„Und wie ist er an die Seelenräuberin geraten?“
„Das weiß ich gar nicht so genau. Du kannst Dir sicher vorstellen, dass ich ab dem Zeitpunkt dieser Beinahe Vergewaltigung ihm soweit wie möglich aus dem Weg gegangen bin. Ich weiß nur, dass er eines Tages plötzlich verschwunden war. Ich war erst sehr erfreut darüber und hoffte, er würde niemals mehr zurückkommen, aber eines Tages fiel es sogar meinem Vater auf, der mich dann fragte, wo denn mein Onkel sei. Als ich ihm sagte, der Schlappschwanz sei schon seit gut zwei Wochen nicht mehr da, da hätte mich mein Vater fast verprügelt.
Mein Vater hat dann ein großes Tamtam veranstaltet, hat den Polizeichef persönlich angerufen, den besten Detektiv engagiert und so weiter. Mein Vater macht keine halben Sachen. Trotzdem hat keiner auch nur eine Spur von ihm gefunden. Ich hoffte schon, ich müsste das Arschloch nie mehr sehen, da war er plötzlich wieder auf der Matte. Ganz abgemagert und ungepflegt, fast so, als ob er die ganze Zeit, die er verschwunden war, sich weder gewaschen noch die Kleidung gewechselt hatte. Ich hätte ihm am liebsten eine direkt auf sein Maul gehauen, aber er war anders, total anders. Fast wie abwesend. Er reagierte auf gar nichts, sondern saß tagelang nur einfach da und stierte stoisch große Löcher in die Luft. Mein Vater hat dann wieder total überreagiert und wollte schon den beste Psychologen des Landes anrufen, damit er ihn behandelte, als mein Onkel plötzlich aufstand und anfing wirres Zeug in einer unbekannten Sprache von sich zu geben, dann ging er in Küche, holte ein großes Messer und rannte in meinen Pferdestall. Er rannte mit erhobenem Messer direkt zu Silberpfeil meinem besten Pferd und wollte es offensichtlich töten. Dabei schrie er die ganze Zeit ‚sajra wayra’, was in Quechua, der Sprache der Indios soviel wie ‚das Böse’ oder ‚böser Atem’ heißt. Er sprach es in einer eigentümlichen sehr krächzenden Art aus. Mein Stalljunge konnte ihn gerade noch daran hindern. Er hat das Messer fallen lassen, ist wieder auf seinen Stuhl gesessen und hat Löcher in die Luft geschaut. Kurz später hat er dann wieder begonnen, in dieser komischen krächzenden Sprache zu sprechen. Es war richtig unheimlich. Er schien mit irgendjemandem, den nur er sehen konnte, ein richtiges Streitgespräch zu führen. So blieb das auch für die nächsten Tage. Er verließ dabei seinen Stuhl niemals, nicht einmal in der Nacht, um in sein Bett zu gehen. Es gab Stunden in denen er sich überhaupt nicht rührte und dann wieder diese stundenlangen Streitgespräche in dieser fremden Sprache. Zum Glück wollte er niemanden mehr töten. Auch die von meinem Vater gerufenen Psychologen konnten nichts herausfinden. Er hat erst gar nicht auf sie reagiert. Durch gar nichts. Es war, als wäre er zwar da, aber sein Geist ganz wo anders. Wir konnten auch nicht genau herausfinden, was dies für eine Sprache war, in der er die Streitgespräche führte. Es schien ein Dialekt der Quechua zu sein, aber eher in der Art, wie er vor 500 Jahren von den Inkas gesprochen wurde.
Dann hat plötzlich Mark Bishop angerufen und wollte sich meinen Onkel ansehen. Erst wollte mein Vater ja nicht, aber als er hörte, für was für eine Organisation Herr Bishop sprach, da wollte er dann doch. Offensichtlich war Herr Bishop von einem der Psychologen angerufen worden. Leider kam meinem Vater aber wieder einmal etwas dazwischen, sodass ich Herrn Bishop empfangen sollte. Und kurz bevor der eintraf ist mein Onkel dann plötzlich gestorben. Er fing wieder mit einem dieser Streitgespräche an, wurde dabei dann immer aufgeregter und fing plötzlich an zu schreien und zu toben. Die noch anwesenden Psychologen konnte ihn gar nicht mehr beruhigen. Nicht einmal eine hoch dosierte Beruhigungsspritze hat geholfen. Mein Onkel wurde immer aufgeregter, bis er dann plötzlich nur noch grell schrie, dass die Fenster gewackelt haben. Zum Schluss hat er dann noch einmal ‚sajra wayra’ gebrüllt und ist auf seinem Stuhl zusammengesackt. Er hat sich dann nicht mehr gerührt und ist kurz später einfach gestorben. Einfach so, als ob eine Kerze ausgeblasen würde. Nicht einmal zwanzig Minuten später stand Mark Bishop vor der Türe.“
„Und dem hast Du dann die Adresse von Donerta gegeben?“
„Ja, er schien irgendwie eine Ahnung zu haben, was geschehen war. Als ich dann die Seelenräuberin erwähnt habe, da hat er nur mit dem Kopf genickt!“
Das war wieder einmal so typisch Mark. Er hatte immer noch eine Information in der Hinterhand. Offenbar hatte er schon vorher etwas herausgefunden. Nur was? Layla hatte das Gefühl, dass sie noch viel zu wenige Informationen hatte, um irgendwie logisch und strategisch zu planen. Sie hoffte, dass diese Donerta, von der Naomi richtige Wunderdinge erwartete, ihr wirklich weiterhelfen konnte. Ansonsten konnte sie nur die nächste Attacke der Seelenräuberin abwarten und hoffen, dass sie entsprechend angemessen reagieren konnte. Und das schmeckte Layla überhaupt nicht. Sie wollte endlich das Ruder in die Hand nehmen. Bisher hatte sie das Gefühl, dass die Seelenräuberin nur mit ihr spielte, alles unter Kontrolle hielt, während sie ab und zu eine Attacke auf sie befahl. Layla wusste nicht, inwieweit die Seelenräuberin daraus lernte, inwieweit sie Layla mittlerweile einschätzen konnte. Das konnte natürlich auch sehr plötzlich sehr gefährlich werden. Eine innere Unruhe erfasste Layla. Sie konnte im Moment jedoch nichts Sinnvolles tun, bis sie von Donerta die nötigen Informationen erhalten hatte. Sie konnte nur warten.
Sie war dagegen sicher, dass ihre Gegnerin in dieser Zeit nicht untätig sein würde, sondern den nächsten Angriff schon plante und vorbereitete. Sicher wusste sie schon, wohin Layla ging und wenn Donerta wirklich Informationen hatte, die der Seelenräuberin gefährlich werden konnten, dann würde sie sicher zu verhindern versuchen, dass Layla Donerta traf. Layla musste also doppelt oder sogar dreifach wachsam sein.
Mittlerweile hatte selbst Layla ihre Zwischenmalzeit beendet, was bei Hans wieder für Staunen und bei Naomi zu einem regelrechten Lachkrampf geführt hatte („wenn ich all dies essen müsste, dann sähe ich aus, wie Beth Ditto von Gossip“). Inzwischen war es auch an der Zeit, zum Gate zu gehen, also nahmen die drei ihr Handgepäck und gingen zur Sicherheitskontrolle. Dabei behielt Layla die Umgebung sehr genau im Auge. Wann kam dieser nächste Angriff der Seelenräuberin? Hier am Flughafen wäre solch eine Attacke natürlich besonders verheerend. Es würde Untersuchungen nach sich ziehen, an die Layla gar nicht denken wollte. Sie würden höchstwahrscheinlich sogar im Gefängnis landen und ihren Plan könnten sie dann getrost vergessen. Deshalb war es strategisch sehr sinnvoll für die Seelenräuberin, sie genau hier und jetzt anzugreifen. Layla begann zu schwitzen und sah sich immer wieder um. Es zerrte an ihren Nerven, auf diesen Angriff zu warten. Dabei fiel ihr ein Witz ein, denn ihr Iztel, die eine große und geschickte Witzerzählerin war, einmal erzählt hatte. Ein Mann der nachts in einem Kohlebergwerk arbeitet, kommt jeden Morgen um kurz nach 6:00 Uhr von seiner Schicht nach Hause. Das schönste für diesen Mann ist es dann, seine schweren Sicherheitsschuhe auszuziehen und in die Ecke zu werfen. Jeder in eine andere Ecke. Dies gefällt natürlich dem Nachbar überhaupt nicht, so früh durch diesen zweifachen Bums geweckt zu werden, worauf er sich telefonisch auf das heftigste bei dem Mann beschwert. Dieser verspricht auch Besserung. Aber nach der nächsten Schicht denkt er nicht mehr daran, zieht seine Stiefel aus und knallt den ersten in die Ecke. Dann fällt ihm der arme Nachbar ein und er nimmt den zweiten und legt ihn leise neben den ersten, stolz, letztendlich doch daran gedacht zu haben. Aber nicht einmal zwei Minuten später ruft der Nachbar wieder an und schreit entrüstet: „Nun werfen sie schon den zweiten Stiefel, dass ich weiterschlafen kann? Layla grinste. Der Witz war wirklich gut. Und genauso, wie der arme Nachbar fühlte sich Layla im Moment auch. Sie wusste, dass der nächste Bums kam, sie wusste nur nicht wann und musste mit flatternden Nerven darauf warten.
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