Im Inneren des Häuschens roch es, als müsste dringend gelüftet werden und das offene Feuer des Kamins trug ein Übriges dazu bei. Die freundliche Bäuerin ging voraus und führte die Freunde in die Stube: »Tretet ein und setzt Euch. Fühlt Euch wie zu Hause.« Lilu stand etwas verlegen mit dem Kindchen im Bündel auf der Schwelle. »Habt Ihr einen Platz, an dem sie sich ausruhen kann? Die Anstrengungen der letzten Stunden haben sie etwas mitgenommen.«
Die Bäuerin nahm ihr das Kindchen vorsichtig ab und legte es in einen Weidenkorb, den sie vorher mit Kissen und Decken ausgelegt hatte.
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Und endlich gab es zu essen - und zwar reichlich. Obwohl Alexander noch nicht vollständig genesen war, aß und schmatzte er mit Bauer Ewald um die Wette. Gebratenes Fleisch, Kartoffeln, Karotten und Kohlrabi verschlang er, als ob es am morgigen Tage nichts mehr geben würde und obwohl die Bohnen köstlich dufteten, verzichtete er lieber. Alle ließen es sich schmecken und sprachen nur das Nötigste.
Dann erhob sich die Bäuerin. »Ich werde mich erst einmal um das Kindchen kümmern. Das muss ja völlig ausgehungert sein.« Bauer Ewald setzte sich auf den Schaukelstuhl, der vor dem brennenden Kamin stand, lehnte sich zurück und sagte: »Keine Sorge. Sechs Kinder hat das Weib groß gekriegt und ich kann mit Stolz sagen: Alles prachtvolle Burschen.«
Er fischte eine Holzpfeife aus seiner Weste, stopfte und entzündete diese. »Sind alle in die Fremde gegangen, um ihr Glück zu suchen.« Wehmütig zog er an seiner Pfeife. »Wenn Ihr gesättigt seid, setzt Euch zu mir und erzählt Eure Geschichte. Welche Geschäfte, wenn ich fragen darf, führen Euch in diese Gegend?«
Lilu und Alexander setzten sich auf eine Fußbank vor das Kaminfeuer und Lilu antwortete: »Wir danken Euch für Eure selbstlose Gastfreundschaft aber das, mein lieber Bauer, soll nicht Eure Sache sein.«
Alexander war für einen Moment über ihre Antwort erstaunt. Bauer Ewald jedoch schaute nur nachdenklich in die Flammen des Kamins. »Wenn Ihr nicht möchtet, braucht Ihr nichts zu sagen.« Er hielt einen Moment inne, gab seinem Schaukelstuhl neuen Schwung und dann fuhr er fort: »Wie ich schon sagte: In letzter Zeit treibt sich hier des Nachts lichtscheues Gesindel herum. Fast jede Nacht schlägt Bero an und trotzdem verschwinden meine Hühner.«
»Hühnerdiebe?«, wunderte sich Lilu.
»Ja, auch zwei meiner besten Rinder wurden gerissen und wenn nicht bald was passiert, werden wir wohl demnächst Steine essen müssen.«
»Dann guten Appetit«, lachte Alexander.
Der Mann fand das weniger komisch und brummte: »Na, sieh einer an, Euer Bruder kann ja doch sprechen.«
»Sie ist nicht meine Schwester«, versuchte Alexander hastig richtig zu stellen. »Sie ist meine … Freundin.«
Der Bauer schaute ihn fragend von der Seite an.
»Also, nicht meine Freundin«, stotterte der Junge. »Eher ein Freund. Ein Mädchen als Freund, verstehen Sie?«
Doch der Mann verstand nicht ein Wort und Alexander hielt lieber seinen Mund. Nach einer kurzen Pause sagte Lilu: »Es ist ein Uranolith niedergegangen. Wir sind ausgezogen, um Beistand zu erbitten.«
»So, so, ein Uranolith sagt Ihr. Wir haben das Beben gespürt. Der Einschlag war gewiss weit entfernt«, nickte der Mann und gab seinem Stuhl neuen Schwung. »Von mir werdet Ihr allerdings keine Hilfe zu erwarten haben. Ich bin nur ein einfacher Bauer, der sich nicht um die Dinge anderer kümmert.«
»Das, lieber Bauer, haben wir auch nicht erwartet, doch wird die Zeit kommen, da Euch diese Dinge genauso betreffen werden wie jeden anderen. Ihr seht, dass es schon begonnen hat«, antwortete Lilu. »Hoch im Norden soll es einen Drachen geben, der alt und mächtig sein soll. Er wird wissen, was zu tun ist.«
»Einen Drachen? Keine gute Idee«, grummelte er. »Habt Ihr dieses Ungetüm erst einmal geweckt, wird es auch nicht vor unserem Vieh halt machen. Ihr wollt einen Brand mit der Flut bekämpfen.«
»Also gibt es ihn wirklich?«, fuhr Alexander dazwischen.
»Natürlich gibt es ihn. Ich habe ihn zwar noch nie gesehen und ich kenne auch keinen, der ihn jemals gesehen hätte, aber ich lege auch keinen Wert auf seine Gesellschaft. Ich bin zwar nur ein einfacher Mann, doch selbst ich habe von den Zeichen gehört. Das Monstrum soll Feuer ins Tal schicken und es sollen bereits Leute spurlos verschwunden sein. Wenn jemand freiwillig dieses Wesen aufsucht, muss es schlechter um uns stehen, als ich dachte.« Er nickte, zog an seiner Pfeife und wiederholte: »Ja, ja – schlechter, als ich dachte.«
Das Kamingespräch wurde jäh von lautem Gebell unterbrochen. Augenblicklich sprang Bauer Ewald auf, schnappte sich seine Forke, die griffbereit neben der Tür stand und fluchte laut vor sich hin: »Elendes Pack. Jetzt könnt ihr was erleben.«
Alexander hätte niemals vermutet, dass sich ein Kerl solchen Ausmaßes so flink bewegen könnte. Ewald riss die Haustür auf, um zu seinem Hofhund zu eilen und die Bäuerin mahnte: »Sei vorsichtig, Vater.«
Der Junge sprang ebenfalls auf und schnappte sich seinen treuen Knüppel, bereit, Leib und Leben seiner Freunde zu schützen, traute sich jedoch nicht hinaus in die Dunkelheit. Er stand an der Tür und hörte den Bauern rufen: »Halt, wer da?« Und eine tiefe Stimme von weit her antwortete: »Ich bin es nur. Wigand, der Schmied. Halte deine Töle zurück oder es passiert ein Unglück.«
Alexander stand noch immer abwehrbereit auf der Schwelle, als Bauer Ewald das Haus betrat. Ihm folgte ein schrankgroßer Kerl, der fast den Türrahmen sprengte. Ein dichter langer Vollbart gab zwar lediglich seine große Nase und seine wachen Augen frei, doch schien dieser unerwartete Besucher etwas jünger als der Bauer zu sein. Er trug einen fleckigen, grauen Umhang, dessen Kapuze tief in sein Gesicht fiel. Seine groben Hände zeugten von seinem Berufsstand und ließen die Vermutung zu, dass der Schmied zur Not das Eisen auch ohne Hammer würde bearbeiten können.
»Komm herein«, bat Bauer Ewald. »Was führt dich zu dieser späten Stunde noch zu uns?«
»Ah, ich sehe, ihr seid gerade beim Abendessen«, antwortete der Schmied und schielte erwartungsvoll auf den Tisch, der noch nicht abgedeckt war.
»Setz dich, Wigand.« Der Bauer war bemüht, seinen Gastgeberpflichten nachzukommen. »Weib, gibt es noch Kartoffeln und Huhn für unseren Gast?«
Die Frau nickte, wandte sich Lilu zu und flüsterte: »Das ist Wigand, unser Hufschmied. Er schätzt die schönen Dinge des Lebens. Besonders, wenn sie auf dem Tisch stehen.«
Wigand aber setzte sich nicht sofort, sondern musterte misstrauisch die beiden Fremden und das schlafende Baby in dem Weidenkorb.
»Das sind unsere Gäste«, stellte der Bauer Lilu und Alexander mit sparsamen Worten vor. »Sie sind auf der Durchreise.« Das sollte vorerst genügen. Daraufhin machte Lilu wortlos eine nickende Bewegung, die Wigand als Begrüßung verstehen sollte. »Ah, ein Feuerkopf«, bemerkte dieser und zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. »Fürwahr, diese Art bekommt man selten zu Gesicht.« Und obwohl er sie dabei ansah, hörte es sich so an, als ob er über sie, nicht aber mit ihr sprechen würde. Alexander wunderte sich über diesen Ausdruck: Feuerkopf!
Wigand legte seinen Umhang ab, begab sich zu Tisch und Lilu ging der Bäuerin zur Hand und in diesem Moment entwich Alexander ein lauter, allerletzter Furz. Er hatte gar nichts dagegen tun können. Lilu schmunzelte, und erklärte: »Der Arme kann nichts dafür. Er hat von den verbotenen Nüssen genascht.«
Da lachte Wigand, der Schmied: »Ja, die alte Guste - wenn das nur nicht so stinken würde. Ha, ha, ha.«
Dem Jungen war es sehr peinlich, aber Wigand fuhr fort: »Ich bin der Versuchung als Bursche auch erlegen, wie fast alle Burschen des Dorfes. Das war so etwas wie eine Mutprobe, damals, als wir noch jung waren und Flausen im Kopf hatten. Was, Ewald?«
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