„Kopfgeldjäger ist so ein einschränkender Begriff. Aber ja, du kennst unsere Profession wohl unter diesem Namen. Ich selbst bin aber ein Mann vieler Talente. Diebestum, Erpressung, Betrug. Die Klassiker eben. “
Wieder war ich mir nicht sicher, ob es an dem schwer zu verarbeitenden Neuigkeiten, oder einfach am schwer zu verarbeitenden Essen lag, aber als ich mich zwanghaft um die eigene Achse drehte, tat mein Magen dasselbe.
Ich sehe mich als intelligenten jungen Mann, und deshalb bin ich nicht stolz darauf, dass mir in diesem Moment zum zweiten Mal an diesem Tag meine observative und deduktive Denkweise abhandenkam. Doch wieder war das einzige was mir durch den Kopf schoss: Scheiße, scheiße, scheiße!
Handrick schaute mich misstrauisch an.
„Du wusstest echt nicht wo du hier reinstolpern würdest?“, fragte er. „Und wer bist du überhaupt? Und was machst du hier?“
Da ich nur eine Antwort auf eine der Fragen hatte, gab ich diese mit vollem Stolz zum Besten: „Ich bin Darius, Hofdichter des Barons.“
Handrick starrte mich noch ein paar Sekunden mit zusammen gekniffenen Augen an. Dann lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte.
„Tja, wenn das so ist.“, sagte er, und produzierte aus dem Nichts ein übel aussehendes Messer, welches er zwischen uns auf den Tisch legte. „Dann hätte ich jetzt gern dein Geld, bitte. Oh, und deinen Wein. Du siehst eh so aus als würdest du dich gleich übergeben, wäre doch eine Verschwendung.“
Normalerweise wäre nichts und niemand zwischen mich und meinen Wein gekommen, doch da a) es noch nie ein Kopfgeldjäger war und b) es sich nicht wirklich um Wein handelte, entschied ich {lasst mir bitte dieses kleine bisschen Würde}, der Aufforderung besser Folge zu leisten. Als ich meinen Geldbeutel aus der Tasche zog, ging jedoch die Tür auf. Doch ich wusste, dass die Sagen von Helden, welche in letzter Sekunde zur Rettung der Hilfsbedürftigen kamen, erstunken und erlogen waren {ich hatte schließlich einen Großteil davon verfasst}. Auch Handrick schien der Neuankömmling herzlich egal zu sein, er drehte sich nicht mal um. Bis ihm der Fremde eine Hand auf die Schulter legte.
„Handrick. Der Mann, den ich gesucht habe.“, erklang eine Frauenstimme unter einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze hervor. Handrick drehte sich nun doch lächelnd um.
„Mein Ruf scheint mir vorauszueilen. Was ka...“, weiter kam er nicht, denn plötzlich ergriff die Frau ihn und presste ein Messer gegen seinen Hals. Als sie sprach, war ihr Stimme nur noch ein Zischen.
„Was du für mich tun kannst? Du kannst mir sagen, warum Kardup gerade meinen Laden durchsuchen lässt. Du kannst mir außerdem sagen, warum er sagt, er hätte konkrete Beweise für Hehlerei. Und zu guter Letzt kannst du mir sagen, warum ich dich nicht genau hier und jetzt umlegen sollte?“
Ich möchte mich eigentlich nicht mit einem Kopfgeldjäger vergleichen, aber es schien so, als würde Handrick ähnliches durchmachen wie ich vor nur ein paar Augenblicken. Auch wenn die Umstände {welche sich in der wunderbaren Gleichung der Distanz von Klinge zu lebenswichtigem Organ berechnen ließen} ganz andere waren. Trotzdem: Auch er schien sprachlos gegenüber der dramatischen Verschlechterung seines Tagesablaufs zu sein. Ungläubig schaute er mich an. Und ich schaute ihn an, auch wenn ich in dieser Situation endlich wieder meine höfische Ausbildung hätte anwenden können, und aktiv das Elend um mich herum hätte ignorieren sollen. So aber trat ich unfreiwillig in die Aufmerksamkeit der messerschwingenden Frau.
„Wer bist du?“, fragte sie scharf.
Ich möchte mich bei meinen Lesern für die doch recht aufwendige Schreibweise und grammatikalische Satzstruktur entschuldigen, welche sich durch diesen Teil der Geschichte zieht, doch nur so kann ich wirklich darstellen, wie viel bessere Möglichkeiten ich gehabt hatte zu reagieren.
Ich hätte sagen sollen: „Niemand, ich wollte gerade gehen.“, oder „Jemand der gerade geht.“, ach was! Selbst sinnlos aneinander gehängte Buchstaben wären die bessere Wahl gewesen! Aber nein, ich sagte: „Darius.“
„Kennst du diesen Halsabschneider?“
Auch auf diese Frage hätte es so wunderbare Antwortmöglichkeiten gegeben, selbst die Wahrheit(!) wäre die bessere Alternative gewesen als meine Antwort: „Wir haben uns gerade kennengelernt.“
Meine verdammte höfische Erziehung. Ich hatte von früh auf gelernt, niemanden offen zu demaskieren, geschweige denn zu beleidigen. Es war so viel ‚edler‘ und ‚ehrenvoller‘ die Affäre mit der Kammerfrau oder jegliche Art Gerücht am Hof zu verbreiten. Auch wenn meine ruinierten Stiefel tief in der Scheiße steckten { buchstäblich }, mein Kopf schien immer noch in den Wolken der Oberen Stadt zu schweben { metaphorisch }.
„Wenn dir dein Leben lieb ist, stehst du auf, vergisst diese Begegnung und schreibst diesen Abend als Enttäuschung ab.“, spuckte sie mir mit drohender Stimme entgegen.
Oh du grausame Ironie. Dank meiner höfischen Erziehung wusste ich, dass dieser Ratschlag ein guter war, hatte ich ihn doch oftmals und in verschiedensten Umständen nicht befolgt { oh mein Sonnenschein… }. Wenn ihr meint, das hieße jetzt, ich hätte ihn nun endlich mal befolgt, irrt ihr euch leider gewaltig. Doch halt! Dieses Mal hatte ich keine Chance ihn zu befolgen { die die mich kennen werden jetzt den Kopf schütteln, war das doch die Ausrede, die ich jedes Mal in solch einer Situation zum Besten gab }! Denn als ich gerade meinen noch auf dem Tisch liegenden Geldbeutel einstecken wollte, lag plötzlich die Frau rücklings darauf. Und auch wenn ich Erfahrung mit Frauen habe, die am liebsten auf Geld schlafen würden, traf mich diese Entwicklung doch unvorbereitet. Ihr Blick traf den meinen, und ihr Augen sprachen das, was sie Sekunden später schrie: „Ihr seid tot!“
Dies schien neuerdings die vorwiegende Meinung der Allgemeinheit über mein Schicksal zu sein. Da ich aber nicht ans Schicksal glaube, konnte ich mich von ihrem wuterfüllten Blick wegreißen. Beziehungsweise wurde weggerissen. Um mich herum rückten Stühle nach hinten und wurden Flaschen zerschlagen. Wie dämonische Fratzen flog ich an lachenden, grollenden und ausdruckslosen Gesichtern vorbei, rutschte auf Bier und ehemaligem Bier aus, begrabschte im Vorbeigehen die eberische Schankwirtin und stolperte schließlich durch eine Tür nach draußen. Nun sah ich auch was mich hinter sich herzog, beziehungsweise wer. Handrick. In der inzwischen einsetzenden Dämmerung war er nur ein Schatten, doch seine Stimme, durchsetzt von einer Tirade an Lachen und Flüchen, drang über das Geräusch unserer schnellen Schritte an mein Ohr. So rannten wir durch die engen, verwinkelten Gassen der Lehmstadt.
Dies schien neuerdings die vorwiegende Meinung des Schicksals über meinen Lebensinhalt zu sein.
Ich weiß nicht wie lange wir rannten, doch irgendwann kam Handrick am Eingang zu einer der etwas breiteren Straßen zum Stehen. Vorsichtig lugte Handrick aus der Gasse in die mit Wagen und Händlern vollgestopfte Straße. Trotz der späten Stunde herrschte noch immer ein lebhaftes Durcheinander von Gerüchen menschlicher, tierischer und pflanzlicher Natur vor. Marktschreier konkurrierten miteinander in der Originalität und Vulgarität ihrer gegenseitigen Beleidigungen um die Aufmerksamkeit der Leute, Schlachtvieh konkurrierte ebenfalls lautstark miteinander, jedoch um das genaue Gegenteil. Es war ein Trubel, den ich aus höfischen Zeiten nicht kannte, dort war ich einem Schlachtvieh höchstens auf dem Teller begegnet, und dort war es deutlich leiser gewesen { und hatte besser gerochen }. Handrick schaute noch immer angespannt von links nach rechts.
„Sollten wir nach unserem Dauerlauf nicht jeden Verfolger abgeschüttelt haben? Wir müssen doch inzwischen auf der anderen Seite der Stadt sein, oder?“, fragte ich.
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