Nur ist Einsamkeit nichts anderes als ein schwacher Ersatz für Liebe, Zärtlichkeit und Partnerschaft. Kaum mehr wirklich eins zu eins austauschbar. Bei Licht betrachtet nicht ehrlicher, nicht verlogener als Wut und Hass. Wie bringt man diese Naturgewalten in Einklang? Wie lässt man sie harmonisch, wie in einem Orchester, zusammenspielen?
Keine Ahnung. Leider weiß ich es nicht. Sicher ist, sie alle haben ihre Existenzberechtigung. Aber in dem ganzen Gefühlstrubel gibt es schließlich und endlich auch noch mich. Und ich will meinen Frieden haben. Egal wie er aussieht und selbst wenn das bedeutet, dass ich meine ganz große Chance verpasst habe. Schweigt, ihr lieben, bösen Emotionen. Haltet die Klappe!
Ich würde euch gerne gegen neue Gefährten eintauschen. Es wird Zeit, die Räuberhöhle nach dem Winterschlaf zu durchlüften und für frischen Wind zu sorgen. Ich bin sowieso allzeit für jede Art von Veränderung bereit. Etwas Neues braucht der Mensch. Das Jahr 1995, alt und grau geworden, verging so sang und klanglos, wie es kam. Ich musste mich neu orientieren und meine Wahl fiel auf die Höhere Berufsfachschule für Wirtschaft und Verwaltung in Bad Neuenahr. Ein kleines Stück den Rhein hinunter und dann das schöne Ahrtal hinauf. Bei allen Schulen, die ich besucht habe, schwang ich wie ein Pendel, rheinauf, rheinab um meinen Heimatort, den Platz wo ich hingehöre. Warum nicht da weitermachen, wo man aufgehört hat? Schule anstatt Ausbildung in Ermangelung einer Idee, welcher Beruf mir gefallen könnte. Ersatz eben.
Warum sucht man nach Ersatz? Das fragst du dich jetzt sicherlich. Vielleicht hast du auch schon mal nach einer anderen Möglichkeit gesucht. Anstatt Kaffee trinkt man Tee, gibt’s keinen Rotwein, dann vielleicht einen weißen. Ersatz kann die Abwechslung und die Würze sein, die man sucht, um neuen Schwung in den Alltag zu bringen. Oder aber die Suche nach Ersatz ist der Versuch, eine große Leere, einen schwerwiegenden Verlust auszugleichen, damit die Waage wieder im Gleichgewicht ist. Obwohl die Wut großes Gewicht unter den Emotionen hat, den Verlust der großen Liebe, die einem nur einmal im Leben begegnet, kann sie nicht ersetzen. Stabilität und Ausgewogenheit sind mit die wichtigsten Faktoren im Leben. Ohne schwarz kein weiß, ohne Tag keine Nacht. Jedes Element hat seinen Gegenpol. Es müssen beide spürbar vorhanden sein, um Sicherheit gewährleisten zu können.
Was hast du bei denen gesucht, die dich nicht verehrten, wie es dir gebührte? Womit hast du dich abspeisen lassen? Tee anstatt Kaffee? Du hast doch so oft gemerkt, dass etwas fehlte. Ich weiß ja leider woran das liegt. Mir ist klar, du willst das nicht hören. Ich selbst hab ja schon kaum ein Selbstbewusstsein. Warum siehst du dich selbst ausschließlich durch rußgeschwärztes Glas? Du bist doch… (Du weißt schon, was ich sagen will.)
Ich habe die Idee im Hinterkopf, bei jeder Frau, die mir gut gefällt: Was ist, wenn sie doch nur wieder Ersatz ist?
Eigentlich bräuchte ich gar nicht mehr zu suchen. Noch öfter als bisher, muss ich gar nicht feststellen, wie uninteressant ich als Partner bin. Für lange, tiefschürfende Gespräche über Gott und die Welt durchaus verwendbar. Zu mehr jedoch wohl kaum. In diesem Universum scheine ich lauter Pech mit den Frauen zu haben. Ein Hoch auf alle Paralleluniversen, die es gibt. Die können es nur besser antreffen. Ein bisschen ironisch ist, dass wir vom Schicksal auf die gleiche Art geschlagen worden sind, bei dem was wir lieben. Ist das nicht verrückt? Optimistischer Schwarzseher, der ich bin, vermute ich, es gibt hinter all den verzerrenden Spiegeln, die uns die Sicht geradeaus versperren, einen Weg, auf dem wir beide wieder zusammenfinden. Leider ist er mir in den dreizehn Jahren, die ich dich jetzt kenne, noch nicht begegnet. Ich suche ja auch ganz alleine danach. Ersatz. Die einzige Möglichkeit, einen Funken vom Glück zu erhaschen. Ein winziger Schimmer, halb verdüsterter Hoffnung, kaum der Rede wert. Der kleinste Stern des Universums. Der Rest, der bleibt, wenn man das große Glück schon verspielt hat.
Für mich persönlich habe ich festgestellt, Ersatz ist nicht das Richtige für mich. Ersatz füllt nichts aus. Ich mag keinen Tee. Habe letztens eine Kanne Erdbeertee getrunken, weil nichts anderes mehr da war. Vor allem kein Cappuccino. Ein relativ billiger Tausch, natürlich. Aber für mich muss es schon Kaffee sein. Das heißt nicht, dass der Tee nicht geschmeckt hat. Im Gegenteil, er war sogar recht gut. Ich weiß nur leider, oder Gott sei Dank, je nach Standpunkt, viel zu genau, was ich will. Ich will in die Tiefe bohren, wo andere nur an der Oberfläche kratzen. Mag ja sein, dass deren Fingernägel brechen. Ich will die klare Wahrheit, wo geflunkert wird. Ich will Ozeane anstatt Rinnsalen. Will mich und die Welt bewegen. Mit dem richtigen Löffel kann ein Mann allein ganze Ozeane umrühren. Ich will das Mark des Lebens und die Hintergründe in ausgiebigen Diskussionen erforschen. Ich mag Schweigen, das niemand als schmerzhaft empfindet. Mag laut streiten und brüllen, wenn es sein muss. Ich will die Freiheit zu träumen. Ich alter Geist will die Jugend in meinen Knochen endlich wieder spüren. Ich bin viel zu lange scheintot gewesen. Ich suche eine Prinzessin, die weiß, dass sie eine ist. Denn nur eine echte Prinzessin kann mich wach küssen. Du solltest es wissen, aber du leugnest es zu beharrlich. Deshalb muss ich gehen, darf mich nicht mehr bei dir melden. Die Gefahr eines Rückfalls ist viel zu groß. Angesichts der Unendlichkeit des Universums kann ich mich nicht mit Weniger zufrieden geben. Ich kann keine halben Sachen in Punkto Liebe mehr sehen. Ich lebe lieber ungewöhnlich. Für mich muss es schon Cappuccino sein.
Nachtrag:
Im September 1990 (lange bevor ich die Suche nach Ersatz antrat) lief eine faszinierende neue Fernsehserie bei uns an, und ich begab mich auf die USS Enterprise, NCC 1701D. Eine andere Variante. Dieses Raumschiff bot mir eine weitere Möglichkeit, vor dir, der Liebe und dem ganzen Rest zu fliehen. Mit dem Interesse an der Serie wuchs das Interesse an den Hintergründen und aus der anfänglichen Flucht wurde weit mehr. Die Philosophie der Serie entsprach stark meiner eigenen Herangehensweise an neue Situationen und Menschen. Neugier und Vorsicht, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ganz nach dem Motto: „Was auch immer es sein mag, ob positiv oder negativ, von meinem Gegenüber kann ich nur lernen.“ Ich habe mir meine eigene Hauptdirektive aus dem, was ich wusste und dem was ich lernte, zusammengemischt. Es gibt uns Menschen in unendlicher Vielfalt und unendlichen Variationen. Schon charakterlich könnte jeder einzelne eine „Spezies“ sein. Da wir aber alle auf diesem Planeten leben, müssen wir lernen, diese Welt zu schützen und gut miteinander auszukommen. Diese Serie spricht mir aus dem Herzen. Daher ist Captain JeanLuc Picard, obwohl er eine erfundene Figur ist, gleich nach meinem Vater, mein größtes Vorbild. Nichts ist wichtiger als Menschlichkeit, und man muss sie täglich neu lernen. Was kann einer alleine schon großartiges tun? Ein Computerprogramm entwickeln, Songs schreiben, nach Erdöl bohren, auf einem Geldberg sitzen. Phantastisch! Zum Mars fliegen und künftigen Generationen eine lebenswerte Erde erhalten, das können wir nur gemeinsam, als Menschheit. Ja, ich glühe sogar noch heute vor Begeisterung, wenn ich den Begriff „Star Trek“ höre. Aber auch das musst du wissen, wenn du meine Sicht unserer Geschichte kennen lernen möchtest. Du musst wissen, wie ich ticke und funktioniere. Ich bin eine Supernova der Emotionalität. Ohne Gefühle kein Leben. Das ist halt leider so. Empfindungen, die einem bis auf die Knochen gehen, machen uns erst zu richtigen Menschen. Es fällt mir schwer, diese zuzulassen, vor allem wenn sie abgewiesen werden. Aber ich bin zäh. Und du bist die schönste Frau, die mir jemals begegnet ist. Du bist in meinen Gedanken. Meine Gedanken sind sehr wichtig, denn ich habe gelernt, zu schweigen. Ich habe es gelernt, weil meine Liebe für dich nicht von Bedeutung war. Da ich nicht viel zu sagen habe, schreibe ich umso mehr, denn meine Gedanken sind ständig in Bewegung. Sie kreisen ungefragt, ohne meine Erlaubnis, um das was wäre, wenn ich dich mal wieder anrufen würde. Sie kreisen um dies und das. Alles was sie nicht zu interessieren hat, hält sie in ständiger Rotation.
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