Ich kniff mich in den Handrücken. Schüttete den Underberg hinunter wie einen Zaubertrank, von dem ich Erlösung erhoffte. Konnte das Mädchen nicht zurück in diese Flasche fliehen?
Ich nahm Zuflucht zu einer neuen These der Kommunikations-Psychologie. Hier war ich fit, war mir alles präsent, konnte ich am Flipchart interessante Kurven zeichnen, bekam ich wieder Boden unter die Füße, konnte ich - mit wieviel Überzeugungskraft? - unsere neue Kampagne einbetten.
Ich begann, wie ein Buch zu reden. Ich redete, um nicht an anderes denken zu können. Fragen ließ ich nur zu, wenn sie sich mit drohender Vehemenz artikulierten.
Der Preis für dieses ganz und gar tölpelhafte Verhalten war in Viertelstunden zu zahlen. Nein, ein Blick auf die Uhr bläute es mir ein: So würde ich noch Stunden hier um den Auftrag kämpfen. Und immer wenn es in die Abendstunden hinein dauerte, war eine ermüdende, so wahnsinnig männerhafte Bar-Session unumgänglich. Meist gab man sich damit nicht zufrieden. Zuletzt klapperten wir auf einen Absacker mit dem Taxi noch Kneipen in der Altstadt ab, aus denen noch Lärm und Remmidemmi erscholl. Nur nicht heute!
Noch knappe fünfzehn Stunden blieben mir, um das Asylproblem zu lösen. Und jedes lächerliche Disputieren um Design, um noch farbigere Farben und den überzeugendsten Text, um die Gültigkeit der Aussage, die Griffigkeit der Packung, jedes Hin und Her von Argumenten, die längst nur noch dem Buhlen um Selbstbestätigung, der Wichtigtuerei galten, ließ diese kostbare Zeit zusammenschmelzen. Alles nach dem Motto: Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht von mir.
So sann ich wenigstens darauf, eine kurze Pause zu erzwingen, simulierte einen Übelkeitsanfall und erbat, mich für zehn Minuten auf mein Zimmer zurückziehen zu dürfen. Kleinschmidt kam noch auf die Idee, es solle mich jemand begleiten, so echt mimte ich den Sterbenskranken. Auch wollte man den Arzt rufen, denn mit Vergiftungen solle man nicht spaßen und jede Minute sei kostbar.
Aber es gelang mir, die gröbsten Befürchtungen zu zerstreuen. Wahrscheinlich sei mir ein Grippemittel nicht bekommen, das ich schon am Vortag in hohen Dosen eingenommen hätte, um die Präsentation nicht wegen einer dämlichen Erkältung absagen zu müssen. Nun rebelliere wahrscheinlich nicht so sehr mein Magen, als vielmehr der Kreislauf - und dafür hätte ich ein bewährtes Mittel parat, nämlich kurz mal den Kopf unter kaltes Wasser zu halten. Und ein, zwei Päckchen Dextroenergen mit Schweppes runterzuspülen. In der Tat war das eines meiner Hausmittel gegen anfällige Infektionen. Aber sicher half es nicht gegen flüchtige Schleier-Frauen.
Immerhin erreichte ich damit zweierlei. Zunächst eine viertelstündige Unterbrechung, und dann - wichtiger noch - die erklärte Bereitschaft, anschließend schnell zu einer Entscheidung zu kommen, damit ich mich ein wenig schonen könnte.
Warum hat sich dieses Mädchen ausgerechnet mich ausgesucht für ihr Fluchtvorhaben, mich, einen solide verheirateten Mann, warum nicht eine Frau, oder warum war sie nicht einfach aus dem Haus gelaufen, zu irgendeinem Polizisten oder zu einer Wache?
Überdies begann ich wohl schon selbst, an mein Fieber zu glauben, denn auf dem Weg zum Lift flüchtete ich mich für einen kurzen Augenblick in die Vorstellung, ich habe das alles gar nicht wirklich erlebt. Das Mädchen sei nur meiner Phantasie entsprungen, und wenn ich erst oben in meinem Zimmer angekommen wäre, fände ich es bestimmt leer vor.
Ein Menschenauflauf an der Rezeption, das heftige Gestikulieren eines wuchtigen Mannes, dem seine persische Herkunft ins Gesicht geschrieben war, und die Anwesenheit einer Funkstreifenbesatzung riss mich allerdings rasch aus meinen Illusionen. Blitzschnell führte ich mir die Szene vor Augen, in was ich da hineinschlittern würde, wollte ich mich auf den Plan oder die fixe Idee meiner Asylantin einlassen.
Schnell bahnte ich mir eine Gasse durch den Menschenauflauf, fragte auch noch - so zur Tarnung meiner Mitwisserschaft - nach rechts und links, um was es denn hier ginge, erfuhr auch, ein Kind sei weggelaufen oder entführt worden, schnaubte ein chauvinistisches "Sollen doch auf ihren Haufen Blagen besser aufpassen!" und raste zum Aufzug. Gottlob blieb ich allein. Nur im Flur wuselten schon die Zimmermädchen durch die Gegend, um die Abendinspektion vorzunehmen, die Bettdecken aufzuschlagen, noch einmal frische Handtücher zu verteilen und die Tabletts von Zimmermahlzeiten einzusammeln. Einem dieser Kammerkätzchen lief ich direkt in die Arme, als sie auf mein Zimmer zusteuerte.
"Es geht jetzt im Augenblick nicht!" murmelte ich - mit Hinweis auf die "Nicht-Stören“-Pappkameradin.
"Verstehe!" murmelte das Weißhäuptchen. "Werde ich später noch zweite Garnitur Handtücher bringen!" schaltete sie blitzschnell. Gefährlich schnell, wie mir zugleich bewusst wurde; denn ganz gewiss würde sie ja später einvernommen und nach verdächtigen Hinweisen befragt. Mit einem verzerrten Lächeln versuchte ich sie zu überzeugen, dass ihr Verdacht auf ein leibhaftiges Mitbringsel, auf erotische Konterbande, die ich eingeschmuggelt hätte, nicht gerechtfertigt sei. Vielmehr sei mir nicht besonders und ich wolle mich jetzt schon zurückziehen, und das Zimmer sei in Ordnung und das Bett wolle ich mir schon selbst aufschlagen.
Sie schaute mich ein wenig verständnislos an. Das lag aber, wie sich bei der Wiederholung meiner Worte herausstellte, eher daran, dass sie Ausländerin unbekannter Herkunft war und auf eine überaus freundliche und strahlende Art und Weise nur Bahnhof und Bumsvallera verstand, denn die Geheimnisse oder Offenbarungen der Hotelliebe hatte sie ja sehr rasch begriffen.
Um mich nicht auf weitere Erklärungen einzulassen, schob ich entschlossen meine Codekarte in den Schlitz, drückte vorsichtig und langsam die Tür auf. Es war dunkel herinnen und für einen kurzen Moment flammte meine Hoffnung wieder auf, alles sei nur ein Spuk gewesen oder das Mädchen habe inzwischen das Weite gesucht. Ich knipste nur das kleine Flurlicht an und schaute mit forschendem Blick um die Ecke. Zuerst entdeckte ich niemanden. Aber dann sah ich die Kauernde hinter dem Sessel in der dunklen Ecke hocken. Nun legte ich den stille-erheischenden Finger an die Lippen, zog die Vorhänge zu und trat auf den Fußschalter der Stehlampe. Man kennt ja diese Einrichtung. Sie ist wohl auf der ganzen Erde, soweit das Hotelimperium reicht, erschreckend uniform.
Das Mädchen hatte ihr Gesicht in ihren Händen verborgen. War es, um sich erst allmählich an das Licht zu gewöhnen? Oder glaubte sie, hinter diesem Schutzschild vor den Fährnissen ihres unmittelbaren Schicksals Rettung suchen zu können? Wieder kam diese entstellte Maske der Angst zum Vorschein, als sie ganz langsam die jetzt gespreizten Finger hinunter gleiten ließ.
"Was machen wir nur jetzt?" fragte ich eher mich als sie. "There is police in the hotel! They are cherchez for you! Dein Vater … your father … ist sehr aufgeregt. Es gibt difficulte, many difficulties for you. Won`t you better go back?"
"No, no, no! Assil, bittescheen, Assil, gutter Herr. Lieber tott als back to Iran. No, I shall jump from the balcony. Lieber tott!"
Ich weiß beim besten Willen nicht, ob ich ihre Sätze einigermaßen authentisch wiedergegeben habe. Das spielt auch eigentlich keine Rolle, denn in den nächsten bangen Stunden unseres Zusammenseins fanden wir wie selbstverständlich zu einer sehr eingängigen und leichten Form der Verständigung.
Sie hieß Safire oder Sefire. Oder so ähnlich. Es klang so, und ihre Sprache klang wie der sanfte Wind, der Zephir, in wunderbaren Märchen. Nur dass wir uns beide in einer furchtbaren Realität befanden, und keineswegs in einem orientalischen Märchen. Andererseits hätte sie auch der Name Safire geziert; doch zu solchen Überlegungen war ich beim besten Willen in diesen Sekunden nicht in der Lage.
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