„ Herrchen wartet auf dich“, sage ich halbherzig.
Hundsvieh steht auf, dreht sich um und erleichtert sich am nächstbesten Baum. Da ich nicht weiß, wie ich diese Geste deuten soll, starte ich einen zweiten Versuch:
„ Wir unternehmen eine ausgiebige Wanderung bis zum Gipfel hinauf. Nur wir beide. Da treffen wir mit Sicherheit auf mindestens eine durchtrainierte Sportsdame nach deinem und ein passendes Frauchen nach meinem Geschmack. Na?“
Vorschlag abgelehnt. Hundsvieh geht in die Hocke und scheißt ins Moos.
Ich muss gleichzeitig lachen und mich über meine Reaktion wundern. Da führe ich auf meinen Stadtspaziergängen mit jeder einzelnen Hinterlassenschaft eines just sich im Geschäft befindlichen Vierbeiners ein schulmeisterliches Gespräch und lege ihr die persönliche Bekanntschaft mit der Schuhsohle wenn nicht Nasenspitze seines Herrchens oder Frauchens ans Herz, und was geschieht in diesem Augenblick? Ich finde den Vorgang originell.
Ich ziehe mein T-Shirt aus und lasse mich ins Gras fallen. Hundsvieh kommt sofort herbeigelaufen und nimmt neben mir Platz. Ohne zu zögern legt es seine Schnauze auf meinen nackten Bauch, ohne sich darum zu kümmern, ob ich das mag oder ob diese Geste nicht vielleicht eine Spur zu intim ist. Sein Kopf hebt und senkt sich mit jedem meiner Atemzüge. Seine Augen schauen mich direkt an, seinem Maul entströmen leise, gleichmäßige Brummtöne, es hört sich an, als würde mein Magen knurren. Mit dem Handrücken beginne ich damit, abwechselnd seine Wangen zu streicheln. Ich sehe den Wolken zu, die von den Gipfeln wie Rauchzeichen von Indianern zu uns herüber geblasen werden.
Wieder dieses Donnergrollen, näher diesmal, ohne Regenwolken. Seltsam. Hundsvieh winselt in meinen Nabel. Ich kraule es hinter den Ohren.
„ Hier ist es doch auch sehr gemütlich, findest du nicht?“
Ein zufriedenes Gähnen als Antwort.
„ Na also.“
Bevor es sich anders entscheidet, massiere ich seinen Nacken.
„ Spürst du auch, wie plötzlich der Wind eingesetzt hat?“
Keine Erwiderung. Wohliges, katzenartiges Schnurren.
„ Und weißt du, was das heißt - Wind aus dem Süden?“
Neuerliches Gähnen. Gedämpftes Schnarchen. Streicheln. Kraulen. Massieren.
„ Das bedeutet Föhn bei uns und …“
Massieren, kraulen, streicheln, tätscheln.
„… Regen in Limone. Hast du gehört? Re-gen.“
Täuscht es mich, oder wiegt sein Körper mit einem Mal um etliche Kilogramm mehr? Das Schnurren - hat es sich nicht in ein kehliges Knurren, beinahe tigerartiges Fauchen verwandelt?
„ Nasses Fell. Klamme Pfoten. Brr. Und weit und breit keine einzige Hundedame auf der Strandpromenade. Die wären doch schön blöd, bei diesem Hunde- entschuldige Sauwetter ihr gemütliches Heim zu verlassen.“
Unmelodisches Summen. Brummelndes Schnaufen. Zurückhaltendes Husten.
„ Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist …“
Majestätisches Schweigen. Ich lasse meinen Blick schweifen.
„… rotbraun.“
Ich denke mir: Du meine Güte.
In einiger Entfernung von uns zieht eine Gruppe von Rehen oder Hirschen vorbei, schweigsam, im Gänsemarsch, in beachtlicher Zahl, beinahe wie die Kinder aus meiner Schule, wenn sie mit meinem gestrengen Sportkollegen folgsam das Schulhaus verlassen.
Mich wundert, dass Hundsvieh nicht einmal den Kopf hebt. Wo bleibt sein Jagdinstinkt? Liegt es vielleicht am Wind, der die aromatischen Wilddüfte gegen Norden, Richtung Tal und somit klammheimlich an den zweihundertfünfzig Millionen Sinneszellen einer Hundsnase vorbei weht?
„ Alles in Ordnung mit dir? Samstags Veganer oder wie? Oder prinzipiell keine Lust auf exotisches Wildbret?“
Ich setze mich auf und stütze mich am Ellbogen ab. Hundsviehs Schnauze wandert von meiner Bauchfalte zur Achselhöhle und gräbt sich dort ein.
„ Hast du eine Ahnung, warum die alle talwärts ziehen? Ausgerechnet jetzt, zu Beginn des Sommers?“
Leises Gurgeln. Ein lang gezogener Seufzer.
„ Sehnsucht nach den Jägern, oder was meinst du?“
Hintereinander ein paar diskrete Niestöne, unterdrücktes Gelächter?
„ Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist rund und trägt Sandalen.“
Ein Knurrton in meiner Achselhöhle.
Gerade als ich „Reingelegt!“ rufen und Hundsvieh in den Hintern kneifen möchte, taumelt der Pfarrer vorbei, als Letzter in der Reihe.
Genau so, nur ein bisschen abgezehrter, habe ich mir als Kind den Heiligen Franz von Assisi vorgestellt. Oder war es Noah? – Du lieber Himmel, es sieht wirklich so aus, als treibe da drüben Noah die Tiere des Waldes hinunter zu seiner Arche.
Die Wolken haben sich zu gallertartigen Schirmen formiert, sie lassen sich mit der Strömung des Südwinds treiben wie riesige Quallen im blauen Ozean des Firmaments, die Lust verspüren, mit ihren Tentakeln nach mir zu greifen.
Ich drücke Hundsviehs Körper fester an mich und flüstere in sein Fell.
„ Hast du eine Ahnung, was hier vor sich geht?“
Keine Reaktion.
„ Gott sei Dank! Da bist du ja!“
„ Herr Pfarrer!“
Hundsvieh beißt mir in den Oberarm.
20
Als der Pfarrer mich umarmt, springt Hundsvieh hoch, macht Männchen und schlingt seine Pfoten um unsere Hälse. Von einem Hochsitz aus präsentieren wir uns wohl als drei tanzende Fußballer, die Hundsviehs Siegestor bejubeln.
Der Donner in unmittelbarer Nähe klingt wie frenetischer Applaus. Rührt daher meine Gänsehaut?
Hundsviehs Pranken verweilen nur kurz auf unseren Schultern. Mir verpasst es eine sanfte, ja liebevolle Ohrfeige, den Pfarrer schlägt es mit einem kraftvollen Hieb zu Boden. Noch im Fallen gibt er unverständliches Zeug von sich. Es hört sich an wie „Gottseibeiuns.“
Hundsvieh springt auf und davon.
Über den Wipfeln sammeln sich Schwärme von Krähen, aus allen Himmelsrichtungen strömen sie herbei, ihr Geschrei klingt nicht nach ihrem sonst so verspielten, kecken Kraah-Kraah , es hat sich in ein Har-Har verwandelt, zu jenem zynischen Gelächter der Panzerknacker.
Während ich versuche, den Pfarrer in die Sitzposition zu hieven, nehme ich ganz in der Nähe einen Chor unterschiedlichster Waldvögel wahr. Ich packe den Pfarrer unter den Achseln, ziehe ihn zur nächsten Fichte und lehne seinen Oberkörper an den Stamm. Erschöpft lausche ich den Vogelstimmen und versuche, sie den einzelnen Sängern zuzuordnen. Ein Stimmengewirr von Meisen und Grünfinken, von Gimpeln und Zilpzalpen, von Kuckucken und … das gibt es doch nicht … ich höre es ganz deutlich … von Ziegenmelkern. Was hat das Gezwitscher dieser unscheinbaren Vögel hier verloren, noch dazu um die Vormittagszeit?
Der Pfarrer steht stöhnend auf und versucht, zu mir zu humpeln.
„ Werden wir abgeholt? Ich vernehme das Geräusch von Motorrädern.“
„ Nein, keine Motorräder. Der Gesang der Ziegenmelker. Gott sei Dank, dass Sie wieder wohlauf sind.“
„ Apropos. Hunger! Und Durst! – Ziegenmelker?“
„ Sie haben richtig gehört. Diese scheuen, kleinen Kerle, übrigens dämmerungs- und nachtaktiv.“
„ Schon so spät?“
„ Eben nicht.“
„ Seltsam.“
„ Finde ich auch.“
„ Klingt nach Problemen.“
„ Nein.“
„ Nein?“
„ Klingt nach Unheil."
„ Du lieber Himmel.“
„ Sie sagen es.“
„ Ich fühle es.“
„ Ich auch.“
Har-Har .
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