Wo ich gerade von neuen Anstrichen spreche.
Auch das Anwesen des Barons war nicht mehr das glorreiche Selbst das es einst sicherlich gewesen war – und auch so war sein Herrscher. Selbst die Banner, in so vielen Schlachten siegreich empor gereckt, hingen schlaff und durchlöchert an dem bröckelnden Sandstein, aus dem die gesamte Obere Stadt gebaut war, herunter. Die Wachen schienen sich ein Vorbild an den Stoffbahnen über ihren Köpfen genommen zu haben und standen, gestützt auf ihre Hellebarden, mit hängenden Schultern und Lidern vor dem torlosen Tor. Keine Regung durchzuckte sie als ich zwischen ihnen hindurchschritt und den Innenhof betrat. Das Bild sah dort kaum anders aus. Ein paar Wachen fochten zähflüssige Übungskämpfe aus, während ihre Vorgesetzen im Schatten der Mauer saßen und ihren Sold im Bier oder beim Karten spielen verloren. Es hatte etwas merkwürdig friedfertiges, trotz all der Waffen und definitiv nicht friedfertigen Männern. Der Sommer hatte die Stadt fest im Griff.
Ein altes Sprichwort aus dieser Gegend besagt nämlich: Sommer bringt Frieden, Winter bringt Krieg. Frühling bringt den Handschlag, Herbst bringt den Hieb. Der Sommer würde bald zu Ende gehen, doch die Wachen verschoben die Vorbereitungen gerne auf die letzte Minute, eine Einstellung die in ihrer Schulzeit wohl den Weg zur Berufung als Wachen vorgeebnet hat. Nicht das ich besser gewesen wäre, doch manche von uns haben entweder das Glück oder das Talent etwas zu können, dass andere wertschätzen. Es ist das bildungstypische Gegenstück zu dem Ausspruch zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Leider bringt einen das aber auch in das mal gewollte, mal ungewollte Licht, an dem sich die Öffentlichkeit ergötzen kann – mal an rosigen Formulierungen, mal an blutigen Hinrichtungen.
Unwillkürlich berührte ich das Amulett. Es war heiß. Doch so wahr schließlich alles in Margoza. Auch mir stand der Schweiß auf der Stirn. Und nur ein Teil davon wegen der Hitze.
Als ich die Treppe hoch zum Turm des Anwesens stieg, geschah etwas Seltsames. Normalerweise würden meine Beine schwer, mein Schritt langsamer werden, so sehr scheute ich mich vor der Auseinandersetzung mit meinem „Patron“. Doch heute war mein Schritt leicht, schon fast freudig. Als würde mich eine Vorfreude erfüllen auf das was kommen sollte. Schnell erklomm ich die letzten Stufen und klopfte an die schwere Eichentür, eine der letzten Türen in der Festung des Barons, welche noch als solche bezeichnet werden konnte.
„Herein“, rief eine bekannt gereizte Stimme. Der Sommer bringt zwar Frieden, aber nur dem der auch Frieden sucht.
Trotz meiner unverständlichen Vorfreude lugte ich vorsichtig durch einen Spalt in der Tür, in der Erwartung, eine monströse Armbrust oder anderen Tötungsapparat auf die Tür gerichtet zu sehen. Nichts dergleichen war zu sehen, deshalb trat ich ein und schloss die Tür hinter mir. Wir waren allein. Der Baron war allein. Wie so häufig in der letzten Zeit. Und es waren nicht die vielen Treppen und unerträgliche Schwüle in dem kleinen Zimmer des Turms die dazu führten.
Wie gesagt, der Sommer bringt Frieden...
„Hast du es?“, fragte er mit blankem Gesichtsausdruck. Man sah ihm an, dass er gute Neuigkeiten brauchte. In Konsequenz brauchte ich ein Gedicht. Das ich nicht hatte.
„Die Hitze scheint den See meiner Kreativität ausgetrocknet zu haben, O Nobler.“, begann ich meine wohl letzte Ausrede. Dachte ich. Doch ich war mir sicher, dass mein Mund gerade andere Wörter geäußert hatte. Erstaunt hielt ich inne. War es die Hitze? Oder verfrühtes Galgengestammel? Ich setzte erneut an:
„Ich konnte nicht schreiben, denn die Hitze drückte meine lyrischen Schwingen zu Boden, O Herr.“ Ich wusste, dass ich diese Wörter sagen wollte, denn selbst mir kamen sie bescheuert vor.
In meinem Erstaunen hatte ich nicht gemerkt, wie sich die Züge des Baron verändert hatte. Die ausdruckslose Mine war Erstaunen gewichen. Jetzt war ich mir sicher, dass auch er etwas anderes gehört hatte.
Bei meinem nächsten Anlauf versuchte ich aktiv auf die ausgesprochenen Worte und nicht auf die Worte in meinem Kopf zu achten. Und mir wurde fast schwarz vor den Augen. Panisch versuchte ich mich für die Worte, die aus meinem Mund kamen zu entschuldigen, waren sie doch so abgrundtief verächtlich – lyrisch brillant zwar, aber voller Abscheu dem Baron und alles für das er stand gegenüber – aber mit jedem Satz, den ich dachte, spuckte mein Mund eine andere Zeile Greul und Hass auf den Baron.
Ich versuchte zu schweigen, doch mein Mund sprach einfach weiter. Es schien als sei eine zweite Seele in meinem Körper. Wenn es sich so anfühlte, wenn der Geist der Cäcilia in einen fährt, dann will ich nie wieder dichten. Ungläubig stand ich dabei und sah wie ich mein eigenes Todesurteil vortrug – mit makellosem Reimschema, blumigen Metaphern und einer Nachricht, die keiner Interpretation bedurfte. Ich weiß nicht wie lang ich das Grauen mit ansah, doch plötzlich merkte ich wie das etwas mir meinen Körper wieder überließ.
Der Baron stand mir gegenüber wie eine Statue. Das einzige Lebenszeichen ging von der dicken Ader an seinem Hals aus, die unaufhörlich pochte. Ich starrte ihn ungläubig an, er tat dasselbe. Eine weitere Ewigkeit verging, bis ein Klopfen an der Tür das Eis zwischen uns sprengte. Im selben Moment als der Sergeant den Kopf zur Tür hereinsteckte, riss ich die Tür auf, sodass der verdutzte Soldat an mir vorbei in den Raum stolperte und ungeschickt vor dem Baron auf dem Bauch zum Liegen kam.
Der Baron begann zu Brüllen: „Schnappt ihn! Schnappt den Hurensohn! Ich will ihn heute noch hängen sehen!“
Ich sprintete die Treppe herunter, hinaus auf den Innenhof. Von oben hörte ich den Baron aus dem Fenster schreien, sah die Wachen, die nicht im Schatten vor sich hindösten, sich verwirrt ansehen. Zum Glück arbeiteten ihre Hände ähnlich schnell wie ihre Gehirne, sodass ich zwischen ihnen hindurch aus dem Tor rennen konnte, bevor sie die spitzen Enden ihrer Hellebarden aufgerichtet hatten.
Mit etwas Abstand muss ich sagen, dass meine Gedanken während ich durch die Gassen rannte etwa so gewesen sein sollten: Was war dort oben passiert? Was sollte ich nun tun? Doch alles was mir in diesen Momenten durch den Kopf schoss war: Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Ich war nie ein großer Freund von körperlicher Ertüchtigung gewesen, doch Monate der Untätigkeit hatten die Wachen ebenfalls auf einen Tiefststand in Sachen Ausdauer und Schnelligkeit gebracht. Ich wusste aus Erzählungen, und den gelegentlichen Blicken von der Wehrmauer, dass die Untere Stadt ein Labyrinth aus Lehmhütten war, in das sich die Wachen mit gutem Grund selten begaben. Auch ich hatte meine Gründe für meine Abstinenz. Doch wie ein weiteres Sprichwort besagt: Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen.
So. Das ist also die Untere Stadt. Sieht aus der Nähe nicht besser aus, sie riecht aber um einiges schlimmer. Ich konnte nur erahnen, dass es tiefer in ihrem Inneren nur noch schlimmer wurde, doch vereinzelte Rufe und das Geräusch von schweren Stiefeln auf matschigem Untergrund sprachen eine ungewollte Einladung aus, mich in das Gewirr aus Gassen und Sinnesverätzungen zu begeben.
Ich wusste nicht wohin ich gehen sollte, doch es ist erstaunlich leicht einen Weg zu finden, wenn man weiß, dass zurück zu gehen keine Alternative ist. Man muss schließlich nur einen Fuß vor den anderen setzen.
Also tauchte ich ab in diese mir so unbekannte Welt – so dachte ich zumindest. Doch nach kurzer Zeit entdeckte ich erstaunliche Ähnlichkeiten zu der Welt der Oberen Stadt. Auch hier gab es klare Strukturen: Es gab die Menschen, die sich zu wichtig nahmen, es gab die die sich zu wenig wichtig nahmen. Es gab die Großmäuler und die stillen Denker. Es gab Trunkenbolde und Abstinenzler. Es war wirklich wie eine Kopie meiner Welt, nur dass die Regeln und Gesetze anstatt mit Tinte auf Rosenpapier geschrieben, mit Schweineblut auf Rinderhäute geklatscht wurden. Trotzdem, hätte man dem ein oder anderen Mann neue Kleider gegeben und eine Woche lang in ein Bad gezwungen, er hätte zumindest einen passablen Kleinadligen abgeben können.
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