von Alnoa und Kommandeur seiner Garde.«
Die Augen des Scharführers weiteten sich vor Überraschung. »Das ist
fürwahr ein bedeutsamer Besuch, Ihr Hohen Herren.« Er salutierte
respektvoll. »So seid uns nun doppelt willkommen. Ich werde den Hohen
Lord sofort verständigen.« Er wandte sich um und gab einem seiner Männer
einen Befehl. Der Mann eilte zu einem am Wachhaus stehenden Pferd,
schwang sich hinauf und trabte dann auf die Silhouette des riesigen Turms zu,
so rasch es das Gedränge auf der Straße zuließ. Der Scharführer trieb die
anderen an, damit man die Wagen zur Seite fuhr, die das Tor teilweise
blockierten. Natürlich hätten sich die Gardisten daran vorbeizwängen können,
doch für jeden Kämpfer war es eine Frage von Ehre und Tradition, dass man
ihnen Respekt erwies und den nötigen Raum schaffte.
»Sagt, guter Herr Scharführer, habt Ihr keine Kunde über unsere Ankunft
erhalten? Wir haben zwei Männer entsandt, die uns vorausritten.«
Der Pferdelord schüttelte den Kopf. »Glaubt mir, Hoher Herr, zwei Reiter
in Panzern wären nicht unbemerkt geblieben. Sie haben Merdonan gewiss
nicht erreicht.«
Ta Enderos runzelte die Stirn. »Das ist seltsam. Sie müssten lange vor uns
eingetroffen sein.«
Der Wachführer leckte sich über die Lippen und blickte unwillkürlich zum
offenen Tor hinaus. »In letzter Zeit kommt es immer wieder vor, dass Leute
einfach verschwinden. Vor einem Zehntag fand eine unserer Streifen ein
verlassenes Gehöft. Von seinen Bewohnern und dem Vieh fehlte jede Spur.
Es gab keine Hinweise auf einen Überfall oder ein gefährliches Tier, das die
Bewohner angegriffen haben könnte. Irgendetwas sucht unsere Mark heim,
Hoher Herr, und wir bestreifen sie, um die Übeltäter zu finden und zu
bestrafen. Nicht jeder will seine goldenen Schüsselchen durch ehrliche Arbeit
und Handel verdienen.«
»Das kommt auch im Reich Alnoa vor«, seufzte ta Enderos. »Doch
überfallen die Ehrlosen keine einsamen Höfe oder Gardisten, sondern
lohnendere Ziele wie kleine Handelszüge.«
»Wohl wahr, Hoher Herr, doch wenn Eure Männer unerwartet auf eine
Bande Gesetzloser gestoßen sind, wird man sie ohne Zögern niedergemacht
haben.«
»Das steht wohl zu befürchten.« Daik ta Enderos blickte die Hauptstraße
entlang. Irgendwo war ein Hornsignal zu hören, und er glaubte am Ende der
Straße den dreieckigen grünen Wimpel eines Beritts der Schwertmänner
flattern zu sehen.
Wenig später erreichte eine berittene Schar das Tor, um ta Enderos das
gebührende Ehrengeleit zu geben. »Seid willkommen, Hoher Lord«, grüßte
der Anführer der Schar und bewies damit, dass ihm der hohe Rang des Gastes
weit bewusster war als dem Führer der Torwache. Dieser errötete prompt, da
er nicht erkannt hatte, dass ta Enderos einem Pferdefürsten gleichgestellt war.
»Ich bin Mor, Erster Schwertmann der Ostmark. Pferdefürst Bulldemut
entbietet Euch durch mich seine Grüße und freut sich darauf, Euch persönlich
willkommen zu heißen. Wenn Ihr mir nun die Ehre erweisen wollt, mich zu
begleiten?«
Ta Enderos nickte und gab Hauptmann Panval Erkat das Zeichen, mit dem
Beritt zu folgen. Er selbst ritt an Mors Seite und musterte den Ersten
Schwertmann der Ostmark verstohlen. Die tiefschwarzen Haare waren
ungewöhnlich für einen Mann des Pferdevolkes. Mor bemerkte seine Blicke
und lächelte. »Ihr vermutet richtig, Hoher Lord. Ich stamme aus Alneris.« Das
Lächeln vertiefte sich. »Ich war Wachmann im Dienste eines fahrenden
Händlers.«
»Und nun seid Ihr Erster Schwertmann einer Mark?« Ta Enderos zwirbelte
seinen Bart. »Recht ungewöhnlich, will mir scheinen.«
»Es ist eine verwickelte Geschichte, gut geeignet für lange Winterabende
und lodernde Kaminfeuer.« Mors Gesicht wurde ernst. »Darf ich fragen, was
den Hohen Lord so weit nach Norden und bis nach Merdonan führte?«
»Pferde«, antwortete ta Enderos knapp.
Mor lachte freundlich. »Seht es mir nach, Hoher Lord, doch für einen
Pferdeeinkäufer habt Ihr einen ungewöhnlich hohen Rang.«
»Kein Dienst ist zu niedrig, wenn er zum Wohl des Reiches ist.«
Der Erste Schwertmann der Ostmark nickte bedächtig. Er vermutete mehr
hinter ta Enderos Besuch, aber es wäre unhöflich gewesen, weiter in den
hohen Gast zu dringen. Sie passierten eine Gruppe von Männern und Frauen,
die abgedeckte Eimer mit sich führten, von denen ein bestialischer Gestank
aufstieg. Mor bemerkte, wie ta Enderos die Nase rümpfte.
»Die meisten Städte des Pferdevolkes haben eine vernünftige
Kanalisation«, erklärte er, »doch hier in Merdonan lässt der Boden das nicht
zu. Das dort sind Dungschlepper, welche die Abfälle sammeln und aus der
Stadt bringen.«
Der Gardekommandeur versuchte durch den Mund zu atmen. »Ein
durchaus ehrbares Handwerk. Es hilft, Krankheiten zu vermeiden.«
»Und es hält die Felder fruchtbar.«
Langsam trabten die Gardisten und die Pferdelords auf den riesigen Turm
der alten Ostwache zu. Die breite Straße, auf der sie sich bewegten, führte
vom Haupttor über den großen Handelsplatz bis zum Haus des Pferdefürsten,
wo sich die Ostwache erhob. Während sie näher kamen, wurde den Alnoern
die enorme Größe dieses Bauwerks deutlich.
Der Große Turm war das Wahrzeichen der Stadt und fand sich als Symbol
auf den grünen Rundschilden der Pferdelords aus Merdonan wieder. Er war
ungewöhnlich hoch und ungewöhnlich alt. An seiner Basis maß er gut
zwanzig Längen im Durchmesser und stieg über hundert Längen auf, bevor er
sich an seiner obersten Spitze zu einer Plattform von kaum vier Längen
verjüngte. Unten gab es nur eine schmale Türöffnung, die von einer schweren
Metalltür verschlossen wurde, und ab der zweiten Turmebene zogen sich enge
Schießscharten um seine fünf Seiten herum.
»Euer Hoher Lord Bulldemut schätzt eine trutzige Bauweise«, meinte ta
Enderos lakonisch und deutete auf des Haus des Pferdefürsten. Es stand an
der Basis des Turms und hatte im Untergeschoss keine Öffnungen außer einer
schweren metallenen Tür. Im Obergeschoss zogen sich schießschartenartige
Schlitze entlang, und auf dem flachen Dach ragten die Arme zweier Katapulte
auf.
»Diese Bauweise hat uns genutzt, als die Orks Merdonan einnahmen. Hier,
auf diesem Platz, haben wir den letzten Widerstand geleistet, bis die Beritte
der Marken zu Hilfe eilten. Ah, Ihr hättet die Schlacht erleben sollen. Seite an
Seite mit den Elfen trieben wir die Bestien in die Sümpfe zurück.«
»Ich hörte, die Elfen hätten ihre Ländereien verlassen.«
»Ja, sie sind zu den Neuen Ufern aufgebrochen. Ihre Länder sind nun
verwaist.«
»Das Bündnis wird schwächer«, murmelte der Gardekommandeur leise.
»Vor einigen Jahreswenden kämpfte ich an ihrer Seite zusammen mit tapferen
Pferdelords der Hochmark gegen die Schwärme der See.«
»Dann kennen wir also beide gute Geschichten für lange Winterabende«,
meinte Mor schmunzelnd.
Vor dem Haus des Pferdefürsten wartete ein Ehrenberitt und präsentierte
im Ehrensalut, als ta Enderos seine Männer einschwenken ließ. Der
Gardekommandeur saß ab und übergab die Zügel einem seiner Reiter. Auf
der obersten Stufe der Treppe, die ins Gebäude hineinführte, wartete die
stämmige Gestalt Bulldemuts. Graue Strähnen durchzogen seine rotblonden
Locken, und als er kurz zur Seite blickte, sah ta Enderos, dass dem
Pferdefürsten das rechte Ohr fehlte.
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