„Zu Frage Eins ein klares Ja. Zu Frage Zwei ein klares Nein.“, antwortete er und lächelte mich über die Schulter an.
„Wie kann das denn sein? Meine Beine schmerzen wie die Hölle, meine Lunge brennt wie die Hölle, und ich rieche wie nach zwei Wochen in der Hölle.“
„Das mag gut sein, schließlich sind wir ziemlich was gelaufen. Nur halt im Kreis.“
„Bitte was?!“, fragte ich fassungslos.
Handricks Lächeln wurde nur noch breiter und gelber. Mit einem Ruck sprang er in den endlosen Zug aus Menschen und zog mich { mal wieder } mit sich. Als wir in den Trott der anderen Leute gefallen waren, sagte er: „Ist ne alte Handrick-Taktik. Niemand denkt, dass jemand so bescheuert ist, sich direkt unter der Nase seiner Hetzer zu verstecken.“
„Diese Leute haben dazu wohl auch allen Grund. Und gesunden Menschenverstand.“
„Wirklich? Dann erklär mir mal wieso ich noch nie geschnappt wurde?“
„Das Glück ist mit den Dummen?“
„Erklärt warum du hier gelandet bist.“ Ich wusste nicht ob das als Kompliment oder als Beleidigung gemeint war. Ich spürte einen Stich von höfischem Heimweh. Oder es war Seitenstechen.
Doch langsam ließ der Schmerz in meinen Lungen nach. Aus meinen Beinen schoss das Blut wieder in meinen Kopf. Und damit auch eine ganze Menge Fragen.
„Ich hätte gerne etwas erklärt.“, sagte ich dann und hielt ihn am Ärmel fest. „Was hat dich dazu bewogen mich in deine Auseinandersetzung in deiner Taverne mit deiner, was ich nur vermuten kann, Auftraggeberin, hineinzuziehen?“
„Mein gutes Herz.“, antwortete Handrick und lief weiter. Ich starrte ihm entgeistert hinter her.
„Das gute Herz, das mich kurz vorher meines Geldes und meines Weines berauben wollte?!“
„Gut, mein opportunistisches Herz. Das Wichtige ist doch, dass wir beide quicklebendig sind.“
„Warum sollte ich nicht quicklebendig sein?! Ich hab doch gar nichts mit deinen Problemen zu tun!“
„Nun ja, jetzt schon.“, sagte er und bog in eine kleine Gasse neben einem Schneider der Mode aus dem letzten Jahr verkaufte und einem Metzger mit Fleisch, welches wahrscheinlich dasselbe Alter hatte.
In der Gasse traten wir durch einen Eingang, den ich nur als Loch in der Wand beschreiben möchte, in einen halbdunklen Raum ein, den ich nur als Abstellkammer beschreiben kann. Das einzige Licht rührte von Schlitzen zwischen den schweren Brettern her, welche vor die Fensterläden genagelt worden waren. Handricks entzündete eine kleine Kerze in der Mitte des Raums. Ihr Licht geisterte über leere Regale, verstaubte Tische und Stühle, und eine ganze Kolonie von Spinnenweben. Ich musste unwillkürlich schlucken. Spinnen waren nicht meine Lieblingstiere.
Handrick kniete sich vor einen umgefallenen Tisch und hob ihn hoch, bis ein dunkles Loch zum Vorschein kam. Er drehte sich zu mir um und bedeutete mir in das Loch zu steigen. „Auf gar keinen Fall.“, sagte ich mit einer erstaunlichen Entschlossenheit. Enge Räume waren nicht meine Lieblingsorte.
„Gut, dann bleib halt hier.“, sagte er und schwang die Füße über die Kante. Ich beobachtete ihn misstrauisch. Handrick starrte mich erst erwartungsfroh, dann verständnislos an.
„Hälst du dann wenigstens den Tisch?“, fragte er.
„Wieso?“
„Hör mal zu. Du bist jetzt in meiner Welt. Wenn wir uns irgendwann mal an einem Bankett in einem Ballsaal befinden sollten, verspreche ich dir, dass ich meinen parfümierten Arsch nicht ohne deine Zusage bewegen werde. Aber jetzt bewegst du deinen verdreckten Hintern hierher und hälst den verdammten Tisch hoch.“
Zögerlich ging ich zum Tisch und stemmte mich dagegen, sodass Handrick in dem schwarzen Viereck im Boden verschwinden konnte. Es wurde still um mich herum. Zuerst fing ich an mich zu langweilen, dann fing ich an mich zu ärgern. Dann fing ich an mich zu fragen. Zu fragen, warum mir Handrick so bereitwillig half. Seine Antwort hatte mich nicht befriedigt. Warum musste er mir helfen? Ich war mir nicht der, der mit dieser gruseligen Frau in Streit stand. Ich war nicht der, der ein Messer am Hals gehabt hatte. Und ich war ganz besonders nicht der, der eine Frau auf den Rücken gelegt hatte { i hr wisst schon, nicht in diesem Kontext}. Warum war ich also auf der Flucht vor ihr? Und warum war ich das mit dem anscheinend schlechtesten Flüchtling aller Zeiten? Hatte ich nicht meine eigene Flucht, deren Verlauf bisher unter dem Motto „vom Regen in die Traufe“ zusammengefasst werden konnte, zu planen {oder zumindest den Fokus meiner Flüchtlingsaktivitäten darauf konzentrieren}? Keine meiner Antworten befriedigten mich. Das einzige, das dabei rumkam, war, dass ich einen neuen Glauben an das Schicksal fand. Und eine Erinnerung daran, warum ich mich immer so gegen das Schicksal gestemmt hatte. Apropos stemmen – warum ließ ich den Tisch nicht einfach los? Handrick war der, den sie wollte. Nicht mich. Ich könnte ihn ausliefern, meine Freiheit so erkaufen. Was schuldete ich ihm? Er wollte mich schließlich ausrauben!
In diesem Moment flog etwas in hohem Bogen aus dem Loch und landete mit einem gedämpften metallischen Geräusch vor meinen Füßen. Im Licht der einzelnen Kerze war es schwer zu erkennen, doch es schien eine längliche Stange zu sein, welche in dicke Stoffbahnen eingewickelt war. Kurz darauf folge ein weiteres, leichteres Bündel was geräuschlos danebenfiel. Dies war eindeutig Kleidung. Goldene Nähte glühten im Kerzenschein. Ich zog verwundert die Augenbrauen zusammen.
„Was machst du?“, fragte ich.
„Ich packe.“
„Für was?“
„Alle Eventualitäten. Erste Regel einer erfolgreichen Flucht.“
„Ich dachte die erste Regel wäre sich in unmittelbarer Nähe zu verstecken?“
„Nein, das ist eigentlich die letzte Regel.“
„Sprich, du hast keine Ahnung was du tust.“
„Ah, mein opportunistisches Herz!“, stieß Handrick theatralisch aus.
Kurz darauf tauchte sein Kopf aus der Dunkelheit auf. Das Licht der Kerze spiegelte sich im Funkeln seiner Augen. Wenigstens Handrick schien, trotz aller meiner Zweifel, in seinem Element zu sein { vielleicht fehlte mir, glücklicherweise, aber auch einfach eine Vergleichsmöglichkeit mit anderen seiner Gattung }. In der Not greift man nun mal nach dem letzten Strohhalm. Oder in diesem Fall nach der verdreckten Hand eines Kopfgeldjägers. Eilig nahm er die beiden Bündel vom Boden und packte sie in einen großen Sack, den er mir in die Hand drückte.
„Für dich.“, sagte er verschmitzt.
„Oh, ein Geschenk? Sind dort zufällig die letzten 12 Stunden meines Lebens drin? Die hätte ich gerne wieder.“
„Nein, aber die Möglichkeit die nächsten 12 Stunden zu erleben.“
„Wie lieb von dir.“
Handrick löschte die Kerze und trat auf die Tür zu.
„Handrick? Jetzt mal ehrlich. Was ist das?“, fragte ich mit einem Blick auf den Sack in meinen Händen.
„Alles zu seiner Zeit.“, bekam ich als mystische Antwort. Damit öffnete Handrick die Tür und trat nach draußen. Mit einem Seufzen warf ich mir den Sack über den Rücken. Ich war noch am Leben, nicht wahr?
Als ich wieder auf die Straße trat, stand Handrick schon am Ausgang der Gasse und spähte in die breite Straße. Inzwischen war es dunkel und die Straßen hatten sich bis auf ein paar betrunkene Tunichtgute und ihrem Anhang aus Prostituierten, Drogenhändlern und anderen Blutsaugern geleert. Das einzige Licht drang zwischen den schweren Fensterläden der Tavernen auf die Straße. Am Himmel stand kein einziger Stern, und selbst der Mond vermochte nur einen schwachen Schein von Licht auf die Straße zu werfen. Ein kühler Wind hatten den Gestank des Tages fortgeweht.
„Würdest du mir zumindest sagen, wohin wir gehen?“, fragte ich Handrick im Flüsterton.
„So weit wie möglich weg von diesem Ort.“, antwortete dieser.
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