dort einst eine furchtbare Schlacht tobte und der Sumpf die Toten
verschlungen hat.«
Bulldemut nickte bedächtig. »Nicht wie ein gewöhnlicher Sumpf, ta
Enderos. Die Weißen Sümpfe sind verflucht. Sie nehmen die Toten nicht auf
und geben sie auch nicht frei. Die Kämpfer liegen noch immer dort, wo sie
gefallen sind. Menschen, Elfen und Orks. Was in das verfluchte Wasser
taucht, kann nicht zerfallen, doch was aus ihm emporragt, hat sich aufgelöst.
Es ist ein entsetzlicher Anblick, Alnoer. Ein einziges Mal habe ich es mit
eigenen Augen gesehen, und Ihr könnt mir glauben, dass ich es nicht auf ein
zweites Mal anlege.«
»Und was sollte mir nun auffallen, Hoher Lord Bulldemut?«
»Seht hinunter.« Bulldemut deutete in Richtung der verwunschenen
Sumpflandschaft. »Sie sind zugefroren, die Sümpfe. Zum ersten Mal, seit wir
Pferdelords in diese Mark kamen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Wir hatten
schon kalte und unbarmherzige Winter, und dennoch waren sie nie von Eis
bedeckt. Doch in diesem Jahr ist es anders. Dabei hat der Winter noch nicht
einmal begonnen. Es ist mir ein Rätsel, ta Enderos, ein wahres Rätsel.«
»Zugefroren«, murmelte der Gardekommandeur und stützte sich auf eine
der Zinnen. Hastig zog er die Hände zurück, denn der Stein war
außergewöhnlich kalt. Während er seine Hände aneinanderrieb, überlegte er
fieberhaft. »Ich verstehe. Sie sind passierbar, nicht wahr? Das Eis würde
Männer mit Waffen tragen können.«
»Wir treiben ein paar schwere Hornviehbullen in die Sümpfe«, brummte
Bulldemut. »Dann werden wir es erfahren.« Er seufzte. »Wahrscheinlich
tauen sie rasch wieder auf. Bedenkt, es ist noch nicht richtig Winter.«
»Eben.« Ta Enderos lächelte. »Doch wenn sie im Winter zugefroren
bleiben, dann hätten wir einen Weg ins Reich der Finsternis. Einen Weg nach
Cantarim, nicht wahr, Pferdefürst Bulldemut?«
Showaa war unbestreitbar jung und auf jene Art verspielt, wie es für die
Lederschwingen typisch war. Schwingenführer Mordeschdar hatte Anschudar
darauf vorbereitet und ihm geraten, Showaa ihren Willen zu lassen, solange
dies die Mission nicht gefährdete. »Sie wird sich austoben wollen,
Anschudar«, hatte Mordeschdar gesagt. »Lass sie gewähren. Wenn sie ihrem
natürlichen Trieb nicht folgen kann, wird sie übellaunig, und du weißt ja, wie
störrisch eine Lederschwinge werden kann. Nimm sie nur an den Lenkstab,
wenn es nicht anders geht. Und halte immer die Augen auf. Showaa hat gute
Anlagen, aber ihr fehlt es an Erfahrung. Lass dich also von ihr nicht ablenken,
und achte auf alles, was um dich herum geschieht. Doch das Wichtigste ist,
dass ihr Gelbstein für den Horst findet. In dieser Hinsicht kannst du dich auf
Showaas Instinkte verlassen. Sie ist jung und gierig, denn sie muss noch
wachsen. Da wird sie auf das feinste Anzeichen von Gelbstein reagieren.«
Also ließ Anschudar seiner Showaa ihren Willen. Zumindest
weitestgehend. Die Lederschwinge genoss den langen Flug und versuchte
sich in den verschiedensten Flugmanövern. Für Anschudar war es nicht
besonders angenehm, wenn die junge Schwinge abrupt abtauchte, sich in
rasendem Sturzflug dem Boden näherte und sich dann nach einer Rolle
wieder hinauf in den Himmel schwang. Allmählich begann sein Magen auf
diese Bewegungen zu reagieren, und er war froh, zuvor nicht viel gegessen zu
haben, denn es wäre verschwendet gewesen.
Nach einer mehrfachen Seitenrolle hatte Anschudar genug und setzte nun
doch den Lenkstab ein. »Langsam, Showaa, langsam«, sang er in der
typischen Weise der Schwingenreiter. Der Befehl glich einer sanften Melodie,
doch das Volk der Lederschwingen reagierte instinktiv auf diese Lautfolgen.
Showaa mochte die Worte ihres menschlichen Reiters noch nicht ganz
verstehen, aber die Abfolge der Töne, mit denen sie ausgesungen wurden,
machte ihr sofort deutlich, was Anschudar von ihr erwartete. Die junge
Schwinge stieß ein missbilligendes Zischen aus, ging aber gehorsam in einen
langsamen Flug über, bei dem sich ihre riesigen dreieckigen Schwingen nur
träge bewegten.
Anschudar wartete, bis sich sein Magen beruhigt hatte, und strich seinem
Reittier dann sanft über die schuppige Haut des Halses. Ein leises wohliges
Brummen klang aus Showaas Kehle. »Ich hoffe, du hattest deinen Spaß,
Showaa«, sagte er leise. »Denn jetzt müssen wir uns auf unsere Arbeit
konzentrieren.«
Der Schwingenreiter schob das Visier seines Helms nach oben. Die
Klarsteinscheibe war an der Innenseite beschmutzt und verströmte einen
unangenehmen Geruch. Anschudar hatte sie nicht rechtzeitig öffnen können,
als er sich um seinen Mageninhalt erleichterte. Er würde den Helm gründlich
reinigen müssen und war froh, dass kein anderer Schwingenreiter von seinem
Missgeschick erfuhr. Aber Showaas Lebhaftigkeit hatte ihn wirklich
überrascht. Für eine so junge Schwinge war sie ungewöhnlich schnell.
Anschudar sah sich um und achtete dabei auf das Gelände, das sie
überflogen. Sie hielten sich am östlichen Rand des mächtigen Uma’Roll.
Rechts lag die riesige Ebene von Cantarim. Nahe dem Gebirge wirkte sie öde
und leer, aber Anschudar konnte weiter im Osten ausgedehnte Waldgebiete
erkennen. Das Land begann sich von den Kriegen zu erholen, die es einst
verstümmelt hatten. Nur in der Mitte der Ebene herrschte noch immer die
sengende Öde der Wüste. Doch die würden sie nicht zu Gesicht bekommen,
denn sie mussten sich an die Ausläufer der Berge halten. Nur in den unteren
Regionen oder tiefer gelegenen Bergtälern bestand die Möglichkeit,
ausgedehnte Gelbsteinvorkommen zu finden. Noch gab es Geländemarken,
die Anschudar vertraut waren. Die Zwillingsfelsen, die wie zwei Finger in
den Himmel ragten, der kleine Wasserfall des Gebirgsbaches oder auch jener
einsame Berggipfel, der seine typische Form erhalten hatte, als ein Teil von
ihm abgebrochen war. Aber schon bald würde Anschudar ein Gebiet
erreichen, in das schon sehr lange keine Lederschwinge mehr vorgestoßen
war. Der Pass von Merdoret würde die auffälligste Geländemarke sein und
jene Grenze markieren, die Anschudar und seine Showaa als erste Angehörige
ihres Volkes überqueren würden.
Er spürte, wie Showaa sich mit einem ihrer Beine am Hals kratzte. Sie
mochte die Halteriemen der Packtaschen nicht, die man ihr noch im Horst
umgeschnallt hatte. Aber irgendwie mussten sie ihren Proviant transportieren
und auch den Gelbstein, wenn sie denn welchen fanden. Showaas
Maultentakel hielten keinen der kostbaren Brocken. Der Geruch hätte ihre
Sinne beeinflusst. Feedanaa hatte die junge Schwinge an einem Gelbstein
riechen und lecken lassen, damit sie die Witterung aufnahm. Nun war es an
Showaa, den typischen Geruch des Gelbsteins aufzuspüren, der sie zu einem
Vorkommen führen würde. Aus dieser Höhe würde das allerdings nicht
möglich sein, und so entschloss sich Anschudar, seine Schwinge in den
Tiefflug gleiten zu lassen.
Eine erfahrene Lederschwinge beherrschte es, rasend schnell und in einer
Höhe von nur wenigen Längen über den Boden zu fliegen. Sie passte ihren
Flug dem Gelände an. Ein rasches Auf und Ab und eine tödliche
Überraschung für jeden Feind, der in Bodennähe nicht mit dem Angriff eines
solch gewaltigen Flugwesens rechnete. Showaa würde dies erst noch lernen
müssen. Um den Gelbstein zu wittern, war es ohnehin erforderlich, dass sie
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