrengte, desto mehr bebte mein Kinn, und meine Sicht auf Pater Michael wurde immer wässriger.
„Ich weiß, es war nicht richtig. Ich entschuldige mich bei dir, Ada. Bitte verzeih mir meine Grobheit,” hörte ich ihn sagen. Unter mir spürte ich, wie sich die Matratze bewegte, als er näher zu mir rutschte. Seine Hände legten sich um meine Schultern, und er zog mich zu sich heran. Für einen Moment kämpfte ich noch gegen ihn an, doch dann gab ich es auf, und die Dämme in meinem Innern stürzten ein. Völlig aufgelöst schluchzte ich gegen den Pater und durchnässte mit meinen Tränen dessen Kleidung. „Shh, Ada. Es tut mir so leid! Bitte verzeih mir,” flehte er mich an. Mein Gefühlsausbruch schien ihn aufs Äußerste zu beunruhigen. Langsam wiegte er uns vor und zurück. Seine Hände streichelten sanft über meinen Rücken. Er hoffte wohl, es würde mich trösten. Aber statt mit dem Weinen aufzuhören, wurde es nur noch schlimmer. Ich konnte einfach nicht anders. Ich kann nicht sagen, woher all das auf einmal kam. Ich wusste nicht, ob es nur wegen seiner Demütigung war oder einfach alles aus mir herausplatzte, was sich in der letzten Zeit angestaut hatte. Vielleicht war es aber auch die Angst, dass ich mich nie wieder erholen würde, die mich dazu brachte, mich in Tränen aufzulösen. Letztendlich war es wohl ein Zusammenspiel aller genannten Gründe, das diesen Nervenzusammenbruch ausgelöst hatte.
7. Hand trifft Wand – oder auch umgekehrt
In den folgenden Tagen ließ ich die Dehnübungen und Massagen brav und kommentarlos über mich ergehen. Ich war froh, dass sich die Erfolge dieser Behandlungen schon bald zeigten. Ich konnte wieder meine Arme und Beine bewegen, selbstständig ein Glas Wasser festhalten und aus dem Bett steigen. Ich war zwar noch nicht bereit, um bei einem Marathon mitzulaufen, aber kleine Spaziergänge durch mein Zimmer schaffte ich allemal. Alles Weitere, wie zum Beispiel wieder auf die Jagd gehen, würde ich erst wieder tun können, wenn ich meine Muskeln mit ausreichend Training gekräftigt hatte.
Pater Michael wollte mich noch nicht so zeitig mit den Hanteln üben lassen, aber ich kaute ihm so lange ein Ohr ab, bis er es mir erlaubte. Vielleicht hatte er auch einfach nur ein schlechtes Gewissen, weil er mich, hilflos wie ich gewesen war, aus dem Bett gezerrt hatte, und gab deshalb nach. Aber egal aus welchem Grund er mich trainieren ließ, ich war wahnsinnig froh darüber, dass ich aus meinem Zimmer kam und etwas mehr tun konnte, als Arme und Beine zu strecken und zu beugen oder mich durchkneten zu lassen. Natürlich fiel mir zunächst selbst das Anheben der kleinsten Gewichte schwer, und ich kam mir vor wie zu meinen Anfangszeiten, als ich noch das Dreifache von dem gewogen hatte, was ich jetzt mit mir herumtrug. Aber mit jedem Tag wurde ich besser, und ich kam allmählich wieder in Form. Natürlich überprüfte ich auch das, was ich schon seit langem überprüfen wollte, aber nicht imstande gewesen war zu tun. Ich hatte mich innerlich immer noch nicht damit abgefunden, dass ich wieder eine Durchschnittsjägerin sein sollte, also musste der ultimative Test her. Pater Michael durfte davon selbstverständlich nichts erfahren, also zog ich mich ins Wohnzimmer zurück. Der Raum war groß genug, um meine Super-Geschwindigkeit auf den Prüfstand zu stellen.
Ich stellte mich an die Wand, an der das Sofa stand, mit Blick auf die Bibeln, die auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers in ihrem Regal standen. Mein Denken wurde nur von einer einzigen Sache beherrscht: so schnell wie der Wind zu rennen! Leise murmelte ich die Worte vor mich hin. Immer und immer wieder. Als ich bereit war, stieß ich mich vom Boden ab und rannte los…und war so lahm wie eh und je! Enttäuscht stampfte ich mit dem Fuß auf und fluchte in einem fort. Man müsste meinen, dies sei Beweis genug gewesen, dass ich wieder normal war. Aber da ich stur bin, versuchte ich es mit einem letzten Test. Meine Super-Ohren und die Super-Schnelligkeit hatte ich definitiv verloren. Es blieb noch die Super-Kraft. Ich stellte mich also zurück an die Wand auf der rechten Seite des Wohnzimmers und ballte meine Hand zu einer Faust. Ich streckte meinen Arm durch, um den Abstand zur Wand zu testen, ging noch ein kleines Stückchen zurück und wiederholte den Test. Nun war es gut. Es konnte losgehen.
Ich atmete tief ein und aus und machte mich bereit, meine Faust in die Wand zu rammen. Ich zählte bis drei.
Eins.
Zwei.
Drei.
Bäm!
Die Wand hatte sich in meine Faust gerammt. Es ist unnötig zu sagen, dass es mir anders herum lieber gewesen wäre!
„Scheiße, scheiße, scheiße!”, presste ich zwischen den Zähnen hervor, klemmte mir meine schmerzende Hand zwischen die Knie und hüpfte im Kreis herum.
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