In der Zeit, in der sich das Wasser auf dem Herd erwärmte, räumte sie Becher und Besteck in einen Füllkorb und trug alles in die Küche. Mit dem ersten warmen Wasser schrubbte sie die Holzplatte des Tisches wieder blank. Gerade als sie überlegte, wie sie mit einer Hand abwaschen sollte, hörte sie die Haustür knarren.
„Willi! Endlich.“ Sie wirbelte in den Flur und fiel ihm um den Hals. „Es gibt so viel zu erzählen. Du glaubst nicht, was wir heute alles erreicht haben.“ Sie zerrte ihn in die Stube, kaum, dass er die Stiefel von den Füßen gezogen hatte. „Ich war bei Käthchen, sie hat schon für die Kinder gekocht, sie waren hier und haben gegessen. Und morgen kommen sie wieder!“
Wilhelm nickte matt, erst jetzt sah sie, wie müde er war. „Du musst hungrig sein, ich hole dir eine Schüssel Suppe.“ Sie sprang auf und wollte hinaus, doch er fasste nach ihrer Hand.
Sie zuckte zurück.
„Was ist mit deiner Hand?“
„Ach, nichts. Ein wenig verbrannt. Es wäre schön, wenn du nachher den Abwasch erledigen könntest, mit nur einer Hand wird es bei mir nichts werden.“
Wilhelm begutachtete stirnrunzelnd die Blasen.
„Wie ist es beim Landrat gelaufen?“ Plötzlich fürchtete sie sich vor seiner Antwort, er wirkte so seltsam bedrückt. Sie entzog ihm die Hand und setzte sich zu ihm an den Tisch.
„Oh, eigentlich sehr gut. Der Schulze war auch dort, stell dir vor. Gestern hat er kein Wort davon gesagt. Ein komischer Hund, ich traue ihm nicht.“
„Hm, so ähnlich drückte sich Käthchen ebenfalls aus.“
„Mit den Rechnungen für unsere Möbel war alles in Ordnung, wir bekommen jeden Monat 100 Taler für uns und die Mission, alles andere müssen wir selbst erwirtschaften. Dem Schulzen hat er ordentlich ins Gewissen geredet, er soll uns unterstützen, wo es nur geht.“ Seine Hand fuhr über die Tischplatte, die noch feucht war.
Magdalena rückte dicht an ihn heran und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Das ist wunderbar. Jetzt geht es endlich vorwärts, du wirst sehen. Morgen Nachmittag kommen die Jungen zum Unterricht zu dir. Für vormittags habe ich die Mädchen bestellt. Ich muss mir überlegen, womit ich sie beschäftige.“
„Freu dich nicht zu früh. Ich habe so ein Gefühl, als liefe hier etwas schief. Der Schulze hatte sich mit mir verabredet, gemeinsam nach Hause zu gehen. Eigentlich hatte das von Arnstedt vorgeschlagen, er meinte, wir könnten gleich ein paar Dinge, während der drei Stunden Fußweg, bereden. Nun wollte ich unbedingt bei Pfarrer Schonau vorsprechen, wegen der Spendenaufrufe in den Nordhäuser Kirchen. Ich bat also den Schulzen, an der Alten Mühle auf mich zu warten. Als ich dort ankam, war er bereits weg.“
„Vielleicht hat er etwas falsch verstanden. Oder er hat sich verspätet.“
„Er muss vor mir hier gewesen sein. Als ich eben ins Dorf kam, sah ich die Zigeunerkinder weglaufen. Sie rannten vor mir davon, als sei ich der Leibhaftige. Kein einziger Zigeuner war zu sehen, als ich die Straße hinaufging, nicht einmal hinter den Fensterscheiben. Der Schulze hat ihnen irgendetwas erzählt, ich weiß nicht was, aber es war nichts Gutes.“
Magdalena nickte nachdenklich. „Das könnte sein. Er stand, vielleicht ist es eine Stunde her, mit einigen Zigeunermännern unten in der Straße, sie haben heftig diskutiert.“
Wilhelm schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Siehst du, der Hund ist vor mir von Nordhausen weg. Es fuchst ihn gewaltig, dass nicht nach seiner Pfeife getanzt wird. Rennt nach Hause und erzählt den Zigeunern irgendwelche Gräuelmärchen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie morgen früh nicht kommen, deine Mädchen.“
„Wenn sie Hunger haben, werden sie schon vor der Tür stehen, warte es nur ab.“ Ihr Blick blieb an dem unvollendeten Brief an ihre Eltern hängen. Sie schob ihn Wilhelm zu. „Könntest du ihn für mich beenden, ohne dass Maman etwas bemerkt?“
Er grinste. „Das wird schwierig, deine Mutter liest zwischen den Zeilen Dinge, über die wir beim Schreiben nicht einmal nachgedacht haben. Ich will es versuchen. Doch vorher muss ich essen, sonst fällt mir der Federhalter aus der Hand.“
Sie sprang auf und rief: „Das mach ich mit links! Im wahrhaftigen Sinne des Wortes.“ Sie hob ihre linke Hand. „Die Empfehlung des Tages: Suppe aus dem Inneren einer zarten Geiß à la Käthchen! Dazu blau-weiße Milch von der Schwarz-Weißen.“
Am späten Abend erledigte Wilhelm den Abwasch. Vorher hatten sie sich geliebt, er in der Hoffnung, seine schlimmen Vorahnungen für kurze Zeit zu vergessen, sie dagegen voll glücklicher Genugtuung. Doch selbst Magdalena hatte kein Interesse daran gezeigt, das Haus an diesem Tag noch einmal zu verlassen, obwohl sie Stunden zuvor fest entschlossen gewesen war, den Bauer zur Rede zu stellen, der die Molke geliefert hatte. Als sie das Geschirr einräumte, stellte sie fest, dass drei Löffel fehlten. Sie suchten in der Stube, sogar auf dem Fußboden, doch sie fanden sie nicht. Es gab nur einen Schluss: Sie waren gestohlen worden.
Der Morgen dämmerte erst, da stand Magdalena bereits auf, benutzte das Nachtgeschirr und wischte die angelaufenen Fensterscheiben trocken.
„Kannst du auch nicht mehr schlafen?“, fragte Wilhelm überflüssigerweise und kroch stöhnend aus dem Bett.
„Ich muss mir etwas für die Mädchen einfallen lassen. Ich könnte ihnen zeigen, wie man Sachen stopft.“ Sie schlüpfte zitternd in ihre Unterwäsche. Es war empfindlich kalt im Schlafzimmer.
„Sie haben keine Sachen, was sollten sie stopfen?“, fragte ihr Mann pragmatisch und hangelte nach seinen Pantoffeln.
„Ha, das weißt du noch nicht. Käthchen hat ihnen Hemden genäht, also den Mädchen jedenfalls, die gar nichts auf dem Leibe hatten. Aus unserem Linnen. Kannst du mir helfen, ich kann mit einer Hand keine Schleifen zubinden.“
„Du hast dein gutes Linnen geopfert? Wie viel davon?“ Er trat hinter sie und schlang seine Arme um ihren Leib.
Sie kuschelte sich an ihn. „So an die fünfzehn Stück, glaube ich. Ein paar sind übrig. Maman muss es ja nicht erfahren.“
„Ich liebe dich, weißt du das? Ohne dich wäre ich hier verraten und verkauft.“ Er küsste sie, bevor sie antworten konnte, und schob sie zurück ins Bett.
„Wilhelm Blankenburg, wir haben so viel zu erledigen. Was fällt dir ein?“, kicherte sie und versuchte, ihm zu entwischen. „Außerdem ist das ungerecht, ich bin verletzt!“
„Ungerecht? Das Leben ist nicht gerecht“, sagte Wilhelm und verschloss ihr den Mund mit einem Kuss.
Als sie endlich beim Frühstück saßen, schob sich die Sonne bereits über die Dächer der gegenüberliegenden Häuser.
„Gleich neun!“, stöhnte Magdalena. „Ich muss meinen Wollkorb holen, ich habe mir überlegt, dass ich ihnen das Stricken beibringen werde. Eine Frau muss stricken können, wollene Tücher und Strümpfe braucht eine Familie immer, vor allem im Winter. Vielleicht sollten wir die Frauen der Gemeinden aufrufen, Wollreste und Nadeln zu spenden.“
Wilhelm schwieg, er ahnte nichts Gutes. Tatsächlich rückte der kleine Zeiger des Regulators in der Stube der Neun bedrohlich näher. Draußen auf der Dorfstraße hörte er lediglich das Fuhrwerk eines Bauern, der verspätet zum Markt nach Bleicherode fuhr. Als das Geräusch verklang, wurde es still auf der Straße. Magdalena stand am Fenster. Zum wiederholten Male wischte sie das Kondenswasser von den Scheiben. Der Regulator schlug neun Mal.
„Sie kommen nicht“, sagte Wilhelm in die nachfolgende Stille hinein.
„Dann hole ich sie.“ Ihre Stimme klang gefährlich ruhig.
Wilhelm stand auf und griff nach seiner Jacke. „Ich begleite dich.“
„Nein.“ Diesen bestimmten Ton kannte er noch nicht. „Ich gehe allein. Ich habe gestern Vertrauen aufgebaut. Der Schulze hat gewiss nur dich verleumdet. Mit mir werden sie kommen.“
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