Anna-Lina Köhler
Würdest du um mich weinen, wenn ich sterbe?
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Inhaltsverzeichnis
Titel Anna-Lina Köhler Würdest du um mich weinen, wenn ich sterbe? Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel Eins
Kapitel Zwei
Kapitel Drei
Kapitel Vier
Kapitel Fünf
Kapitel Sechs
Kapitel Sieben
Kapitel Acht
Kapitel Neun
Kapitel Zehn
Kapitel Elf
Kapitel Zwölf
Kapitel Dreizehn
Kapitel Vierzehn
Kapitel Fünfzehn
Epilog
Impressum neobooks
Ich habe mich nie wirklich mit dem Sterben und dem Tod befasst. Es hat mich nicht interessiert. Bis ich letztlich damit konfrontiert wurde. Es war kein plötzlicher Tod, nichts, was mich mit einem Mal aus dem Leben gerissen hätte, sondern ein langer Weg des Leidens. Es war ein einsamer Weg, stille Qual, mit der ich langsam immer mehr ein Teil der Dunkelheit wurde und doch gibt es Momente zu jener Zeit, die ich zu den glücklichsten meines Lebens zählen möchte. Ich habe immer geglaubt, mir könne kein Schaden, kein Leid zugefügt werden, schließlich bin ich nicht irgendjemand. Immer habe ich alles bekommen, was ich wollte, ausnahmslos und ich habe so die wirklichen Dinge, die das Leben ausmachen, nie schätzen gelernt. Es gab so viele Momente, die ich bereuen sollte, so vieles, was ich ungeschehen machen würde, aber ich weiß, dass es zu spät ist. Vielleicht glauben wir alle einmal, dass wir bereit sind zu herrschen, dass wir es sind, die sich alles untertan zu machen vermögen. Doch an einem werden wir alle scheitern und das ist die Zeit.
Ich sehe, wie die Sonne langsam hinter den Bergen versinkt und jeder noch so winzige Moment, der verstreicht ist für immer verloren. Er ist verloren und wird auch nie wieder zurückkehren.
Jetzt sehe ich die Welt mit anderen Augen. Sie liegt vor mir mit ihrer ganzen Pracht und doch verhüllt ein einziger Schleier mir die Sicht. Sind es Tränen, die mir die Wange hinunterlaufen? Hätte mir jemand vor wenigen Monden erzählt, dass es einmal so enden würde, hätte ich es wahrscheinlich nicht geglaubt. Meinem Vater gehört dieses Land, ich bin die Tochter eines Mannes, dem nicht befohlen wird, er befiehlt. Ich bin adelig, mein Blut ist anders, es ist nicht dazu bestimmt für die Nacht vergossen zu werden. Und doch hat das Schicksal beschlossen mich herauszufordern. Unweigerlich und grausam kann die Wirklichkeit nicht mit uns bekannten irdischen Kräften verändert werden. Niemand kennt den Willen Gottes, er ist uns Menschen ein ewiges Rätsel. Wir können ihre Entscheidungen akzeptieren oder wir können sie dafür verfluchen. Am Ende jedoch bleibt alles gleich. Am Tage unserer Geburt entscheidet sich auch, wann wir diese Welt wieder verlassen müssen. Unser Schicksalspfad ist uns vorgegeben und auch wenn wir ihn manchmal verlassen, so endet er doch bei allem, was atmet, gleich. Erst hört das Herz auf zu schlagen, dann schließen sich unsere Augen und am Ende zerfallen unsere Körper zu Asche. Der Tod macht da keinen Unterschied.
Und genau mit diesem Wort beschreiben die Menschen dort draußen das Verderben, das mit knochiger Hand um sich greift. Es ist die Krankheit, die uns die Hölle selbst sandte und die Menschen wie Fliegen dahinraffen lässt. Sie zeichnet die Menschen mit ihren unübersehbaren Malen und macht sie zu Verdammten.
Es ist der schwarze Tod, die Pest, die die Straßen mit Leichen füllt und die Schnäbel der Raben mit verwesendem Fleisch. Viele tote Körper werden nicht begraben, sie werden verbrannt. Und das Feuer trägt den Gestank in den Himmel und erreicht auch mich und ich weiß, dass auch ich bald zu ihnen gehören werde.
Ich bin wütend und dabei ist der Grund meiner Wut ganz nah. Ich selbst bin es, die in Selbstmitleid und Hass versinkt, Hass auf meinen Körper, der scheinbar zu schwach dazu ist, gesund zu sein. Seit Wochen bin ich nicht mehr als ein sterbendes Leben. Ein menschliches Wesen, das den Kampf mit einem nicht sichtbaren Gegner verloren hat.
Ich stoße ein leises Knurren aus. Warum habe ich nicht gesiegt? Es ist das Ende meiner Geschichte, das ich erkennen muss und doch sträubt sich mein ganzes Selbst verzweifelt dagegen, so als ob es daran etwas ändern könnte. Es gibt keine Veränderung mehr, das ist mir bewusst.
Alles, wonach ich mein Leben lang gestrebt habe, war nach Größe. Ich habe mich immer danach gesehnt, etwas Außergewöhnliches zu erschaffen und etwas Besonderes zu sein. Ich habe mich in einer selbst errichteten Welt aus Träumen und Illusionen verloren. Und ich habe vergessen wirklich zu Leben.
Jetzt, wo ich weiß, dass es bald vorbei ist, bereue ich vieles. Ich bereue, dass der Tod mir erst dabei helfen musste, zu erwachen. Aber indem ich bereue, werde ich vielleicht auch mit reiner Seele in die Dunkelheit hineintreten. Es gibt Dinge, die kann ich nicht ungeschehen machen und es gibt Dinge, die nicht mehr geschehen können. Dunkle Schatten erheben sich von den Wänden. Sie bäumen sich auf, rufen nach mir. Und obwohl ich versuche, sie zu ignorieren, gelingt es mir nicht.
Sie locken die schmerzhaften Erinnerungen aus mir hervor, ihr gurgelndes Lachen verhöhnt mich.
Ein kurzes Klopfen an der schweren Holztür zu meinem Raum lässt sie schließlich verschwinden. Doch sie sind nicht fort, sie können niemals ganz verschwinden, denn sie suchen Zuflucht in meinen Gedanken.
Die Tür öffnet sich einen Spalt breit und eine hagere Gestalt gleitet herein. Ich schaue auf, schaue in die grauen Augen, die mich verächtlich betrachten. Alles in diesem kalten Gesicht verspottet mich und doch ist dort auch das Zucken der Mundwinkel zu sehen, die sich bei meinem Anblick freudig erheben. Ich kenne den Namen dieser Frau und doch weiß ich nicht, wie ich sie nennen soll. Sie war nie ein Teil meines Lebens, hätte es niemals sein sollen und doch hat sie sich genau das genommen, was mir von meinem Selbst noch geblieben ist, meinen Vater.
Ich war klein, als meine Mutter gestorben ist und doch sind es Momente voller Glück, die ich in meinen Gedanken festhalte, sie umklammere wie eine Ertrinkende. Es sind grüne Augen, in denen sich die Sterne widerspiegelten, in denen die Freiheit lag und jeden Abend, bevor ich meine Augen schließe sehen sie mich an und ich weiß, dass sie während meines Schlafes über mich wachen werden. Manchmal habe ich geglaubt, ihren Schatten im Himmel zu sehen, dann wenn die Sonne die Erde mit ihren letzten warmen Strahlen berührt. Und im Winter war sie das Funkeln der weißen Schneeflocken, die sich sachte auf die Erde gelegt und sie zugedeckt haben. Dann hat alles lange geschlafen. Es war ein friedlicher, aber ein kalter Schlaf, bis der Geruch des Frühlings das Leben geweckt hat und ich weiß, dass es ihr Lächeln war, das mich tief in meinem Innersten berührt hat. Das alles hat mir Trost gegeben und Hoffnung. Ich habe gedacht, dass es etwas sei, das mir niemand nehmen könne. Jetzt habe ich erkannt, dass all dies nur noch ein blasser Schatten ist, der kaum noch zu existieren scheint. Sie hat versucht sie zu vernichten, sie mir zu nehmen und doch ist sie alles, was mir bleibt – die Erinnerung.
Ich ziehe mir die Decke über den Körper, versuche so viele dunkle Male wie möglich damit zu verbergen. Sie soll sie nicht sehen, soll nicht sehen, wie schwach mein Körper tatsächlich geworden ist. Ich werde ihr mit meinem Blick zeigen, dass ich bereit bin zu kämpfen, dass meine Seele dazu imstande ist, zu überdauern. Ich hebe das Kinn, als sie zu mir an mein Bett tritt. Es soll eine stolze Geste sein, doch es muss hilflos wirken, denn ihr selbstsicheres Lächeln wird nur noch breiter, als sich unsere Blicke treffen.
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