DARIUS
Inhalt
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Hinrichtungen sind langweilig. Doch sie werden um einiges spannender, wenn man selbst involviert ist. Damit verhält es sich wohl wie mit Paraden - oder Golf. Es macht eine Menge Müll, niemand versteht wirklich den Sinn dahinter und wirklich genießen tun es nur die Reichen und Mächtigen. Und zuzugucken ist herzlich unspektakulär. Bis es der eigene Kopf ist, der ins metaphorische letzte Loch geschlagen wird.
Hallo, mein Name ist Darius. Willkommen zu den letzten 10 Minuten meines Lebens.
Ich will euch das was folgt von vornherein ersparen, ich wiederhole mich, aber es ist wirklich immer dasselbe. Immer dasselbe große Hubaba, du-wirst-hiermit-im Namen-des-x-beliebigen Herrschers, -Gottes, Demigottes, oder-wer-sonst-gerade-an-der-Macht-war-vor-den-Augen-des-guten,-schlechten, -mittelprächtigen, -oder-sonst-gerade-vor-der-Bühne-stehendem-Volke hingerichtet. Und auch letzte Worte sind, entgegen der Behauptung der Weltliteratur, rhetorisch eher auf Kneipenniveau. Viel unverständliches Gestammeltes, das gelegentliche Einnässen und ab und zu übergibt sich jemand.
Ich habe aber auch an meine letzten Worte nur eine geringe Erwartung. Ich denke ich werde meinen über die Jahre angereicherten Schatz an Sprachwitz ein letztes Mal ausgraben und mein Leben so verlassen wie jede meiner Freundinnen: Hals über Kopf und mit einem schlechten Witz auf den Lippen.
Rückblickend kann ich aber sagen, dass meine Entscheidungen, trotz meiner momentan doch etwas prekären Lage, immer dem Grundsatz gefolgt sind jedweder Gefahr aus dem Weg zu gehen. Diesen Grundsatz habe ich mit einer Entschlossenheit gelebt wie sonst nur meine Liebe zu Wein und Datteln.
Es ist sowieso viel interessanter welche schicksalhaften Ereignisse mich in diese unbequeme Lage gebracht haben.
Wie schon erwähnt, habe ich es mir zum Lebensvorsatz gemacht, jeder Gefahr aus dem Weg zu gehen. Leider lebe ich in einer Zeit in dem so gut wie alles eine grundsätzliche Gefahr mit sich bringt. Von Krieg, über Pest, bis zu Hungernot haben wir alles in diese Jahrzehnte gepackt, wofür wir früher Jahrhunderte brauchten. Ein wirklich rückschrittlicher Fortschritt. Leider ist es nicht ganz möglich sich von diesen Gefahren fern zu halten, sollte man nicht als Einsiedler unter einem Felsen leben wollen. Ihr seht, es ist nicht leicht Ich zu sein. Doch ich war schon immer mit großem Einfallsreichtum gesegnet, so auch hier. Da jede ehrliche Arbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem harten Leben und frühen Tod führt, und jede unehrliche Arbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem frühen Ableben und hartem Tod führt, entschied ich mich für den Mittelweg.
Eine Anstellung so unnötig, und doch so geschätzt, sodass ich niemals hart arbeitete, geschweige denn hart lebte. Ich wurde Dichter.
Lasst mich kurz schildern, was in der Arbeitsbeschreibung steht. Sitze den ganzen Tag in einem sonnendurchfluteten Zimmer, oder wetterabhängig einem Park, und philosophiere über die Welt, das Leben, und die Herrlichkeit deines Patrons (nicht in dieser Reihenfolge). Bringe diese Gedanken in sich reimender Form zu Papier in einer Art die lustig, heuchelnd oder geradewegs schmeichlerisch ist. Verständlichkeit ist kein Muss.
Ich fand meine erste Tätigkeit in den Diensten einer Hofdame von Poltras. Ihr Angebeteter war ein großer Befürworter der schönen Künste (solange sie die oben beschriebenen Qualitätsmerkmale erfüllten) und sie erhoffte sich durch meine Anstellung ein gesteigertes Ansehen in den Augen des Schutzheiligen der Künstler. Nach kurzer Zeit hatte ich sie an seine Tafel katapultiert und mir einen Namen als Liebesdichter gemacht, was manche Hofdame als Metapher für männliche Prostitution sah. Es folgten viele klärende Gespräche, und im Falle einer besonders penetranten Dame ein Hilfeschrei nach den Wachen. Nichtsdestotrotz genoss ich die Zeit am Hof von Poltras. Leider starb meine Patronin kurze Zeit später nach einem Jagdunfall (nicht auf mich), und ich zog fort, denn trotz zahlreicher Angebote, wollte ich meinem Ruf als Liebesdichter nicht wortwörtlich gerecht werden.
Nach einigen kleineren Anstellungen in den Städtchen und größeren Dörfern fand ich mich im Jahr 976 in den Diensten eines Barons Rafael Margoza, auch bekannt als der „blutige Baron“, wieder. Und hier beginnt die Geschichte die mich zu einem Gejagten, Geächteten und wohl bald Geköpften machte.
„Geht die Sonne auf oder unter?“, fragte ich Ente.
„Ich hoffe unter, ich kann diese Helligkeit nicht ertragen.“, antwortete er mir leicht lallend. Beziehungsweise schwer lallend, aber da ich genauso betrunken wie er war, konnten wir uns besser verstehen als es die hohen Herrschaften, die mit gerümpfter Nase an uns vorbeigingen, gekonnt hätten.
„Was auch immer, ich muss nach Hause.“, sagte ich.
„Gute Idee.“, entgegnete er und lief in seinem typischen Gang, der ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte, die Straße herunter. Manche sagen, er lief auf diese Art auf Grund einer Kriegsverletzung. Zufällig sind es diejenigen mit denen Ente gezecht hatte.
Ich warf meine Hand hoch und drehte mich in die entgegengesetzte Richtung um. Dann zerbrach die Welt in zwei. Ein Dröhnen fuhr aus dem Himmel auf mich nieder. Der höllische Klang kam vom Glockenturm der Kathedrale und rief zum Gebet.
Scheiße! dachte ich.
Nicht nur weil jeder Schlag der Glocke gleich einem Hammerschlag auf meinen Kopf war, sondern es auch hieß, dass es Morgen war. Und das wiederrum hieß, dass ich spät dran war. Diese Kette von Erkenntnissen ließ mich in Schweiß ausbrechen, als ich die Straße mehr schlecht als recht herunterlief.
Als ich durch die Tür trat, schlug mir der Geruch von Wein entgegen. Und es sagt viel über meine Gefühlslage aus, dass ich dankend ablehnte.
Am Fenster stand, dickbäuchig und glatzköpfig { oder dickköpfig und glatzbäuchig }, der Baron. Neben ihm hing dünn und vollhaarig, ein Portrait seinesgleichen. Um welchen Baron es in meinen Gedichten ging, überlasse ich euch zu erraten. Meine Gedichte. Es war schon länger Zeit, dass ich eins verfasst hatte. Zumindest eines über Margoza. Zumindest eins, dass ihm gefallen würde.
Deshalb war ich auch mit Ente in der Schänke gelandet, um Inspiration zu finden. Und deshalb fand dieses Treffen statt, um mein neustes inspiriertes Werk vorzustellen. Es war der Abgabetermin. An dem ich mein Gedicht oder mein höfisches Leben abgab.
„Nun Darius, wo ist es?“, fragte Margoza.
„Es ist hier.“, antwortete ich. Margoza drehte sich um.
„Wo?“
„Hier“, sagte ich und zeigte mit dem Finger auf meine Schläfe. Margoza zog die Augen zusammen. „Darius ich bin nicht in der Stimmung.“
Bist du es je? Sie nannten Margoza auch den Roten Baron – ein entschlossener Verfechter der beschriebenen Hinrichtungen.
„Ich muss es nur finden, Herr.“
„Du hattest zwei Monate Zeit es zu finden. Vielleicht sollte ich deinen Kopf aufmachen und selbst ein wenig suchen?“ Plötzlich war mir doch nach Wein.
„Das wird nicht nötig sein. Gebt mir noch eine Woche. Ich spüre es in meinem Kopf.“
„Sicher, dass es nicht der Kater ist?“
„Nein es bahnt sich etwas an!“
„Oh, das tut es auf jeden Fall.“ Seine Miene ließ keine Zweifel darüber was er damit meinte.
Nach Schlaf war mir nicht mehr zumute. Ich wanderte durch die Straßen der Stadt, auf der Suche nach irgendetwas, dass mich zu einem Gedicht inspirieren würde.
Doch tief in mir wusste ich, dass ich über jede Eigenschaft, Eigenart und eigene Erfindung unseres Herrschers geschrieben hatte. Ich hatte seine Entschlossenheit mit dem Hammerschlag des Schmiedes verglichen, der beständig das Eisen in die richtige Form bringt. Ich hatte seine Gnade { eine seiner Erfindungen } angepriesen und seine Rechtschaffenheit { eine meiner Erfindungen } als Vorbild für die Welt gemacht. Und so viel mehr noch.
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