Meinen ersten und einzigen Disco-Besuch hatte ich dann auch später erst, während meiner Bundeswehrzeit. Er blieb alkoholfrei. Der Aufenthalt dauerte eine knappe Stunde. Dann hatte ich es nicht länger mit den Leuten ausgehalten, die mich mitgenommen hatten und war gegangen. Das war auch auf Jahre mein letzter Disko-Besuch.
„Was war los mit den Leuten“, kam die Nachfrage. Ich sagte, dass ich als Eigenbrötler ganz allgemein ein Problem in Gruppen hatte, mit denen ich kein explizites Interesse teilte. Solche Situationen machten mich erst immer unsicher, weil ich nicht recht wusste, worüber ich reden sollte. Später langweilte ich mich und verabschiedete mich halt.
Bei der Bundesmarine kam ich das zweite Mal mit Alkohol in Berührung. Ich kam nach meiner Ausbildung nach Wilhelmshaven auf eine Fregatte. Mein Maaten-Deck war unter Eingeweihten das Partydeck. Es gab einen Fernseher, Videoanlage und Hi-Fi. Bier wurde großzügig (gelagert). Die umfangreichen Whiskybestände stammten aus dem bordeigenen Duty-free-Shop, den es bei jeder Seefahrt zollfrei zu erstehen gab. Es war ein Privileg hier eingeladen zu werden. Das wurde mir gleich zu Anfang gesagt. Und das ich besonderes Glück habe, dass hier meine Koje sei. Gelegentlich waren auch Bordfremde dabei. Bei besonderen Gästen wurde schon mal der hintere Teil des sehr langgezogenen Decks abgetrennt für Poker-Vergnügungen.
Der Umgangston war großspurig aber auch empfindlich gereizt, wenn es um Politik ging. Ich habe schnell angefangen diese Gemeinschaft zu meiden. Das war schwer, denn hier befand sich ja meine Koje. Dieses Deck war jetzt und für geraume Zeit mein Zuhause. Also saß ich da mit ihnen am liebsten in zweiter Reihe und nuckelte lange an meinem Bier. Zu feiern war mir absolut nicht zumute. Schon bald eröffnete mir der Decksälteste, dass ich monatlich 300 DM in die Deckskasse einzahlen müsse. Das war mir dann der Unterstützung dieser makabren Gemeinschaft zu viel. Mein im Nachhinein naiver Einwand in diesem Umfeld, die Summe übersteige meine monatlichen Zuwendungen für Amnesty International und Greenpeace zusammen, und sei deswegen moralisch unverhältnismäßig, löste einen Eklat aus.
Ich wolle doch nicht ernstlich die Harmonie dieser wunderbaren Kameradschaft stören? Streitigkeiten und Handgreiflichkeiten nahmen zu. „Sind wir dir nicht gut genug? Du trägst Brille. Hast du etwa Abitur“, lästerte der Decksälteste eines Abends: „Klugscheißer, Weltverbesserer, und andere haben hier keinen Platz.“ Die anschließende Schlägerei besiegelte meine Mitgliedschaft in diesem Verein, nicht aber meinen Schlafplatz. Die fortgesetzten Ausschreitungen machten meine vorzeitige Versetzung notwendig. Meine Verhaltensdefizite mich in eine Bordgemeinschaft zu integrieren waren der allseits gefühlte Grund. Im Ernstfall, damit war der Verteidigungsfall gemeint, könnten sich die Kameraden dann nicht auf Leute wie mich verlassen. Ich sei gar schlimmer als ein Feind, weil Typen wie ich den Kameraden in den Rücken fallen.
Nun fragte der Arzt, der mucksmäuschenstill zugehört hatte: „Und wie viel Alkohol haben sie in dieser Bordzeit genau getrunken?“
„Über einen Zeitraum von vier Wochen etwa zwanzig Flaschen Bier (0,5 l) gab ich zu Protokoll.
„Wirklich nicht mehr, da wurde doch auch Hochprozentiges getrunken?“, fragte er weiter.
„Man hatte es immer wieder versucht, weil das zur Initiation in der Gemeinschaft dazugehörte. Sie hatten sogar manchmal Whisky in meine Kola gegossen. Getrunken habe ich das nie“, erklärte ich: „Ich konnte gar nicht, selbst wenn das dann Stress gab. Das war mir einfach zu blöd.“
Wie konnte ich das erklären? Ich sah mich gefangen in einer Schublade. Dabei war ich schon in der Schule ein Sonderling, der nicht mit den anderen konnte. Man korrumpiert sich nicht mit einer Decksgemeinschaft, deren Druck einem zu wider ist. Die Pflicht zu allgemein, menschlicher Sympathie beim Bier viel schon schwer genug.
„Haben sie vielleicht am Anfang, als die Umstände noch entspannter waren mitgetrunken?“
Meine Antwort war ein klares: „Nein.“ Der Arzt druckste ein wenig herum und sagte dann: „In Gemeinschaften können unter Umständen starke soziale Zwänge herrschen, denen man sich nur schwer widersetzten kann. Überlegen sie doch mal genauer, ob sie was vergessen haben.“
Wie er mich so anschaute, dämmerte es mir. Er wollte mir helfen. Er tat sich schwer mir zu glauben. War das nicht schon der zweite Hinweis, dass mit meiner Trinkhistorie bereits am Anfang seiner Untersuchung etwas nicht stimmte? Bei meinen Angaben zur Jugendzeit hatte er doch auch schon skeptisch nachgefragt. Als ich mit einer Antwort zögerte, fragte er nach: „Wenn sie auf ihre Aussage in dieser Form bestehen, trage ich das natürlich so ein.“
Naja, beschwören konnte ich es nicht. Wie genau war eigentlich meine Erinnerung nach so langer Zeit? Ich hatte mehrmals ein Glas Whisky in der Hand gehabt. Versuchte ich unbewusst zu verharmlosen? Er glaubte mir doch nicht. Das war offensichtlich. Also erwähnte ich, dass man mir mehrmals Whisky eingeschenkt hatte und dass ich möglicherweise davon auch getrunken hatte.
„Na also“, sagte er zufrieden: „Jetzt sagen sie mir nur noch wie viel das genau war.“
Ich spürte, jetzt musste ich Daten liefern, um seine Zufriedenheit zu erhalten. Ich merkte, dass selbst zu hohe Angaben akzeptiert würden. So erzählte ich von 1-2 Whisky Kola pro Abend bei insgesamt vielleicht 8-10 Feier-Abenden. Ich war mit meiner Hochrechnung nicht zu frieden. Ich konnte mir das nicht wirklich vorstellen. Meine Bedenken wurden vom Arzt zerstreut, der nach den Angaben plötzlich eine Spur freundlicher wurde.
Wie es weiterging, wollte er wissen. Ich wiederholte leise die Frage und sagte dann: „Es gab da nach meiner Versetzung noch einige offizielle Anlässe, bei denen ich Bier trank. Pro Ereignis etwa 2-3 Biere (0,3 l) insgesamt etwa 8-10 Gläser im verbleibenden eindreiviertel Jahr meiner Dienstzeit. Einmal wurde dabei auch Sekt gereicht, aber das Glas mochte ich nicht auf trinken. Jemand sagte zwar sei cool. Meine Geschmacksknospen beeindruckte das aber nicht.
Als ich in einer neuen Verwendung über die Jahreswende Wache hatte bis zum Silvestermittag, da hatte ich von dem Whisky getrunken, den ich noch aus dem Duty-free Verkauf bei meinem Bordkommando besaß. Ich trank etwa 0,4 l. Ein Drittel des Flascheninhalts hatte ich vorher ausgekippt. Das schien mir eine Präventivmaßnahme zu sein, um Kontrolle zu garantieren. Ich hatte schließlich keine Erfahrung mit hochprozentigen, alkoholischen Getränken.
Danach habe ich keinen neuen Whisky gekauft. Dieses Trinkereignis machte schlimmsten Kater und hätte mich tags darauf fast um ein ganz besonderes Surferlebnis gebracht. Der Trinkabend selbst endete frühzeitig mit Schlaf. Das Ereignis und seine Folgen empfahlen sich nicht, so etwas in nächster Zeit zu wiederholen. Für die nächsten Jahrzehnte mied ich alle alkoholischen Getränke außer gelegentlichen Bieren in offiziellen Situationen.
„Sie haben nach ihren Alkoholerfahrungen an Bord monatelang mit einer Flasche Whisky im Spint gelebt und diese nicht konsumiert?“, fragte er mit ernstem Blick nochmal nach: „Und nach diesem Ereignis haben sie auf Jahre nicht mehr Hochprozentiges getrunken? Entspricht das wirklich den Tatsachen?“
„Richtig“, war meine unsichere Antwort. Ich konnte doch nicht jeder Aufforderung zur Lüge nachgeben, auch nicht wenn seine Betonung von wirklich eindringlich war. Meinen Bierverbrauch während meiner Restdienstzeit gab ich nach einigem hin und her mit 2-3 Flaschen (0,5 l) pro Quartal an. Sicher war es weniger. Ich saß doch nie mit jemandem noch im Unteroffiziersheim oder der Offiziersmesse zusammen. Woher kam meine Unsicherheit? Ich wusste doch, dass ich weit weniger getrunken hatte als ich jetzt angab und auf dem Partydeck bestimmt keinen Whisky getrunken hatte.
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