1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Sofort redeten alle wild durcheinander.
"Ruhe bitte! Ich möchte etwas sagen.''
Alle sahen Vez an, der sich diesmal nicht sehr verausgabt hatte und noch bei Kräften war.
"Was Thewak sagt, klingt einleuchtend. Allerdings sollten wir die Risiken bedenken. Ein Solider achtet im Kampf nicht immer auf seine Umgebung; er zerstört einfach. Wenn wir Pech haben, zerstört Fenrir die Villa im selben Atemzug wie diesen tyrannischen General.''
"Wenn das passieren sollte, haben wir dennoch unseren Auftrag erfüllt.'' Caspar, dem in den letzten Tagen die Gefahr eines Soliden erklärt wurde, stand in der Tür. "Ich meine, schließlich geht es doch darum, auf jeden Fall zu verhindern, dass die Solid Yol in falsche Hände gerät. Und soweit wir wissen, sind Yalia und ich die beiden Kontaktpersonen für das Schiff. Sollten wir bei dem Unterfangen ums Leben kommen, haben die Feinde absolut nichts in Händen; sie wissen nicht einmal, wo das Schiff und der Schalter sind!''
"Ich sage, lasst es uns versuchen!'' Eldrit sah sich um. "Caspar hat Recht. Vertrauen wir einfach auf das Glück.''
Vez schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht glauben, wie leichtsinnig ihr denkt. Das hier ist kein Spiel, bei dem man entweder gewinnt oder verliert. Wir könnten draufgehen. Um welchen Preis? Dass unter Umständen keiner das Schiff findet? Seid doch bitte nicht so naiv!''
Und wieder redeten alle durcheinander. Man konnte sich nicht einig werden, sowohl die einen als auch die anderen Argumente waren logisch und doch nicht akzeptabel.
"He, Freunde!''
Fenrir stand unvermittelt in der Vorhalle, wo die Diskussion stattfand. Alle sahen sich nach ihm um, keiner wagte etwas zu sagen.
"Ich passe schon auf, dass ich euch nicht treffe. In Ordnung? Ihr könntet ja auch zum Stabwald gehen, dann seid ihr zumindest geschützt. Was mit der Villa passiert, ist dann egal.''
Thewak ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. "Mein lieber Freund, das ist eine gute Idee. Wenn du dich auf dein Ziel konzentrierst, sollte der Gipfel genug Schutz für uns alle bieten. Los, sammelt rasch euren Proviant zusammen und dann weg hier! Sagt den Heilern, sie sollen die Patienten reisefertig machen. Morgen früh will ich alle Mann im Stabwald wissen!''
Zum Glück war nicht viel zu packen, und die beiden Werwölfe wurden leichten Schrittes von den Räubern transportiert. Mit wem es Probleme gab, den flog Juliet einfach am Pfad vorbei zum Wald.
In den frühen Morgenstunden waren dann fast alle auf der anderen Seite des Berges. Nur Thewak, Ubrum, Fegat und Caspar standen noch bei Fenrir am Eingang der Villa. Der Harpan sah betreten zu Boden.
"Entschuldige bitte, dass du jetzt das alles auf dich nehmen musst. Wenn mein Freund gesund wäre ...'', weiter kam er nicht, weil Fenrir ihn stumm anlächelte und nickte.
Ubrum sah in den Nebel hinein. "Eine gute Luft für einen Angriff. Sie werden dich nicht erwarten, also heize ihnen kräftig ein.''
Caspar zwinkerte dem Soliden zu. "Ich hoffe, wir können bei unserer Reise auf dich zählen.''
Fenrir nickte. Schließlich sah Thewak zu ihm hoch.
"Verscheuche sie vom Berg, und halte dich nicht zurück.''
Anschließend gingen die vier den Pfad zum Wald entlang und Fenrir stand allein vor der Villa.
"Dann lasst uns mal loslegen!'' sagte er leise zu sich selbst.
Cléo wusste eine ganze Menge. Abgesehen von den Fortschritten bei der Belagerung konnte sie noch mehr berichten. Sie wusste beispielsweise von der Suche nach dem Schalter in Angelswin. Interessant wurde es, als Cléo von dem Abschnittsmagier erzählte, der seinerzeit das Schiff verschwinden ließ. Sie hatte seinen Aufenthaltsort herausfinden können und ebenso seine Identität. Oft schon war spekuliert worden, was mit dem Schiff geschehen war, aber nur die Theorie mit dem Magier machte wirklich Sinn. Cléo schlug darum vor, sich auf direktem Wege zu diesem Magier zu begeben und ihn notfalls zu zwingen, sein Geheimnis preiszugeben. Der Meister war einverstanden, und die Frau stand nun endlich von dem harten Bett auf. Die Räuber schliefen immer noch tief und fest, sie würden erst aufwachen, lange nachdem ihr Meister fort wäre. Cléo stieß sorglos die Zellentür auf und ging durch die große Halle, dicht gefolgt von dem Meister.
"Hast du alle Häftlinge hier getötet?'' wollte er wissen, während er sich umsah. Es schien wirklich wie ausgestorben.
"Was denkst du denn? In jedem Gefängnis besteht die Möglichkeit, dass es Unschuldige gibt. Komm mit, ich zeige dir, was ich meine.''
Sie schritten durch eine schwere Eisentür.
"Ach ja, übrigens'', sprach die Frau erneut. "Wie kann ich dich eigentlich anreden?''
"Ich heiße Nifanzi Latazt Natsadnu, aber im Normalfall nennen mich Freunde einfach Nilana.''
Sie lachte. "Ach, du hast Freunde? Na, wie dem auch sei, ist leichter zu merken. So, wir sind da. Leise jetzt.''
Die beiden schauten vorsichtig in einen langen Gang. Es schien sich um eine besondere Sicherungsanlage zu handeln, denn anstatt durch die üblichen Gefängniszelltüren wurden die Räume durch schwere, nahezu blickdichte Stahltüren verschlossen gehalten. Bis auf eine waren alle Türen aufgebrochen und getrocknetes Blut ließ Nilana ahnen, was hier passiert sein musste. Aus dem einzigen verschlossenen Raum drangen dumpfe Geräusche nach außen. Eine Frau schrie. Cléo schüttelte verbittert den Kopf.
''Stunden hat sie in der schmalen Kammer verbracht, ist beinahe verrückt geworden, hat wie im Wahn mit ihren blanken Fäusten gegen die Wände geschlagen, bis alle Kraft sie verlassen hat, ihre Hände blutig und taub waren und sie vor Erschöpfung eingeschlafen ist. Ich habe sie gesehen, durch die schmale Öffnung in der Tür. Plötzlich war jemand gekommen und hat mit ihr gesprochen. Er hieß René und schien wohl ihr Mann zu sein. Er meinte zu ihr so was wie 'Sie haben Ginny, und hinter mir sind sie auch her. Wenn du hier weg kommst, finde mich. Gemeinsam holen wir sie da raus.' Dann ist er wieder fort. Was das zu bedeuten hatte, weiß ich nicht. Aber seitdem sitzt sie da drin, schreit, schlägt gegen die Wände, wird ohnmächtig, wird wach, schreit und so weiter.''
''Und du willst ihr nicht helfen?'' fragte Nilana ungläubig.
''Wozu? Ich kümmere mich um die Schuldigen. Unschuldige müssen selbst sehen, wie sie zurecht kommen. Zumindest scheint sie zäh zu sein. Wer weiß, vielleicht findet sie tatsächlich einen Weg hinaus und kann ihrem Mann helfen. Das ist nicht unser Problem. Los, lass uns weitergehen.''
Nilana bemerkte beim Gang durch das riesige Gefängnis, dass sämtliche Leichen beseitigt worden waren. Wie sie das geschafft hatte, wollte er sich nicht ausmalen, denn dafür sah sie einfach zu attraktiv aus. Obwohl sie ein wahres Monster zu sein schien, konnte er es sich nicht verkneifen, sie genauer zu betrachten und tatsächlich anziehend zu finden. Die Kleine hatte sich in der Zwischenzeit gemausert. Wenn die Umstände anders gewesen wären, wer weiß, was aus ihnen hätte werden können. Und während er so seinen Privatgedanken nachhing, kamen sie schließlich auf den Vorplatz. Eine große, bräunliche Mauer umgab diesen Ort, und direkt vor ihnen lag ein gigantisches Eisenportal im Sand. Welche Kraft es aus seinen Angeln hatte heben können, war nicht ersichtlich. Das Material war gänzlich unbeschädigt; und das Tor lag etwa fünf Meter von dem Durchgang, den es einst verschlossen hatte, entfernt. Nun aber war die Sicht frei auf die Welt außerhalb des Gebäudes. Ein schmaler Pfad führte steil bergab in ein Tal, wo sich ein größeres Dorf befand. Hütten aus Bast und Holz, teils aus Steinen bestehende Gebäude und einige umzäunte Gebiete sowie ein paar Dutzend Felder gaben dem ganzen die Idylle einer malerischen Landschaft. Viele hundert Meter hinter dem Dorf stieg die Landschaft wieder an und wuchs letztlich zu einem gewaltigen Berg, dessen Gipfel in der Mitte gespalten war. Die Sicht war klar, die Luft frisch, und die Sonne stand tief am Horizont; es würde Nacht sein, bis sie im Dorf ankamen.
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