Bald darauf sollte ich erfahren, wie sich glühende Eifersucht anfühlt. Stärker noch als bei den ersten bösen, für dich tödlich endenden Seiten, die ich im fünften Schuljahr über dich schrieb. Die Gelegenheit dazu bot sich dir bei der Party an deinem vierzehnten Geburtstag. Unsere erste Party.
Du hattest einen Freund. Euch verliebt knutschend im Zentrum der Tanzfläche zu sehen, schoss die erste glühende Nadel ab, die sich durch den Mittelpunkt meines Lebens bohrte. In unseren Telefongesprächen war dieser Kerl zwar schon des Öfteren schwärmerisch von dir erwähnt worden, hier jedoch endete alles Träumen und Verdrängen für mein phantasiebegabtes Gehirn. Das war erst der Anfang der Realität. Den zweiten Nadelstich, vom Gefühl her genau so köstlich wie der erste, versetzte mir, zu sehen, mit welcher raffinierten Weiblichkeit, die jetzt ihm galt und auf die ich so lange vergeblich gelauert hatte, du es vermochtest, die anderen Mädels, die sich um den langhaarigen Schönling scharten, zu vertreiben. Mit einer simplen und unmissverständlichen Geste. Du setztest dich auf seinen Schoß. Was glaubst du, sah ich in diesem Moment vor meinem geistigen Auge?
Stich Nummer drei und vier, die mit der Geschwindigkeit von Maschinengewehrprojektilen aufeinander folgten, war die Erkenntnis, dass du zu einer jungen Frau herangereift warst, während ich ein kleiner träumender Junge blieb. Viertens, hatte ich dich verloren. Chance vertan, verpasst, aus und vorbei. Das Mädchen im Gedächtnispalast, immer noch zehn Jahre alt, erstarrte. Die edlen, hohen Fensterscheiben im Palast zerbrachen. Die Musik, die laute, dröhnende Musik, zu der das Mädchen eben noch eng umschlungen mit diesem Fremdkörper tanzte, erstarb jäh. Genau wie meine Hoffnung, die dem Wissen um eine grausame Tatsache wich: Ich bin ein Clown. Ich bin niemals wirklich jung gewesen. Statt meinen Weg zu gehen, habe ich mit Clownereien versucht, dazuzugehören und bin doch in die wortlose Stille abgedriftet. Habe meine Gefühle verborgen und versteckt, weil die Allgemeinheit unserer Klasse Liebe für etwas lächerliches hielt. Habe versucht Leichtigkeit zu spielen, anstatt sie im entscheidenden Moment zu leben. Spielte mit und kam doch nie an die Leistung des Oberclowns unserer Klasse heran. Aber die Chance zur Leichtigkeit liegt jetzt, da mich auf deiner Party die Realität auffrisst schon sechs Monate zurück. Eigentlich war es meine Wut, durch die ich alles verspielt habe. Ich sehe diesen Alptraum wieder vor mir:
Der Kunstunterricht zwang mich, der ich sowieso kaum Luft durch die Nase bekomme, für fünfundvierzig Minuten unter eine Gipsmaske. Diese war ich grade erst wieder losgeworden, schwer schnaufend, wie ein Walross, fast am Ersticken, als eben jene Verräter, allen voran ausgerechnet du, die mich verlassen hatte, ihre alten Klassenkameraden besuchen kamen. Deine Frisur war neu, deine Haare entsetzlich kurz und eigentlich hattet ihr vier, vor allem aber du, in dieser Klasse nichts mehr verloren. So etwas in der Art muss ich gesagt haben. Ich wollte dich kränken und beleidigen, denn du hattest mich verlassen. Als ich mit dir fertig war und der fröhliche Glanz aus deinen Augen verschwunden, ging ich vor die Tür.
Es dauerte keine Minute und Matthias folgte mir. Er zuckte hilflos die Schultern und sagte nur zwei Sätze, die ich niemals vergessen werde:
„Gerade eben hättest du sie für dich gewinnen können. Du hättest bloß etwas Nettes über ihre Frisur zu sagen brauchen.“
Dann ließ er mich, verdattert, verdutzt, mit dem schalen Gefühl kalter, verrauchter, sinnloser Wut im Bauch, im Flur zurück und ging wieder in die Klasse. Wie ich an jenem Tag in meinen Bus nach Hause gekommen bin, weiß ich nicht mehr.
Jetzt stehe ich hier, auf deiner Party und wundere mich darüber, deine Hand auf meinem Arm zu spüren. Deine Stimme fragt mich, ob alles in Ordnung sei, obwohl ich dich gerade eben erst eingefroren habe. Merkwürdig, sie zu hören.
Die Alptraumblase zerplatzt. Die scheußliche Realität, mit der grässlichen Stille, nach dem widerwärtigen musikalischen Lärm und der Ausgeburt der Hölle an deiner Hand, hat mich wieder.
„Ja klar“, sage ich und versuche ein Grinsen. Dieser Knilch, dein Freund konnte ja nichts dafür. Du hattest mich verraten. Mich, immer noch unwissend, dass ich deine Liebe nicht gesehen habe. Diese Party musste gesprengt werden. Schon allein wegen deinem freudestrahlenden, wunderschönen Gesicht. Als ihr euch wieder auf der Tanzfläche befandet, sagte ich Matthias, ich würde nach Hause gehen. Vereinbart war, dass mein Vater mich um Mitternacht abholen käme. Ich wusste, es würde eine Suchaktion auslösen, wenn ich mich jetzt schon aus dem Staub machte. Aber ich fühlte mich zu verletzt, zu wütend, zu eifersüchtig, um noch länger im selben Haus mit dir und ihm zu bleiben. In deinem Heimatort kannte ich mich gut genug aus, um vor den Suchtrupps ein paar Haken zu schlagen. Schließlich trafen wir uns in unserer Freizeit oft. Letzten Endes erwischten sie mich doch und ich durfte den Rest des Abends auf deiner Party verbringen. Partys und Discostimmung liebe ich noch heute. Als ich in dieser Nacht endlich wieder daheim ankam, verfluchte ich ein Mädchen, (Silke) das nichts für meine Blindheit konnte und verfluchte mich selbst und dich, weil du einen anderen mir vorzogst. Ich durfte dich nicht lieben und so lernte ich eine neue, gefährliche Art, Emotion Nummer eins, die Liebe, zu bekämpfen. Ich entdeckte den Hass, der Hass entdeckte mich. Er schmeichelte mir, er flüsterte mir alles, was ich schon seit dem fünften Schuljahr hören wollte ins Ohr. Er sagte, du müsstest sterben, damit ich meine Freiheit wiedererlangen konnte, und ich schrieb seitenweise auf, was er mir sagte.
Wir trafen uns einige wenige Male nach deinem Schulwechsel. Meine Liebe und unsere Freundschaft waren stärker als der Hass, wenn ich nur in deiner Nähe sein durfte. Ich habe dir für deinen Geschmack viel zu oft gesagt, dass ich dich liebe. Und dann endete auch für mich die Zeit in der Hauptschule, die mir meine Vorliebe für Mathematik eingebrockt hatte.
Den ersten Zweijahres-Bruch in unserer freundschaftlichen Liebesbeziehung besiegelte dann unsere Abschlussfeier, bei der auch ihr vier Ehemaligen und natürlich dein Freund, dessen Name ich vergessen habe, mit dabei ward. Über euch zwei, als inniglich verliebtes Paar, freute ich mich verständlicherweise so stark, das ich erst Mal tüchtig einen gesoffen habe. Als mein Verstand leicht und meine Zunge schwer geworden war, muss mir etwas passiert sein, an das ich allerdings heutzutage nur glaube, mich zu erinnern. Ich glaube, ich habe deinen Freund angefleht, das er mir dich für eine einzige Liebesnacht, nur um dich zu entjungfern, überlässt. Schließlich hatte ich die älteren Rechte. Kannte dich ja länger. Wohl noch nie den Film „Die Normannen kommen“ gesehen? Ich hingegen träumte von meinem Pretty Baby am Strand einer blauen Lagune…
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