langsam flog, damit ihr nichts entging.
»Tiefer, Showaa«, sang Anschudar aus. »Tiiiiefer, Showaa.« Sie glitt
gehorsam nach unten, bis sie nur eine Körperlänge vom Boden entfernt war.
»So ist es gut, Showaa, so ist es guuuut.«
Die Sonne stand fast senkrecht über ihnen, und Anschudar konnte ihren
Schatten sehen, der über die Felsen hinweghuschte. Von oben sah Showaa
aus, als hätte man ein kleineres Dreieck mit der Spitze an der stumpfen Seite
eines sehr viel größeren Dreiecks befestigt. Anschudar sah fasziniert, wie die
Schatten sich veränderten, wenn Showaa dem Relief des Geländes folgte.
Ein leises Bellen ertönte und ließ den Schwingenreiter aus seinen
Gedanken schrecken. Das Zucken der Maultentakel verriet ihm, dass Showaa
etwas gewittert hatte. »Such, Showaa, suuuch.«
Die junge Schwinge glitt herum und flog ein Stück zurück, langsam und
konzentriert, während ihre Tentakel nervös hin und her zuckten. Es musste
Gelbstein sein. Es konnte gar nichts anderes sein. Anschudar starrte
angestrengt auf den Boden. Vielleicht war es nur ein kleiner Tümpel, in dem
der Gelbstein noch flüssig war und bestialisch nach faulen Eiern stank. Er
hoffte jedoch, dass es sich um ein größeres Vorkommen handelte, das zu
Brocken oder gar Steinen getrocknet war. Aber selbst wenn es nicht fest war,
konnte man das Wasser vorsichtig verdampfen und so das wertvolle Mineral
gewinnen.
Anschudar schnupperte in die Luft, als Showaa langsam zu kreisen
begann. Ihre Schwingen berührten dabei fast den Boden. Ja, er konnte es nun
selbst riechen. Das war Gelbstein, wenn auch wohl in flüssiger Form. Es
konnte nicht viel sein, denn nirgends war ein Tümpel zu erkennen, eines
dieser dampfenden Steinbecken, in denen Gelbstein entstand. Dann bemerkte
er am Boden eine braungelbe Schwade, die sich rasch verflüchtigte.
»Gut gemacht, Showaa«, lobte er und tätschelte ihren Hals.
Showaa landete mit einem sanften Nachschwingen ihres Leibes, und
Anschudar löste die Füße aus den Steigbügeln und wartete, bis sein Reittier
den Hals an den Boden legte. Nachdem er abgestiegen war, richtete sich die
Schwinge wieder auf und hüpfte von einem Bein auf das andere. Sie war
unruhig, ihre Maultentakel streckten sich der dünnen Schwade entgegen, und
die beiden Schlitzpupillen waren geweitet.
»Keine Sorge, Showaa, du bekommst etwas davon«, versicherte ihr
Anschudar. Er näherte sich dem Ursprung der Schwade, wobei er die Füße
vorsichtig aufsetzte. Von dem Tümpel war nichts zu sehen, und doch musste
er da sein, wie ihm der gelbbraune Dunst verriet. Somit war die
Gelbsteinquelle unter dem Boden verborgen. Dieser wirkte fest wie
gewöhnlicher Fels, doch Anschudar wusste, dass dies in diesem Falle
täuschte. Es gab darunter einen Hohlraum, in dem es vor Hitze brodelte, und
es wäre fatal für ihn gewesen, wäre er dort hineingestürzt. Doch wie weit
erstreckte sich der Hohlraum? Wie weit konnte Anschudar gehen, bevor der
Boden unter ihm nachgab?
Er versuchte sich an die zahllosen Ratschläge der anderen Schwingenreiter
zu erinnern. Es hatte wenig Sinn, nach einem Stock zu suchen, mit dem er
hätte tasten können. In der Nähe wuchs nicht einmal einer jener
verkümmerten Bäume, die gelegentlich in den höheren Gebirgslagen zu
finden waren. Steine und Felsbrocken gab es reichlich. Doch erstere waren zu
klein, um die Belastbarkeit des Untergrundes durch einen Wurf zu prüfen,
und letztere zu schwer, um sie überhaupt zu bewegen. Halt. Der
Gelbsteintümpel war heiß. Der Boden müsste erwärmt sein. Zumindest dort
wo die Gesteinsdecke über dem Tümpel nur dünn und somit für ihn
gefährlich war.
Anschudar ging in die Hocke und prüfte mit der Handfläche die Wärme
des Bodens, bewegte sich ein Stück vorwärts und legte die Hand erneut flach
auf den Grund. Nachdem er auf diese Weise wenige Längen in seltsam
watschelnder Gangart zurückgelegt hatte, seufzte er entsagungsvoll und
streckte sich flach hin. Obwohl nun die Steine gegen seinen Körper drückten,
war diese kriechende Fortbewegung doch weit bequemer. Langsam robbte er
auf die aufsteigende Gelbsteinschwade zu und nahm erleichtert zur Kenntnis,
dass der Boden unter ihm wärmer wurde. Na also, auf diese Weise ging es.
Doch wie weit konnte er sich vorwagen, und wie brach er den Boden auf, um
an die Flüssigkeit zu gelangen?
Showaa schnupperte erregt mit den Maultentakeln. Anschudar
konzentrierte sich auf den Untergrund und achtete nicht auf die junge
Lederschwinge, die immer unruhiger wurde. Schließlich stieß sie ein heiseres
Maunzen aus und machte einen Satz, der sie an die Seite ihres Reiters brachte.
Obwohl Showaa nicht sonderlich schwer war, gab ihr zusätzliches Gewicht
den Ausschlag. Anschudar hörte ein bedrohliches Knacken, dann brach der
Boden unter ihm weg.
Während er einen entsetzten Schrei ausstieß und verzweifelt versuchte,
sich herumzuwerfen, ließ Showaa ein empörtes Zischen hören und schaffte
es, sich mit der Kraft ihrer Schwingen in die Luft zu erheben. Eine von ihnen
streifte dabei unabsichtlich Anschudar. Vielleicht war dies sein Glück, denn
der Stoß, so unsanft er auch war, schleuderte den Reiter ein Stück nach oben.
Gerade weit genug, dass er sich mit den Händen am Rand des Felsbruchs
festhalten konnte. Panisch klammerte er sich fest und spürte dabei die Hitze,
die aus dem freigelegten Gelbsteintümpel aufstieg. Fauliger Gestank breitete
sich aus und raubte ihm fast die Sinne. Schweiß drang aus seinen Poren, und
er fürchtete den Dampf, der ihn verbrühen könnte, noch bevor er den Halt
verlor. Seine Finger krallten sich in den felsigen Grund.
Anschudar war in einer misslichen Lage. Seine Kräfte reichten nicht aus,
sich weiter hinaufzuziehen, und bald würden sie nachlassen. Dann würde er
rücklings in den heißen Brodem des flüssigen Gelbsteins stürzen und bei
lebendigem Leib gekocht werden. Diese Aussicht spornte den
Schwingenreiter zu einer letzten Kraftanstrengung an, aber es gelang ihm
dennoch nicht, sich zu retten. Den Tod vor Augen, suchte er fieberhaft nach
einer Lösung. Er versuchte sich auf Showaa zu konzentrieren, fühlte und rief
ihren Namen mit Mund und Gedanken. Aber immer wieder drängte sich ihm
das Bild auf, wie er hilflos in die kochende Flüssigkeit hinabstürzte.
Dann, als er schon glaubte, den Halt endgültig zu verlieren, schob sich
unvermutet Showaa in sein Gesichtsfeld. Die Schlitzpupillen ihres Auges
fixierten ihn, und die junge Schwinge legte den Kopf ein wenig schief, als
müsste sie angestrengt überlegen, warum ihr Reiter da so zappelte und schrie.
»Hierher, Showaa«, ächzte Anschudar. »Komm hierher.«
Eher unschlüssig pendelten die Pupillen zwischen ihm und dem für
Showaa so verlockenden Gelbsteintümpel hin und her. Schließlich kam die
Schwinge zögernd näher und senkte den Schädel. Die beiden Tentakel unter
ihrem Maul streckten sich dem jungen Mann entgegen und zogen sich dann
wieder zurück.
Anschudar blieb keine Wahl. Als einer der Tentakel erneut in seine Nähe
kam, setzte er alles auf einen Wurf und packte beherzt zu. Showaa zischte
wütend. Obwohl die Tentakel muskulös waren und großer Hitze
widerstanden, waren sie doch zugleich empfindlich. Instinktiv versuchte die
junge Schwinge dem unangenehmen Druck des Griffes zu entkommen,
während ihr Reiter sich krampfhaft weiter am Tentakel festhielt. Anschudar
spürte den Schmerz, als er von der Bewegung nach oben gezogen wurde und
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