Tara riss ihn aus seinen Gedanken. »Ich versteh das.« Dann trat sie näher an ihn heran, legte ihre Arme auf seine Brust und gab ihm einen langen Kuss.
»Ich liebe dich«, erwiderte Varush liebevoll und Tara antwortete leise: »Ich liebe dich auch.«
Hinter dem Nebel kann
sich so viel verbergen.
Du siehst es erst, wenn du hindurch fliegst.
(Trease)
Die Drachenkinder und der Werwolf-Clan saßen versammelt im Wohnzimmer, als Daamien von seinem Gespräch mit Niel zurückkam. Der Raum war nicht sonderlich groß, aber gemütlich eingerichtet. Auf der Längsseite befand sich ein Kamin, auf der gegenüberliegenden Seite einige große Bücherregale, welche Literatur von Nitsche über Goethe bis zu Kant fassten. Dazwischen gab es ein großes Sofa und zwei rote Sessel, in der Ecke stand ein schwarzer alter Klavierflügel. Kira, Elen, Nerifteri und Tara teilten sich das Sofa, während Danny, Osiris und Varush vor dem Kamin standen. Le und Aura hatten in den Sesseln Platz genommen. Andal musste sich den Hocker vom Klavierflügel heranziehen, damit er noch ein Plätzchen fand.
»Was nun?«, fragte Danny ungeduldig. »Wie ist es gelaufen? Was ist passiert? Wo sind Cara und Niel? Haben sie die anderen überzeugt?«
Varush seufzte leise. »Mein Vater wird gleich hier sein. Er wird euch alles erklären. Er kommt bestimmt gleich.«
»Varush! Jetzt sag uns endlich was passiert ist!«, forderte Elen ihn grummelnd auf.
»Es tut mir leid. Er hat gemeint, ihr solltet es von ihm erfahren«, gab er kleinlaut zurück.
Den Mädchen stockte plötzlich der Atem. Was sollte das denn bedeuten? Sie schauten sich gegenseitig fragend an.
Was war passiert? Wo waren die anderen? Danny schüttelte verärgert den Kopf.
Er ahnte, dass etwas schief gegangen sein musste.
»Verdammt nochmal ... «, wollte Osiris gerade ansetzen, als Daamien mit nachdenklichem Blick das Zimmer betrat. Seine plötzliche Anwesenheit führte zu einer sichtlichen Anspannung im Raum. Die Luft knisterte. Alle waren mucksmäuschenstill und starrten ihn fragend an, hofften inständig auf gute Nachrichten.
Daamien lief zunächst zu seiner Frau und gab ihr einen Kuss, dann trat er neben seinen Sohn. »Gut gemacht, mein Junge.«
Varush schmunzelte dankend. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, dass er die Verantwortung endlich wieder abgeben konnte.
»Es tut mir leid, dass es so gekommen ist«, erklärte Daamien sich schließlich und wandte sich den Drachenkindern zu. »Die Unsterblichen haben ihr Urteil gefällt. Leider nicht so, wie wir es uns gewünscht haben. Cara und Niel wurden beide für schuldig befunden und verurteilt. Cara hat man an Marces übergeben und sie zu seinem persönlichen Eigentum erklärt. Sie wird ab sofort unter seiner strengen Kontrolle leben müssen. Niel wurde zu 1000 Jahren Kerkerhaft verurteilt und bereits abgeführt. Es tut mir unendlich Leid für euch und die beiden. Ich habe alles in meiner Macht Stehende versucht, um das Schlimmste abzuwenden, aber ich konnte nichts mehr machen. Garushins Allmacht liegt über allem. Die Unsterblichen entscheiden nicht mehr. Sie dienen nur noch.«
Tara kamen vor Wut die Tränen, woraufhin Kira sie in den Arm nahm um sie zu trösten.
Wie konnte es nur soweit kommen?
Le fasste sich mit den Händen an den Kopf und schüttelte ihn unentwegt, während Danny, Osiris und Elen in ein undurchdringliches Gemurmel verfielen. Wieso?
Weshalb? Jeder hatte Fragen, jeder wollte Antworten.
»Ruhe!«, rief Daamien in den Raum. »Das bringt doch nichts. Ich beantworte euch alle eure Fragen. Aber eine nach der anderen. Danny, du fängst an.«
Auch wenn die anderen nicht ganz einverstanden waren, ließen sie Danny den Vortritt.
»Was genau ist passiert? Konnten sie die anderen Unsterblichen nicht überzeugen? Was ist die Begründung für die Verurteilung?«, fragte Danny Daamien daraufhin.
Daamien grübelte einen Moment. So richtig wusste er es ja selbst nicht. »Das ist eine gute Frage. Die beiden haben ihre Situation sehr gut geschildert und erklärt. Die Unsterblichen haben Fragen gestellt und waren sichtlich angetan von ihnen, aber der Großteil hat sich wohl von Garushin einschüchtern lassen. Tassi hat mit erzählt, dass es zum Beispiel bei den Trollen eine sehr hitzige Diskussion während der Abstimmung gab. Der Großteil fürchtet sich vor Garushin und seinen Schergen. Schlussendlich haben die Trolle sich dazu entschieden Garushin nach dem Mund zu reden, um ihn nicht zu erzürnen.«
Danny schüttelte entsetzt den Kopf. »Was war mit den Kobolden? Was war mit euren Stimmen?«
Daamien trat zurück zu seiner Frau und legte seine Hände auf ihre Schulter. »Unsere Stimmen konnte leider nicht mehr viel ausrichten. Wir haben versucht, die anderen umzustimmen, aber es half nichts.«
»Daamien hat sogar versucht, die anderen davon zu überzeugen, dass es sinnvoller wäre, wenn Cara uns zugesprochen wird. Aber sie wollten nicht hören. Sie wäre sogar fast Garushins Eigentum geworden«, fügte Nerifteri an.
»Sie hatten also überhaupt keine Chance?«, hakte Osiris nach.
»Nicht die Geringste«, antwortete Daamien. »Es ist schlussendlich so, wie ich es bereits vor unserer Anreise vermutet habe. Garushin hat sich in den letzten Jahren eine Monarchie aufgebaut. Seine Grausamkeit und Gier haben alle verschreckt. Ich kann nur noch versuchen das Maß der Bestrafung für Niel zu schmälern. Wenn er in ihm keine Bedrohung mehr sieht, wird er auch Tamilia mit nach Afrika zurücknehmen.«
»Das wird schwer. Niel ist ein Sturkopf. Jetzt vermutlich noch mehr als je zuvor«, fügte Kira leise an.
»Wieso das? Es geht doch um sein Leben?«, wollte Nerifteri wissen, weil sie Kiras Aussage nicht so recht verstand. Kira blickte daraufhin Elen und Tara hilfesuchend an. Sollte sie das Geheimnis um Cara und Niel wirklich Preis geben?
»Wir sollten es ihnen sagen«, erklärte Elen kurz.
»Was sagen?«, hakte Nerifteri erneut nach.
Danny nickte zustimmend. »Niel wird sich so schnell nicht beruhigen. Er tobt vor Wut. Solange Cara nicht in Sicherheit ist, wird er nicht an sich denken und das könnte ein riesiges Problem für ihn werden.«
»Aber er muss doch an sich denken? Sieht er das nicht?«, fügte Nerifteri verwundert an.
»Das wird er nicht«, antwortete Danny. »Mir ginge es an seiner Stelle genauso, wenn mit Elen etwas wäre.«
Nerifteri blickte ihn ungläubig an. »Dir mit Elen? Aber Niel und Cara sind doch nicht, oder? Habe ich etwas verpasst?«
»Das verstehe ich jetzt auch nicht!«, fügte Varush an.
Tara stupste Kira an, als wollte sie sagen: ›Nun sagt es schon!‹
Aber Danny meldete sich erneut zu Wort: »Cara ist Niels Seelenverwandte.«
»Und wie sieht sie das?«, hakte Nerifteri nach.
»Genauso. Sie haben es, so gut sie konnten, versteckt. Wir sind auch nur durch Zufall über ihr kleines Geheimnis gestolpert«, antwortete Kira.
Nerifteri zuckte mit den Augenbrauen.
»Das macht die Sache um einiges komplizierter«, stellte Daamien besorgt fest. Varush stimmte ihm nickend zu.
»Jetzt aber nochmal zur Verhandlung«, unterbrach Osiris die Runde. »Was passiert jetzt mit uns? Was ist mit Cara? Wo ist Niel?«
Daamien grübelte ein wenig. »Ich nehme an, Cara ist bei Marces. Zumindest wurde sie sofort an ihn übergeben. Niel habe ich bereits besucht und ihn um ein wenig Geduld gebeten. Ich werde die Insel erst verlassen, wenn ich sicher sein kann, dass Tamilia ihn in Ruhe lässt. Was euch angeht, würde ich euch empfehlen umgehend abzureisen. Ihr seid zwar mit dem Ende des Konzils für unschuldig erklärt worden, ich bin mir aber nicht sicher, ob Garushin doch noch ein Exempel an euch statuieren will. Ihr könnt gern mit meiner Familie zurückfliegen.«
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