2. Die eigentliche Praxis
3. Die abschließenden Stufen
DIE VORBEREITENDEN ÜBUNGEN
Es gibt vier vorbereitende Übungen:
1. Zuflucht nehmen und Bodhichitta erzeugen
2. Selbsterzeugung als Gottheit
3. Die Umgebung und ihre Bewohner reinigen
4. Die Darbringungen segnen
Zuflucht nehmen und Bodhichitta erzeugen hat zwei Teile:
1. Zuflucht nehmen
2. Bodhichitta erzeugen
Bevor wir uns hinsetzen und mit der Sadhana beginnen, sollten wir das Zimmer putzen und einen Altar mit Darstellungen von Buddhas Körper, Rede und Geist errichten. Insbesondere sollten wir Bilder von unserem spirituellen Meister, Eroberer Vajradhara, Buddha Shakyamuni und Je Tsongkhapa aufstellen. Vor diesen sollten wir mindestens eine Reihe von Darbringungen einschließlich vier Schalen Wasser anordnen. Diese werden später erklärt. Dann sollten wir uns in bequemer Haltung auf ein Meditationskissen oder einen Stuhl setzen und mit der Sadhana beginnen.
Zu Beginn sollten wir sicherstellen, dass unser Geist ruhig, friedvoll und frei von begrifflichen Ablenkungen ist. Je Tsongkhapa schrieb einst einen Text, in dem er tibetischen Meditierenden eine Reihe von Fragen stellte. Später schrieb der erste Panchen Lama Antworten auf diese Fragen. Eine von Je Tsongkhapas Fragen lautete: «Was ist das Wichtigste zu Beginn einer Meditationssitzung?» Der Panchen Lama antwortete, dass wir damit beginnen sollten, unseren Geist zu untersuchen. Manchmal wird allein schon die gewissenhafte Untersuchung unseres Geistes unsere Ablenkungen befrieden. Zu Beginn ist unser Geist sehr auf äußere Phänomene gerichtet und wir sind mit weltlichen Angelegenheiten beschäftigt. Richten wir unsere Aufmerksamkeit aber nach innen, um unseren Geist zu untersuchen, so ist es möglich, dass diese begrifflichen Ablenkungen aufhören.
Wir sollten eine Weile ruhig dasitzen und beobachten, welche Geistesarten auftauchen. Sind es reine, tugendhafte Geistesarten, dann können wir gleich mit der Sadhana beginnen. Sind es jedoch nichttugendhafte oder weltliche Geistesarten, dann sollten wir zuerst Atemmeditation üben, um sie zu beseitigen. Alle Geistesarten hängen von inneren Winden ab. Reine Geistesarten hängen von reinen Winden ab und unreine Geistesarten von unreinen Winden. Beseitigen wir unsere unreinen Winde, so befrieden wir ganz natürlich unsere unreinen begrifflichen Geistesarten und erzeugen wir danach reine innere Winde, so erzeugen wir ganz natürlich reine Geistesarten. Deshalb beginnen wir damit, uns vorzustellen, dass alle unsere unreinen Geistesarten und unreinen Winde die Form von dunklem, schwarzem Rauch annehmen. Mit dem starken Wunsch, sie zu überwinden, atmen wir sanft durch unsere Nasenlöcher aus. Dabei stellen wir uns vor, dass all dieser schwarze Rauch aus der Tiefe unserer Lunge aufsteigt, durch unsere Nasenlöcher austritt und in den Raum verschwindet. Wir fühlen uns innerlich vollkommen gereinigt. Nun atmen wir langsam ein und stellen uns vor, dass wir alle Segnungen der Buddhas und Bodhisattvas in Form von reinem, weißem Licht einatmen. Dieses weiße Licht erfüllt unseren Körper und Geist und wir fühlen uns vollkommen rein. Wir wiederholen dies zweimal, dreimal oder öfter, bis unser Geist rein, glücklich und einsgerichtet ist und die begrifflichen Ablenkungen vollständig befriedet sind.
Wir üben die Atemmeditation zu Beginn einer Sadhana, um unreine Geistesarten zu überwinden und unseren Geist in einen neutralen Zustand zu versetzen. Ausgehend von diesem neutralen Zustand können wir dann mühelos einen tugendhaften Geisteszustand erzeugen. Wenn wir nicht zuerst unsere unreinen begrifflichen Geistesarten befrieden, wird es uns sehr schwerfallen, reine Geistesarten zu erzeugen. Wollen wir zum Beispiel einen farbigen Stoff färben, wird es schwierig sein, die gewünschte Färbung zu erreichen, wenn wir den Stoff nicht vorher bleichen. Unseren Geist durch Atemmeditation zu befrieden ist dasselbe wie einen Stoff zu bleichen. Atemmeditation ist sehr hilfreich, wenn wir sie in dieser Weise als Vorbereitung für eher praktische Arten der Meditation nutzen, doch wenn wir die Atemmeditation zu unserer Hauptpraxis machen, werden wir keine anhaltenden Ergebnisse erzielen. Es mag sein, dass wir vorübergehend unseren Geist befrieden und ein gewisses Maß an innerem Frieden erlangen. Doch üben wir anschließend keine der praktischen Meditationen über die Stufen des Pfades wie die Meditationen über Entsagung, Mitgefühl, Bodhichitta oder Leerheit, so werden wir nie irgendwelche anhaltenden Veränderungen in unserem Geist hervorbringen, sondern gewöhnliche Wesen bleiben, die ständig anfällig für Leiden sind.
Sobald wir unseren Geist in einen ruhigen und neutralen Zustand versetzt haben, müssen wir einen besonders tugendhaften Geisteszustand erzeugen. Dies geschieht in Verbindung mit dem ersten Vers der Sadhana:
Mit einem vollkommen reinen Geist großer Tugend
Nehmen ich und alle fühlenden Mutterwesen so unermesslich wie der Raum
Von jetzt an, bis wir die Essenz der Erleuchtung erlangen,
Zuflucht zum Guru und den Drei kostbaren Juwelen.
Dieser Vers enthüllt die Ursachen der Zufluchtnahme, die Art und Weise der Zufluchtnahme und die Zufluchtsobjekte. Die Ursachen der Zufluchtnahme werden in der ersten Zeile aufgezeigt. Im Allgemeinen sind dies Entsagung, großes Mitgefühl und Vertrauen in den Guru und die Drei Juwelen. Da Darbringung an den spirituellen Meister eine Praxis des Höchsten Yoga Tantra ist, ist es besonders wichtig, die zweite Ursache zu betonen, großes Mitgefühl.
Wir beginnen damit, kurz den Geist der Entsagung zu erzeugen, indem wir uns an die Fehler Samsaras erinnern. Wir müssen fest davon überzeugt sein, dass die sogenannten Vergnügen Samsaras durch und durch täuschend sind und letztendlich nur zu noch mehr Leiden führen. Fällt uns das schwer, dann sollten wir kurz über den Tod nachdenken. Ganz gleich wie viele vorübergehende Freuden wir in diesem Leben erfahren, früher oder später müssen wir sterben. Zu jener Zeit sind all die Freuden dieses Lebens bedeutungslos, sie werden nur vage Erinnerungen sein, wie ein schöner Traum, der vorbei ist. Das Einzige, was zum Zeitpunkt des Todes übrigbleibt, sind die Folgen unserer eigenen Handlungen. Und das Einzige, was wir mitnehmen können, sind diese karmischen Prägungen. Haben wir dieses Leben dazu genutzt, tugendhaftes Karma zu erschaffen, so werden wir im nächsten Leben Glück erfahren. Haben wir aber negatives Karma erschaffen, werden wir Leiden erfahren müssen, da wir in einem der niederen Bereiche wiedergeboren werden. Außerdem werden wir, falls wir nicht in diesem Leben Befreiung erlangen, weiterhin unkontrolliert in Samsara wiedergeboren, wo es kein wahres Glück, sondern nur Leiden und Unzufriedenheit gibt. Darüber sollten wir nachdenken und versuchen, Furcht vor den Leiden Samsaras im Allgemeinen und den niederen Bereichen im Besonderen zu erzeugen. In dieser Weise erzeugen wir einen Geist der Entsagung.
Wir entwickeln Entsagung, indem wir über unser eigenes Leiden nachdenken. Richten wir dann unsere Aufmerksamkeit auf das Leiden der anderen, so entwickeln wir ganz natürlich Mitgefühl. Wir sollten denken:
Ich bin nur einer, andere aber sind zahllos. Alle diese unzähligen Lebewesen waren in früheren Leben meine gütigen Mütter. Sie alle sind in diesem Teufelskreis aus unkontrolliertem Tod und Wiedergeburt gefangen und erfahren Leiden, Leben für Leben.
Wir denken in dieser Weise nach, bis wir das Leiden anderer nicht länger ertragen können. Dann fassen wir den festen Entschluss, alles zu tun, was getan werden muss, um sie von ihrem Leiden zu befreien. Dies ist der Geist des großen Mitgefühls.
Ohne diese Motivation aufzugeben, überlegen wir dann, wie wir fühlende Mutterwesen von ihren Leiden befreien können. Wir erkennen, dass nur der Guru und die Drei Juwelen die Kraft haben, uns zu beschützen. In dieser Weise erzeugen wir den Geist des Vertrauens, die dritte Ursache der Zufluchtnahme.
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