Camille räusperte sich, denn irgendetwas musste sie nun sagen, irgendeinen Kommentar geben. Ihre Hände waren schwitzig und sie hoffte, dass das hier gleich vorbei war. „Aber mit deinem Vater hast du dich gut verstanden? Nach deinem Studium hast du ja bei ihm gewohnt.“
Nun schaute er sie kurz an, Ärger lag in seinem Ausdruck. „Ich rede von meiner Mutter, wie kommst du jetzt auf meinen Vater?“
Für einen Moment war Stille, sie hatte ihn offenbar verärgert. Einen wunden Punkt getroffen. Wäre sie nicht so verliebt, sondern an diesem Abend La Brochard gewesen, hätte sie das ausgenutzt. Aber in jenen Monaten war sie weit davon entfernt. Schließlich erklärte er von sich aus, dass ihn sein Vater immer überstrahlt hatte. Als er klein gewesen war, hatte er ihn an den Wochenenden besucht und oft waren sie auf Jahrmärkte und Spielplätze gegangen und sein Vater sei immer mittendrin gewesen. Ein Clown, der Kinder anzog. „Am Ende stand ich immer alleine da und mein Vater war umringt von fremden Kindern, mit denen er Faxen machte oder denen er Käfer und Blumen zeigte und Geschichten erfand. Ich verstand später auch, warum meine Mutter ihn anziehend gefunden hatte, obwohl er fast schon ein alter Mann gewesen war, als sie sich trafen. Er hat diese… Magie, weißt du?“ Es fiel im schwer, dieses Wort auszusprechen, seine Lippen kräuselten sich als verursachte es ihm Ekel. „Ich wollte ihn nicht teilen, ich wollte, dass er nur mich lieb hatte und nicht alle Kinder. Er war ja mein Vater, verstehst du?“
„Du hast seinen Charme geerbt“, versuchte Camille es mit einem Kompliment, um ihn aus seinen dunklen Gedanken zu holen, die sie gar nicht hören wollte. Marc lachte bitter auf.
„Wenigstens das. Und ich kann mich vor den Frauenherzen gar nicht retten, wie er.“
Nun war es an Camille, über seinen Scherz zu lachen, aber es blieb ihr irgendwie im Halse stecken. Sie mochte es nicht, wenn er mit der Bedienung im Café flirtete und wenn er auf der Straße den Frauen nachsah. Und sie mochte die Leute nicht, mit denen er sich umgab. Vor hundert Jahren hätte man diese Gesellschaft verächtlich Halbwelt genannt, dachte sie. Heute war es chic. Ihr gefiel nicht, wie er seine Freunde zu Partys in ihrer Wohnung einlud, wenn sie nicht da war. Sie wusste es, weil sie einmal von einer Lesereise zu früh nach Hause gekommen war. Natürlich wohnte er bei ihr und konnte empfangen wen er wollte, zwang sie sich zu denken. Aber im Grunde war es ihre Wohnung und sie bezahlte auch ohne ihr Wissen für den Champagner und das Bier - in dieser Kombination - , die dort flossen. Sie fand es zwei Jahre später heraus, nach ihrer Hochzeit, als sie ein Schmuckstück vermisste, das sich eigentlich in ihrer Schatulle hätte befinden sollen.
„Wenn ich meinen Vorschuss bekommen habe, kaufe ich dir eine neue Kette“, hatte Marc nur gesagt und keine weitere Antwort gegeben, ihr auch nicht in die Augen gesehen. Da wusste sie Bescheid.
In jenem Frühsommer aber, an dem Abend auf der Île Saint-Louis, hatte sie davon keinen blassen Schimmer. Auch nicht, als sie später am Abend in der neuen Wohnung am Montmartre noch ein paar Kartons in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer ausräumte. Sie hatte vergessen, dass jener darunter war, in der sich die Box befand, die sie später ganz oben in ihrem Büro aufbewahrte und jeden Blick darauf vermied. An diesem Abend aber fiel sie ihr überraschend in die Hände und sie ließ sie vor Schreck fallen. Noch schlimmer erging es ihr, als der Deckel aufsprang und der Inhalt hinausfiel. Marc kam in dem Moment herein, in dem sämtliche Fotos und Steine, getrocknete Blumen und Muscheln auf dem Parkett verteilt lagen. Camille war erstarrt und versuchte gar nicht, alles so schnell wie möglich zusammenzupacken und wieder zu verschließen. Auf ihrem Gesicht spielte Entsetzen sein Spiel und verzerrte ihren Mund und ihre Augenbrauen. Dann flossen die ersten Tränen und Camille zitterte. Vor ihr lag ihre Kindheit zerstreut, alles was ihr geblieben war und sie hatte es vorgezogen, sie gut zu verschließen und vor sich selber zu verbergen. Nun drängte sie sich ein zweites Mal nach dem Abend im Schnee in ihr Leben und in die Gegenwart und wieder war Marc dabei.
„Camille“, sagte er nur zärtlich, setzte sich zu ihr auf den Boden, nachdem er die Fotos und Muscheln zusammengesammelt und zurück in die Box gelegt hatte. Er nahm sie in den Arm und wiegte sie hin und her. Nach einer Weile ging es ihr besser und er sah ihr in die Augen. „Camille, du bist so schön, wenn du weinst. Deine Augen glitzern wie die einer trauernden Madonna“, sagte er ernst und er meinte es auch so, das konnte sie sehen. Sie hasste es, dass er sie ausgerechnet in den Momenten, in denen sie sich selber am meisten hasste, am meisten liebte und sie wusste, dass das fatal werden würde. Aber jetzt konnte sie nicht anders als sich in seinen Armen zu vergraben und ihre Tränen an seinem Hemd zu trocknen, das nach Tabak und Waschpulver roch.
In dem Moment fiel Marcs Blick auf eines der Fotos in der Box. Es zeigte Camille als kleines Mädchen auf dem Arm ihres Vaters, das stand unter dem Bild in gestochen scharfer Schrift. Der Mann hatte ein strahlendes, leicht schiefes Lächeln, wilde braune Locken und haselnussfarbene Augen.
„Willst du mich heiraten, Camille?“, fragte er und für einen Moment setzte sein Herzschlag aus, bis sie langsam nickte und sich dann kommentarlos aus seinen Armen löste.
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