Das Willkommen war herzlich, wenn auch ein wenig distanziert, und ta
Enderos spürte, dass der Pferdefürst hinter seinem Besuch mehr vermutete als
den Kauf von Pferden. Dieser Eindruck bewahrheitete sich, als Bulldemut
seinen Gast in das bescheidene Amtszimmer führte. Der Pferdefürst wartete,
bis ein Bediensteter die gebotenen Erfrischungen gebracht und den Raum
wieder verlassen hatte. Nachdem die beiden Hohen Lords allein waren, lehnte
sich der Pferdelord in seinem Stuhl zurück und musterte den Alnoer
nachdenklich.
»Ihr braucht also Pferde, Hochgeborener? Dafür habt Ihr einen mühseligen
und weiten Weg auf Euch genommen.«
Es war wohl an der Zeit, sein Gegenüber einzuweihen, etwas, das ta
Enderos nicht einmal mit seinem Hauptmann getan hatte. Es wäre ihm lieber
gewesen, mit Nedeam zu sprechen, den er kannte, doch die Hochmark
verfügte über keine größeren Herden von Wildpferden, die der offizielle
Grund für seine Reise waren. Immerhin genoss Bulldemut den Ruf eines alten
Kämpfers. Ta Enderos hoffte, in ihm den richtigen Ansprechpartner zu
finden, um seinen flüchtigen Plan reifen zu lassen, bevor er an das Ohr des
Königs drang.
»Was haltet Ihr von den Orks, Hoher Lord Bulldemut?«
Die Züge des Pferdefürsten nahmen einen lauernden Ausdruck an. »Es
geht wohl doch nicht nur um Pferde, nicht wahr? Schön, wir sollten diese
Formalitäten sein lassen und wie Kämpfer miteinander reden. Was ich von
den Orks halte? Jeder kennt diese Bestien. Solange sie existieren und dem
Schwarzen Lord dienen, wird es keinen Frieden für die Marken des
Pferdevolkes geben.«
»Auch nicht für die Provinzen des Reiches Alnoa«, stimmte ta Enderos zu.
»Wir beide wissen, dass die Legionen der Finsternis in Rushaan geschlagen
wurden. Und ebenso gewiss ist, dass dies kein endgültiger Sieg war. In ihren
Bruthöhlen werden sie zu Hunderten geworfen, so können diese Kreaturen
ihre Verluste leicht ausgleichen. Jeder getötete Ork wird von zwei neuen
ersetzt, doch jeder unserer gefallenen Kämpfer hinterlässt eine schmerzliche
Lücke.«
»Wohl wahr«, nickte Bulldemut. »Es dauert viele Jahreswenden, bis ein
Knabe zu einem Pferdelord herangewachsen ist.«
»Unsere Völker verschleißen sich im endlosen Krieg gegen die
Finsternis.« Ta Enderos nippte an dem verdünnten Gerstensaft. »Jetzt sind
auch noch die Elfen fort, und unser Bund wird schwächer, während die
Legionen erneut erstarken.«
»Worauf wollt Ihr hinaus?«, knurrte Bulldemut.
»Wenn wir immer nur darauf warten, dass die Orks uns angreifen,
überlassen wir ihnen die Initiative und geben ihnen die Gelegenheit, Zeit und
Ort zu bestimmen und in großer Stärke aufzutreten.«
Bulldemuts Augen verengten sich für einen Moment, als er ta Enderos
Gedanken erahnte. »Ihr wollt sie angreifen? Ihnen zuvorkommen?«
Ta Enderos nickte. »Das Reich Alnoa hat die letzten Jahreswenden in
relativem Frieden gelebt. Natürlich gibt es kleine Kämpfe an den Pässen,
doch unsere Grenzfesten sind stark und sicher. Noch. Die Bürger des Reiches
und vor allem den Hohen Kronrat interessiert es nur wenig, was dort vor sich
geht, solange die Bestien nicht über die Grenzen gelangen. Sie interessieren
sich mehr für die goldenen Schüsselchen, die der Unterhalt der Garde kostet.«
»Ja, verdammte Schüsselchen. Ich schätze sie nicht besonders«, brummte
Bulldemut. »Früher gab es Ware oder Arbeitskraft, die man untereinander
tauschte. Heute erhält man dafür wertloses Gold.«
»Es ist nicht wertlos, Pferdefürst der Ostmark. Manche Menschen schätzen
seinen Wert sogar höher ein als das Leben eines braven Gardisten.«
»Dann schickt diese Menschen an die Grenze. Da werden sie die wahren
Werte kennenlernen. Gold schützt sie nicht gegen den Feind. Nur guter Stahl
und starke Arme vermögen das.«
»Beides muss mit Schüsselchen bezahlt werden.« Ta Enderos seufzte leise.
»Mit vielen Schüsselchen. Die will der Hohe Kronrat jedoch lieber für andere
Dinge ausgeben.«
Bulldemut strich sich über das Kinn. »Ich verstehe nicht, worauf Ihr
hinauswollt.«
»Der Hohe Rat hat beschlossen, einige Regimenter der Garde aufzulösen.
Das wird das Heer des Reiches schwächen.«
»Bei den finsteren Abgründen. Was für eine Narretei. Und Euer König?«
»Er hat nur in Kriegszeiten die absolute Befehlsgewalt. Doch jetzt, im
Frieden, hat der Hohe Rat das Sagen.«
»Mögen die Abgründe den Rat verschlingen«, sagte Bulldemut mitfühlend.
»Alnoa wird weniger Truppen haben«, nahm ta Enderos den Faden wieder
auf. »Daher will ich die verbleibenden beweglicher machen. Mit Pferden
kann man sie schnell von einem Ort zum anderen verlegen.«
»Man muss lernen, auf einem Pferd zu reiten. Wenn Ihr Eure Fußsoldaten
auf die Tiere setzt, wird die Hälfte von ihnen heruntergefallen sein, bevor sie
das Schlachtfeld erreichen.«
»Notfalls lasse ich sie auf den Pferden festbinden«, knurrte ta Enderos
grimmig. »Doch das ist nicht das Problem.«
Bulldemut erhob sich von seinem Stuhl und trat an die Landkarte. »Der
Schwarze Lord hat nicht viele Möglichkeiten, die freien Reiche anzugreifen.
Der Pass von Rushaan im Norden ist ihm versperrt, und durch das Eis des
Kaltlandes kann er seine Orks nicht schicken. Sie würden erfrieren. Bleiben
ihm noch der Weg über den Pass von Merdoret und die Weißen Sümpfe nach
Merdonan oder die beiden Pässe an der Südgrenze Alnoas. Merdonan wird er
nicht nehmen, die Sümpfe sind ein zu großes Hindernis, und noch einmal
lassen wir uns nicht von ihm überraschen. Wenn er erneut angreift, wird er
das im Süden tun. Bei Euch, ta Enderos, im Reich Alnoa.«
»Vermutlich«, stimmte ihm der Gardekommandeur zu. »Und wenn wir
abwarten, bis er bereit ist, wird er in überwältigender Stärke auftreten. Alnoa
ist gewappnet, aber seine Macht wächst nicht weiter, im Gegensatz zu der des
Schwarzen Lords.«
Erneut strich sich Bulldemut übers Kinn. »Also, sprecht frei heraus, was
habt Ihr vor?«
»Nicht zuzusehen, wie der Feind immer stärker wird, während unsere
Kräfte schwinden. Den Krieg endlich zu ihm zu tragen. Es missfällt mir,
immer nur auf seine Schläge warten zu müssen. Es ist an der Zeit, dass wir
selbst endlich zuschlagen.«
»Dem stimme ich zu«, sagte Bulldemut nachdenklich. »Doch es wird nicht
gehen, ta Enderos. Wir kennen sein Land nicht und auch nicht seine wahre
Stärke. Ihm ohne dieses Wissen entgegenzutreten, hieße unsere Männer
sinnlos zu opfern.«
»Ja, wir können sein Reich nicht nehmen, das ist mir klar.« Ta Enderos trat
neben Bulldemut. »Aber wir können ihn dort treffen, wo es ihn schmerzt.« Er
tippte auf die Karte. »Dort, in Cantarim.«
»Cantarim?« Bulldemut schüttelte den Kopf. »Vergesst es. Cantarim ist
eine starke Festung. Auch wenn wir nicht viel über das Reich der Finsternis
wissen, diese alte Feste ist uns wohlbekannt.«
»Sie ist nicht nur eine starke Festung. Sie ist eine der Waffenschmieden
und Bruthöhlen der Legionen. Sie zu zerstören würde dem Herrn der
Finsternis einen bösen Schlag versetzen.«
»Wunschdenken«, schnaubte Bulldemut. »Wirklich, ein reizvoller
Gedanke, doch er ist nicht durchführbar.«
»Vielleicht doch. Bedenkt, was Ihr soeben selbst gesagt habt. Er kann
seine Orks nicht durch das Kaltland schicken, da sie sonst erfrieren würden.
Und denkt an den Winter, Bulldemut.« Ta Enderos lächelte verschwörerisch.
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