»Was schlägst du also vor?«, hakte ich nach.
»Ein paar Regeln. Um unser beider Willen!«, erklärte er mir daraufhin. »Regel Nummer eins: Du wirst das Haus nicht verlassen. Es sei denn, ich wünsche, dass du mich begleitest. Und darum werde ich nicht bitten. Regel Nummer zwei: Jeglicher Kontakt zu deiner Familie sei, es nun die sterblich oder die unsterblich, werde ich bis auf weiteres unterbinden. Du solltest gar nicht erst versuchen dagegen zu verstoßen. Sonst lernst du mich von einer anderen Seite kennen!«
Ich schluckte. »Was ist mit meinem Wunsch? Darf ich ins Gästezimmer ziehen?« Marces blickte mich zornig an. Natürlich wollte er nicht, dass ich allein schlief.
Er genoss seine Macht über mich viel zu sehr.
»Nun gut. Du kannst ins Gästezimmer ziehen. Vorerst!«, antwortete er schließlich, während er hinter mich trat und mich an den Schultern berührte. Langsam fuhr er mit seinen Fingerspitzen von meiner Schulter über meinen Nacken bis zu meinen Haaren. Er nahm eine Strähne in seine Hand und roch daran. Ich ließ ihn ohne Widerworte gewähren.
Einen Moment später trat Partu zu uns. »Mein Herr. Ihre Sachen sind wieder verstaut. Wohin darf ich Mademoiselles Sachen nun bringen?«
»Ins Gästezimmer, Partu! Und sorgen Sie dafür, dass sie so schnell wie möglich ein heißes Bad bekommt. Ihre Haare riechen nach diesem Drachenbuben«, antwortete Marces schroff, während er mich grob an sich zog. »Du wirst diesen ekligen Duft abspülen und dann kannst du schlafen gehen.«
Ich verzog das Gesicht vor Schmerz. Wie konnte er nur so grausam sein? Woher kam diese düstere Seite in ihm? Als Marces meine Reaktion bemerkte, ließ er mich zufrieden los und verschwand in sein Arbeitszimmer.
Ich zuckte zusammen, als sich die Tür hinter ihm schloss. Mein Körper zitterte. Meine Gedanken kreisten um Niel und die anderen. ›Helft mir‹, wollte ich schreien. ›Erlöst mich aus diesem Albtraum.‹ Aber keiner konnte mich hören.
Partu brachte mich schließlich vollkommen abwesend nach oben ins Gästezimmer. Als ich unter der heißen Dusche stand und das Wasser auf mich herab strömte, liefen mir leise die Tränen über die Wangen. Was sollte ich jetzt tun? Die ganze Situation schien auf einmal so aussichtslos. Ich fühlte mich so allein.
Es gab keine Menschenseele, die mich an die Hand nehmen und aus dieser Situation retten würde, keine Familie in der Nähe, die mich unterstützte. War es klug, mich Marces zu ergeben? Sollte ich mich einfach fügen? Ich seufzte leise.
Woher sollte ich jetzt noch den Mut oder die Kraft nehmen für mich zu kämpfen?
Als ich das Wasser schließlich wieder abdrehte und aus der Dusche trat, fiel mein Blick auf den beschlagenen Spiegel. Meine Welt schien auf einmal genauso verschwommen zu sein wie mein Spiegelbild. Unglaublich wie schnell sich das Leben von einer Sekunde zur anderen verändern konnte. War ich zu naiv an die Sache herangegangen? War das die Konsequenz für mein Handeln?
Ich konnte nicht schlafen in dieser Nacht. Es kreisten einfach zu viele Gedanken durch meinen Kopf.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich überhaupt keine Lust aufzustehen. Der Tag konnte einfach nur grauenvoll werden. Eingesperrt in diesen vier Wänden, mit diesem Mann. Noch während ich über eine Ausrede nachdachte, trat Partu in mein Zimmer: »Mademoiselle. Guten Morgen. Der Herr erwartet Sie in zehn Minuten zum Frühstück. Bitte, beeilen Sie sich. Er hat sehr schlechte Laune.«
›Na super‹, dachte ich bei mir. ›Das kann ja heiter werden.‹
»Wieso hat er schlechte Laune?«, fragte ich.
»Garushin hat ihn zu sich befohlen. So wie es aussieht, muss er nun noch einmal Rapport erstatten«, antwortete Partu nachdenklich.
Ich horchte auf. Marces nicht im Haus?
»Dann sind wir allein?«, fragte ich ihn aufgeregt.
»Leider nein, Mademoiselle.«, antwortete Partu. »Er hat das Fräulein Lilly hergerufen, damit sie auf Sie acht gibt. Nach dieser ganzen Geschichte will er scheinbar auf Nummer sicher gehen.«
Ich ließ mich zurück ins Bett fallen. Na super. Jetzt bekam ich schon Wachpersonal.
»Seien Sie froh, dass es nur Fräulein Lilly ist. Es hätte auch ihre Schwester sein können«, fügte Partu lachend an.
Ich seufzte leise. Er hatte ja Recht. Um Marces nicht weiter zu provozieren, stand ich auf und zog mich an. Hunger hatte ich eigentlich nicht. Allein bei dem Gedanken mit ihm einfach da weiter zu machen, wo wir vor Irland aufgehört hatten, kam mir absurd vor. Wie konnte er glauben, dass ich einfach alles hinter mir lassen würde, was in der Zwischenzeit passiert war?
Als ich mich fertig gemacht hatte, lief ich langsam die Treppe nach unten ins Esszimmer. Marces saß bereits an seinem Platz und las in der Zeitung.
»Guten Morgen!«, sagte ich, während ich an ihm vorbei auf meinen Stuhl zu steuerte.
Noch bevor ich mich versah und wusste was geschah, packte er mich an meinem Arm und zog mich zu sich.
Er roch an meinem Haar und lächelte zu frieden.
»Au!« beschwerte ich mich leise.
»Du riechst schon viel besser. Aber an deinem Benehmen müssen wir noch arbeiten«, antwortete er kalt. »Ich bekomme jeden Tag einen Kuss zur Begrüßung. Ist das klar.« Noch bevor ich etwas erwidern konnte, zog er mich näher an sich und küsste mich. Ich entriss ruckartig meine Hand aus seinem Griff und trat angewidert ein Stück zurück. Marces grinste höhnisch und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Was sollte das denn? ›Ich bin doch keine Puppe‹, dachte ich bei mir. Angeekelt von seiner Handlung nahm ich schließlich auf meinem Stuhl Platz.
Obwohl er mich den restlichen Morgen in Ruhe ließ, bekam ich keinen Bissen herunter. Marces’ andere Seite, diese herrische Art, kostete mich enorme Kraft. Jeder meiner Schritte schien überwacht zu werden. Jeder Gedanke in meinem Kopf durfte nicht nach außen dringen. Jede Regung, jedes Gefühl musste ich tief in mir einschließen.
Als Marces mich endlich allein ließ, um sich an seine Arbeit zu machen, hatte ich Zeit mit Partu zu reden.
»Wieso dienen Sie Marces eigentlich noch? Sie haben doch gesehen, wie skrupellos er ist«, fragte ich Partu, während er den Frühstückstisch abräumte.
Er schien über irgendetwas nachzudenken, aber er sagte mir nicht, was es war. Dieser Mann machte mich noch ganz kirre mit seiner seltsamen Art. Wollte er mir nun helfen oder nicht?
»Es ist einfacher der dunklen Seite zu dienen, als ihr Gegner zu sein«, antwortete Partu. »Schlussendlich versuchen wir alle unsere eigene Seele zu retten.«
»Aber wieso tun Sie es immer noch? Sie hätten ihn längst verlassen können?«, hakte ich nach.
Partu schüttelte den Kopf. »Ich darf den Herrn im Jahr 2740 verlassen. Dann ist meine Strafe abgegolten.«
Ich zuckte erschrocken zusammen. »Was für eine Strafe? Partu, was ist passiert?«
Partu blickte mich eine Weile an. Er schien noch unsicherer als vorher. Was war nur los mit ihm? Er war doch sonst so souverän? Was um Himmels Willen hatte er getan?
Er nahm ein weiteres Tablett mit Geschirr und brachte es in die Küche. Dort verharrte er für einen Moment.
Ich beobachtete, wie er die Sachen langsam an ihren Platz räumte, alles noch einmal abwischte und leise seufzte. Als er fertig war, trat er zurück ins Esszimmer und sah mich an. Dieser Blick war anders als sonst. Er hatte Angst.
Irgendetwas bereitete ihm immense Kopfschmerzen.
»Ich denke, wir sollten ein neues Thema auf Ihren Stundenplan setzen«, sagte er lächelnd.
»Stundenplan? Was meinen Sie? Welches Thema denn?«, hakte ich nach.
»Geschichte! Um genau zu sein unsterbliche Geschichte. Ich werde Ihnen etwas darüber beibringen«, antwortete er und bat mich mit einer kurzen Handbewegung ihm zu folgen.
Ich lief hinter ihm her durchs Esszimmer ins Wohnzimmer und von dort nach draußen in den Garten. Die Sonne schien mir ins Gesicht und der Wind wehte leicht durch meine Haare. Der Frühling hielt Einzug. Der Mai zeigte sich in seinen schönsten Farben. Partu fuhr langsam mit seinen Fingern durch die Gräser und Blüten. »Es ist so wundervoll, wenn das Leben erblüht. Das erinnert mich an meine Kindheit.«
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