„Ach nein?“
„Nein, wir fahren hindurch.“
„Bitte was?“, fragte ich entgeistert.
„Das ist richtig. Wir stehlen eine Kutsche.“
„Erklär mir nochmal wieso wir eine Kutsche klauen?“, fragte ich Handrick als wir die Festungsmauer entlangschritten.
„Ganz einfach. Die Wachen an den Toren werden ein besonderes Augenmerk auf jeden haben, der nur ansatzweise so aussieht wie du. Die Offiziersuniform mag auf Distanz ausreichen, aus der Nähe ist sie wirkungslos. Deshalb will ich ihnen gar nicht die Chance geben, dein Gesicht zu sehen. Sie werden es kaum wagen eine Kutsche der royalen Wache zu durchsuchen. Und mich werden sie als einfachen Kutscher abstempeln.“
„Und wie planst du die Kutsche überhaupt erst zu stehlen?“
„Na, deswegen trägst du die Uniform und nicht ich. Du kennst dich hier aus. Das ist deine Welt.“
„Fabelhaft. Hättest du mich nicht ein bisschen früher in deinen Plan einweihen können?“
„Hättest du zugestimmt?“
„Nein.“
„Stimmst du jetzt zu?“
„Hab ich eine Wahl?“
„Nein.“
„Also.“
„Exakt. Also.“, sagte Handrick und deutete den Wehrgang hinab, hin zu den erleuchteten Fenstern der Festungsgemäuer.
Trotz der doch recht misslichen Lage, in der ich mich befand, kann ich rückwirkend doch etwas Gutes verzeichnen, was sich an diesem Abend ereignete: Ich entwickelte ein vollkommen neues Verständnis gegenüber den Offizieren des Barons. Wer solch eine Uniform Tag ein und Tag aus tragen muss, der kann nach einiger Zeit keine Eier mehr haben. Stocksteif schritt ich den Wehrgang hinab, Handrick wenige Meter vor mir mit – zu meiner großen Freude – gebundenen Handgelenken und den Resten des Kletterseils um den Torso geschlungen. So wurden die Gefangenen gewöhnlich in die Festung geführt. Das wusste ich nicht auf Grund meines tiefgreifenden Wissens in die Exekutive der baronischen Herrschaft, sondern einfach aus dem Grund, dass es keine Knappheit an Möglichkeiten gab, Gefangene des Barons zu beobachten { oder gegebenenfalls zu beschimpfen, zu bespucken, zu bewerfen, etc. pp. }. Handrick war zwar der Ansicht, dass dies nicht nötig sei, doch nach einer kurzen Diskussion über die benötigte Echtheit unserer Scharade und unsere direkt damit zusammenhängenden Überlebenschancen willigte er ein, sich mir zu ergeben. Er nicht ohne Murren und ich nicht ohne Grinsen.
Die Nacht war erstaunlich ruhig. Handrick und ich schienen die einzigen Menschen auf der gesamten Wehranlage zu sein. Das war selbst für die Wachen des Barons ein neuer Tiefpunkt. Oder ein neuer Höhepunkt für die Arroganz meines ehemaligen Patrons. Was es auch wahr, es half nicht meine Anspannung zu lösen, denn der Wind, welcher hier oben noch stärker bließ, ließ ein Heer an Geistern um die Ecken und Löcher des alten Mauerwerks ziehen.
Als wir die Stufen des Wehrgangs hinunter auf den Innenhof der Festung traten, blieb Handrick stehen. Ich tat es ihm nach, in der Annahme er habe entweder etwas gehört oder einen Geistesblitz, in beiden Fällen wollte ich mich nicht in direkter Nähe zu ihm befinden. Nach einer regungslosen Weile bewegte sich Handrick dann doch wieder: Er drehte sich zu mir um.
„Nun?“, fragte er leise.
„Nun was?“, fragte ich ebenso leise zurück.
„Wo lang?“, fragte Handrick und deutet mit ausschweifender Geste auf den Innenhof.
Ich wusste langsam nicht mehr ob das Gefühl der resignierten Ahnungslosigkeit eine Reaktion auf meine Umwelt, oder auf Handricks Persona war: „Woher soll ich das wissen?“
„Ich dachte du bist von hier?!“
„Das einzige Mal, das ich hier war, war nach einer durchzechten Nacht und einer verlorenen Wette. Sehe ich es wie ein Soldat?!“
Handrick musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ach halt die Klappe! Du weißt was ich meine.“
„Nichtdestotrotz brauchen wir eine Kutsche.“, sagte Handrick.
„Richtig.“
„Was denkst du wo wir die besten Chancen haben eine zu finden?“
„Das Recht auf eine Kutschfahrt mit dem Baron war leider den weltlichen Mächtigen vorbehalten. Aber ich glaube unsere beste Chance haben wir bei den Ställen.“
„Ah! Glaube und Hoffnung. Die Zutaten für große Unternehmungen.“, stieß Handrick lächelnd hervor. „Du kennst den Weg zu den Ställen?“
„Selbstverständlich.“
„Bist wohl da auch mal aufgewacht, was?“
„Ich will nicht darüber reden.“
Der Stall lag am anderen Ende des Innenhofes der Festung, versteckt hinter einem mauernden Vorsprung. Vom Wehrgang bis zu seinem Eingang waren es vielleicht 150 Meter. Doch nachts, mit kneifendem Schritt und keifendem Wind erschien mir der Weg mindestens dreimal so lang. Ich konnte unser Glück kaum fassen als wir am Eingang zum Stall standen. Und das auch zu Recht, denn hinter mir erklang plötzlich eine Stimme.
„Sir!“, knallte die Stimme in militärischer Strenge in die Stille der Nacht.
Nach kurzer Überlegung darüber einfach wegzurennen entschied ich mich auf Grund der oben erwähnten Dreieinigkeit des Unbehagens dagegen. Ich drehte mich möglichst militärisch um die eigene Achse {das auf Grund der Steifigkeit meiner Kleidung wunderbar funktionierte} und gab meine militärischsten Gesten zum Besten {das weniger gut funktionierte}.
„Was wünschen Sie, Korporal?“
„Leutnant, Sir!“
„Glückwunsch.“, sagte ich, ohne Ahnung zu haben, welcher Rang hier der bessere war.
„Ehm, danke...Sir.“, sagte der Leutnant mit einer Spur Verwirrung.
„Nun?“, fragte ich schnell, bevor die Verwirrung in Verdächtigung umschlug.
„Ja, Sir! Ich habe Anweisung den diensthabenden Offizier sofort zur Messe zu bestellen. Der Baron selbst will eine Ansprache halten!“
„Was für eine Ansprache?“, fragte ich.
„Das weiß ich nicht, Sir!“, antwortete der Jüngling.
„Wann soll diese Ansprache genau stattfinden?“
„Das weiß ich nicht, Sir!“
„Ich muss diesen Gefangenen fortbringen.“, sagte ich mit Nachdruck, hoffte ich zumindest.
Der junge Soldat schien von der Absolutät (Absolution?) meiner Antwort nicht beeindruckt zu sein. „Sie bringen ihn also zu Hagen?
„Vollkommen richtig.“ Wer?
„Also ist es wieder Zeit für einen schwarzen Spaziergang?“
„Exakt.“ Was?
Der Soldat sieht Handrick, der mit hängenden Schultern vor dem Eingang zu den Ställen steht, von der Seite an: „Sieht gar nicht aus wie ein Symphatiko.“
„Oh, oh doch! Einer der Schlimmsten!“ Wie, was, wer?
Zum Glück schien der junge Mann schon lang genug Soldat zu sein, dass ihm die militäreigene Obrigkeitshörigkeit zumindest in Anfällen zu eigen war. „Sie werden Recht haben, Sir!“
„Wahr gesprochen Rekrut!“
„Leutn...“
„Selbstverständlich. Haben ihre Sache gut gemacht. Werd sie beim Baron empfehlen.“
Das Gesicht des Soldaten erhellte sich schlagartig. „Danke, Sir!“, schrie er mich an und salutierte. Dann machte er kehrt und rannte im Laufschritt zurück zur Festung. Vermutlich um seinen Kameraden zu erzählen, dass er den ersten freundlichen Offizier in seiner Dienstzeit getroffen hatte. Armer Kerl wird sich totsuchen. Wird wahrscheinlich denken er hätte einen Geist gesehen. Im besten Fall. Im schlechtesten Fall stellt er Nachforschungen an, gefolgt von Nachstellung und nachträglichem Strafvollzug.
„Du musst sooo stolz auf dich sein.“, hörte ich Handricks ironische Stimme hinter mir.
„Schnauze, Gefangener.“
„Lass dir deine neue Rolle nur nicht zu Kopf steigen. Sind wir hier erstmal raus, bist du wieder Darius – Dichter, Denker, Depp.“
„Da hast du doch die ganze Nacht schon dran gearbeitet.“, entgegnete ich ihm trocken.
„Harte Arbeit zahlt sich nun mal aus.“
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