Nadine Roux
Ein Sommer in der Normandie
Roman
Die Pariserin Camille widmet ihr Leben dem Schreiben von Kriminalromanen und ist damit außerordentlich erfolgreich. Ihr Privatleben möchte sie am liebsten ausblenden, zu sehr schmerzen die Erinnerung an ihre Familie, die sie verloren hat, und an den Tag ihrer Hochzeit, nach dem nichts mehr so war wie vorher. Nur ihr Schwiegervater Georges steht ihr noch nah. Eine Schreibblockade stürzt sie in diese Realität zurück. Bei ihrer Freundin Magali in der Normandie will sie neue Ideen finden und zurück in die Spur gelangen. Doch der lebenslustige Romain macht ihr einen Strich durch die Rechnung und droht den Panzer um ihr Herz zu durchbrechen. Außerdem trifft sie in Trouville-sur-Mer auf die unkonventionelle Madame Jeanette, die etwas über Georges zu wissen scheint.
- Ein Roman über den Zauber des Sommers und die Kraft der Veränderung.
Nadine Roux wurde 1988 geboren und studierte in Hamburg Romanistik und Jura. Sie lebt in der Lüneburger Heide. Ein Sommer in der Normandie ist ihr erster Roman.
Text: © Natalie Rusch
Umschlaggestaltung: © Natalie Rusch
Lektorat: SB
Verlag: Natalie Rusch
c/o Stefan Stern
Feldkreuzweg 11
79793 Wutöschingen
ISBN: 978-3-7450-9377-3
4. Auflage September 2017
Sie sah das Cover ihres neuen Buches schon vor sich. Camille Brochard – L’amertume . Bitterkeit. Darauf ein Foto von ihr in der oberen Hälfte und darunter irgendein düsteres Landschaftsbild einer Agentur, das sich der Verlag aussuchen würde. Camille ging es aber um ihr Foto. Der Grund für ihren Ruhm, ihre umfassende Bekanntheit im ganzen Land. Nicht hinten auf dem Buchdeckel, nicht als kleines Foto auf der letzten Seite, nein, vorne auf dem Cover war sie stets zu sehen und für jedes Buch mit einem anderen, immer exakt ausgefeilten Gesichtsausdruck. Ihr neuer Krimi würde also L’amertume heißen und vor dem Spiegel probte Camille ihren Blick. Sie fand, dass sie durchaus Schauspielerin hätte werden können, ihr Repertoire war groß: Kaum merklich kniff sie die Lippen zusammen und die kleinen Muskeln unterhalb der Augen, außerdem ihre Augenbrauen. Keine großen Veränderungen, aber die Wirkung war enorm: Feindseligkeit. Jener Ausdruck, der ihren Debütroman zu einem Erfolg gemacht hatte, damals vor sieben Jahren. Fünf Bücher waren gefolgt und jedes Mal wieder stand Camille vor dem Spiegel, wo ihre stechend blauen Augen sie anstarrten, wahlweise also mit Feindseligkeit, Entsetzen, Hass, Verschwiegenheit und nun Bitterkeit. Das war leicht. Camille drapierte ihre blondierten, mittellangen Haare so, dass sie nicht den Verdacht erweckten, schön, schwungvoll und lebendig zu sein. Nein, das passte nicht zu ihr und nicht zu ihrem Krimi. Ein Seitenscheitel verdeckte einen Teil ihrer Stirn, die Zornesfalte, die sie zog, einen anderen. Sie kräuselte die Mundwinkel und hörte für einen Moment auf zu atmen. Ein imaginäres Blitzlicht und Camille atmete auf. So würde es perfekt sein, das neue Foto. Camille Brochard war Perfektionistin, niemals würde sie sich in die Hände eines Fotografen begeben und sich vor der Kamera dirigieren lassen. Niemand sagte Brochard, was sie zu tun hatte.
Brochard, so nannte man sie und so nannte sie sich selber. Nicht Madame Brochard, nicht Camille Brochard. Für die Öffentlichkeit war sie einfach nur Brochard. Ohne den Glanz einer Diva zu haben wie La Bardot oder der Dietrich. Immerhin schrieb sie Kriminalromane und machte keine Liebesfilme, die sie für überflüssigen Schund hielt. Aber wenn ihr auch der Glanz fehlte, so hatte sie doch etwas, das sie von allen anderen Frauen in der Öffentlichkeit unterschied. Sie war respekteinflößend und verbreitete mitunter Angst und Schrecken. Eine Frau, die die Hosen anhatte, kompromisslos und hart. Diese Härte war etwas, was sie sich über viele Jahre erarbeitet hatte und nun begründete sich darauf sogar ihr Ruhm. Niemand liebte sie, aber man respektierte sie und las ihre Bücher, das war alles, was für sie zählte. „Quelle femme!“ war etwas, was sie häufig hörte, wenn die Leute hinter ihr tuschelten. War der Ton bewundernd, verzog sie kaum merklich die Mundwinkel zu einem Mona-Lisa-Lächeln. War er leicht despektierlich, brauchte sie sich nur umzudrehen und den Widersacher mit einem Blick aus ihren stahlblauen Augen zu töten und sie trug erneut den Sieg davon.
Einer Konfrontation ging sie nie aus dem Weg, La Brochard. Sie war daher ein gern gesehener, aber auch heikler Gast in den zahlreichen Talkshows in Fernsehen und Radio. Jene, die sich gut präsentieren wollten, brachte sie ein ums andere Mal richtig ins Schwitzen und dann gab es für diese Blender nichts mehr zu lachen.
Einmal war sie in einer Talkshow, in der der Moderator versuchte, Camille in ein angenehmes Licht zu rücken.
„Madame Brochard, Sie sehen heute fabelhaft aus. Man mag gar nicht glauben, dass Sie die düstersten Kriminalromane Frankreichs schreiben!“ Es folgte ein kleines Lachen, jenes, das diese Fernsehleute immer beherrschten. Jenes, das aussagte: Schaut her, wie fantastisch ich bin, niemand kann mir widerstehen! Aber eine Camille Brochard hatte darauf natürlich die richtige Antwort.
„Man mag aber sehr wohl glauben, dass Sie die langweiligste Talkshow des Landes moderieren, Monsieur. Haben Sie meine Bücher gelesen?“
Sämtliche Gesichtszüge waren dem Moderator bereits entglitten und dann sollte er auch noch eine Frage beantworten. Was für eine Katastrophe. Er wand sich wie ein Wurm. Camille unterdessen hatte sich zurückgelehnt und ihren linken Fuß, an dem ein roter High Heel steckte, auf ihr rechtes Knie gelegt. Sie saß da wie ein Mann und nagelte den armen Kerl mit ihrem stechenden Blick fest, in dem Spott, Missachtung und auch eine Spur Spaß stand.
„Nun ja, es sind ziemlich dicke Bücher, nicht wahr?“, versuchte Monsieur sich aus der unangenehmen Lage zu befreien, zupfte an dem Knoten seiner Krawatte, der ihm urplötzlich viel zu eng vorkam und bemühte sich, eine neue, diesmal unverfängliche Frage zu stellen. Camille machte sich einen Spaß daraus, ab sofort nur noch mit Ja und Nein zu antworten und dabei ihre beste und erfolgreichste Karte auszuspielen: Ihre Mimik. Welche Wirkung ein „Nein!“ hatte, wenn man es mit einem Ausdruck untermalte, der auch noch sagte: Sie stehlen meine Zeit, Sie unverschämter Kerl und Ihre Frage ist die dümmste, die mir je untergekommen ist. Aus dieser Talkshow machte Camille jedenfalls ihre eigene Show und sie genoss es, sie zu zerstören. Sie spürte das blanke Entsetzen der Redakteure hinter den Kameras und die freudige Anspannung des Publikums, das sie anstarrte wie einen Autounfall. Man findet nicht gut, was da passiert, aber man kann einfach nicht weggucken. Camille hatte statt eines Glases Wasser Whiskey bestellt, natürlich. Auf keinen Fall konnte sie Wasser trinken so wie alle anderen. Und Whiskey zu trinken, das war außerdem das nächste Tabu in Frankreich.
Während nach einem solchen Auftritt der Ruf eines jeden seriösen Autors unwiederbringlich zerstört gewesen wäre, so gab es bei Camille Brochard keinen Ruf, der auf dem Spiel gestanden hätte. Sie war immer so und es war ihrem Erfolg nicht hinderlich, sondern befeuerte ihn nur. Unnötig zu erwähnen, dass nach dieser Fernsehshow die Verkaufszahlen ihrer Romane ins Unermessliche gestiegen waren.
Das war schon ein Jahr her, mittlerweile hatte sie weitere Bücher veröffentlicht, deren Titel stets mit einem „A“ begannen. Zuletzt L’abîme , der Abgrund. Ein erfolgreicher Krimi, der im Périgord spielte, dem Zentrum des guten Lebens in Frankreich. Gänseleber, Wein, Cognac, weite Landschaft, dunkle Wälder. Aber es war auch der am dünnsten besiedelte Landstrich jenseits der Berge. Nirgendwo war es in den Nächten dunkler. Camille hatte daraus einen wunderbar düsteren Krimi gesponnen, der auch in einer der prähistorischen Stätten spielte, die es in jener Wiege der Menschheit mitten in Frankreich gab. Ein purer Erfolg, denn Camille wusste die Liebe ihrer Landsleute zu ihrem eigenen Land zu nutzen. Ein bisschen schade war es nur, dass sich natürlich mal wieder kein Office de Tourisme aus der Gegend bei ihr melden und sich bedanken würde. „Merci, Brochard“ hätte ihr schon gereicht und dazu vielleicht eine Flasche Cognac oder eine Dose Foie Gras. Aber nein, damit konnte sie nicht rechnen, schon gar nicht sie. Sie gönnte sich stets nur einen kurzen Moment des Bedauerns. Ebenso wie sie sich immer nur einen kurzen Moment jener Gefühle gönnte, die für sie Schwäche darstellten. Freude, Trauer, Scham und Liebe zum Beispiel. Manchmal hielt sie es für unmöglich, dass sie dazu imstande war, überhaupt Derartiges zu fühlen, aber Kopf und Herz waren immer noch zwei verschiedene Personen und es gab Dinge, die Camille nicht unter Kontrolle hatte. Sie hasste das. Und hassen konnte sie wiederum gut.
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