Sein Büro war ein Albtraum, er hatte es gerade noch geschafft unter der einstürzenden Wellblechdecke zu verschwinden. Überall war Staub in der Luft, der sich mit einer weißen Schicht auf seinen feinen Anzug legte. Wütend betrachtete er sein Reich und gab seinen Leuten Befehle die Waren abzudecken und die "Repros" zu leeren. Nicht auszudenken, wenn die Polizisten sähen, was er wirklich produzierte. Die Männer arbeiteten hastig. Alle wussten was auf dem Spiel stand und das war mehr als nur ihre Freiheit. Zum Glück waren im Allgemeinen die Mitarbeiter der Polizeistation in Ararat nicht besonders schnell und auch nicht besonders erpicht darauf in das gefährliche Viertel zu kommen, deshalb hoffte der "Boss", dass es bei dem Anruf bleiben würde. Außerdem hatte er gute Beziehungen und schon vor langer Zeit genügend Leute gekauft, die ihm gerne einen Gefallen taten, wenn es darauf ankam. Trotzdem wollte er sich nicht alleine darauf verlassen, denn es gab ebenso viele, die nur darauf warteten, dass er einen Fehler machte.
»Ach und Christos, schick jemanden hinter Severina her. Ich will die Schlampe lebendig, ist das klar!«
Christos Gatsos war froh, dass er das in weiser Voraussicht bereits erledigt hatte.
Den Rest des Tages schlug der "Boss" sich dann mit den Bürokraten der Stadt Ararat herum, die wissen wollten, warum er das Gebäude nicht in Schuss hielt. Es kostete ihn einige Gefälligkeiten und eine Stange Geld aus der Sache ungeschoren herauszukommen, aber schließlich hatte er die Gemüter wieder besänftigt, dem örtlichen Baumogul einen dicken Auftrag versprochen und dem Chef der hiesigen Polizei einen neuen Wagen für das Töchterchen aus der nächsten Lieferung Luxuskarossen, selbstverständlich ohne Rechnung und als Geschenk. Seine Laune konnte nicht schlechter sein, als Christos Gatsos mit seinen Leuten zurückkam. An dessen betretenem Gesicht konnte er das Ergebnis der Suche ablesen, bevor er überhaupt zu fragen brauchte.
Christos Gatsos schüttelte nur den Kopf und schickte seine "Gorillas" hinaus, allesamt stattliche Kerle mit einer großen Schlagkraft in den Fäusten und einer gehörigen Portion Skrupellosigkeit in ihren nichtvorhandenen moralischen Grundsätzen.
Christos Gatsos atmete ein paar Mal tief durch, bevor er dem "Boss" Bericht erstattete.
»Wie vom Erdboden verschluckt! Wir haben alles abgesucht, sogar bis zur Zementfabrik drüben. Es gibt nichts von hier bis zum Gelände der Zementfabrik, wo sich ein Mensch, noch dazu ein so großer Kerl, verstecken könnte.« Müde setzte er sich in einen der Stühle in dem provisorisch eingerichteten neuen Büro vom "Boss", das sie eiligst in dem noch intakten Bereich der eingestürzten Halle errichtet hatten und rieb sich resigniert die Stirn.
»Und Severina?«
»Die ist im Hajastan International abgestiegen. Es waren einfach zu viele Leute da, um sie ohne Aufsehen da heraus zu holen. Du kennst sie ja, sie hätte das halbe Hotel zusammengeschrien. Sobald sie die Stadt verlässt, schnappen wir sie uns. Ich habe einen meiner Männer darauf angesetzt.« Christos Gatsos sah beschämt zu Boden, er wollte nicht zugeben, dass er vor Severina ein wenig Angst hatte. Das war immer schon so gewesen.
Der "Boss" sah ihn missmutig an, nickte aber schließlich unwillig. Noch mehr Aufsehen konnte er tatsächlich nicht gebrauchen. Das Gold hatte ihn eine Menge gekostet, auch wenn er es weit unter dem tatsächlichen aktuellen Kurs bekommen hatte. Er wechselte das Thema.
»Was denkst du? Was ist das für ein Kerl? Wo kommt der her?«
Christos Gatsos schüttelte wieder den Kopf. »Keine Ahnung, "Boss", aber der ist irgendwie seltsam. Außerdem verstehe ich immer noch nicht, wo der Typ die großen Goldklumpen versteckt hatte. Wir haben ihn von oben bis unten durchwühlt, das hätte uns doch auffallen müssen.«
Der "Boss" nickte bestätigend. Das war ihm auch schon in den Sinn gekommen. Er kannte Christos Gatsos gut genug, um zu wissen, dass er gründlich war. So etwas konnte er unmöglich übersehen haben, das hätte ja sogar ein Blinder entdeckt und doch war es so. Hier stank etwas gewaltig zum Himmel. Er musste Severina in die Finger kriegen, die ihm sicher einiges dazu sagen konnte.
»Wir müssen ihn finden. Versucht es morgen noch einmal und bestecht die Busfahrer, alle die irgendein Transportgerät anbieten, die Bahn, was weiß ich, seid gründlich diesmal. Irgendwie muss er ja von hier wegkommen und zu Fuß wird er das kaum schaffen.« Der "Boss" warf einen kalten Blick auf Christos Gatsos, der zusammenzuckte und Haltung annahm. Er wusste, dass er sich keinen weiteren Fehler erlauben konnte. Rasch stand er auf und ging hinaus, um seinen Leuten noch ein paar Instruktionen zu geben.
Der nächste Morgen war grau und trist und es hatte über Nacht geschneit. Eine dünne Schneedecke lag über der Landschaft und ein kalter Wind pfiff aus dem Norden herab, der weiteren Schnee versprach. Bald würde das Land unter der weißen Pracht versinken und alle Spuren verwischen, die der Fremde bei seiner Flucht hinterlassen hatte. Christos Gatsos stand am Rande des großen Feldes vor der Zementfabrik und ließ seinen Blick über die Ebene streichen. Von dem Kerl war nichts zu sehen, selbst wenn er sich hier in der Gegend verstecken wollte, es gab einfach nichts. In der Fabrik war er mit Sicherheit nicht, es gab nur ein Tor durch die Elektrozäune und das war gut bewacht. Er stieg in den schwarzen VAN und knallte hinter sich wütend die Wagentür zu.
»Fahr los, hier ist er nicht. Wir versuchen es weiter nördlich in den Bergen. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass er das zu Fuß in der kurzen Zeit schaffen konnte, aber wir versuchen es trotzdem. Wenn dort nichts ist, dann fahren wir Richtung Süden, obwohl ich nicht glaube, dass er diese Richtung genommen hat. Über die Grenze in die Türkei oder den Iran käme er niemals ohne gesehen zu werden.«
Den ganzen Tag fuhren sie Quadratkilometer für Quadratkilometer rund um die Stadt Ararat ab, doch sie fanden nicht die geringste Spur von dem Flüchtigen. Besorgt überlegte Christos Gatsos, ob er es wagen konnte in die Fabrik zurückzukehren, so ohne Erfolgsmeldung. Seine Leute sahen ihn unruhig an, sie wussten, wie ungemütlich der "Boss" werden konnte, wenn es nicht nach seinen Wünschen ging. Schließlich gab er es auf.
»Es macht keinen Sinn mehr, es wird bereits dunkel. Vielleicht haben wir morgen mehr Glück.« Christos Gatsos war nicht wohl dabei, wieder ohne Ergebnisse zurückfahren zu müssen, aber was sollte er machen. Er hatte den Kerl nicht gefunden.
Der Fahrer des VAN bog auf die Schnellstraße ein, um nach Ararat zurückzukehren. Auf der Gegenfahrbahn kamen ihnen Road Trains der Zementfabrik entgegen. Fünf prachtvolle nagelneue Rocky-Mountain-Double-Sattelzugmaschinen mit Zwölf-Meter-Auflieger und einem zusätzlichen Hänger mit fast neun Metern Länge, gebaut von Frightliner, einem amerikanischen Unternehmen. Die leistungsstarken Brennstoffzellen des Unterflurmotors schafften es locker die sechzig Tonnen Nutzlast des Sattelgliederzugs zu transportieren. Das Geschäft hätte er auch gerne gemacht, aber bis jetzt hatten sie keinen Fuß in die Tür gebracht. Nachdenklich sah er den Schleppern hinterher, bis sie außer Sicht waren. Sein Visifon klingelte. Christos Gatsos warf einen raschen Blick auf das Display, aber die Nummer sagte ihm nichts. Stirnrunzelnd nahm er den Anruf an.
»Ja?«
»Hier ist Parbat Pradan, ich habe da etwas für Sie, das Sie interessieren dürfte«, flüsterte eine heisere, müde Stimme ins Telefon.
Christos Gatsos musste eine Weile überlegen, wer der Mann war, bis es ihm wieder einfiel. Der Kerl war ein kleiner Hehler, der ihm ab und zu alte Waffen besorgte, wo immer er die auch herhatte, aber das interessierte Christos Gatsos nicht sonderlich. Er hatte ein Faible für alte Steinschlosspistolen, die er liebevoll und in mühsamer Kleinarbeit reparierte. Aber heute hatte er keinen Kopf dafür, er hatte andere Probleme, die er zuerst lösen musste.
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