Dummerweise bin ich unterdessen außerordentlich vorsichtig, zurückhaltend und schüchtern geworden. Kein Wunder, wenn man genügend Pickel im Gesicht hat, um unverkleidet als Pizza zum Karneval zu gehen. Deshalb verschwendete ich die meiste Energie, die für solche Angriffe bereit stand an die sorgfältige Observierung und das Ausloten möglicher Chancen und Risiken. Zum Angriff übrig blieben Platzpatronen und Knallfrösche. Damit ist eindeutig klar, dass die Risiken, wieder einmal bester Kumpel sein zu dürfen, jedes mal eindeutig überwogen. Ich begab mich also immer nur ganz dezent auf Annäherungskurs. Ein galaktisches „ SwingbyManöver“ in Zeitlupe. Für galaktische Manöver hat auf diesem emsig rotierenden Brummkreisel niemand Zeit. Außerdem wird man auf diese Weise sowieso für den zahmen BesterKumpelTrottel gehalten. Von Romantik haben Frauen halt keine Ahnung. Und Männer noch weniger. Deshalb ist sie vom Aussterben bedroht. Da ich mir bei Anja trotzdem noch ernsthafte Hoffnungen machte, genoss ich es besonders, mit ihr im Unterricht Briefchen zu schreiben, ihr meine Aufmerksamkeit zu widmen oder mich mit ihr zu treffen. Die gleiche Situation wie sonst auch: Mit mir kann man sich über alles Mögliche unterhalten, sogar über sexuelle Vorlieben, auch wenn ich für die Praxis nicht in Frage komme. Macht ja nichts, ich habe ja Zeit, viel mehr Zeit als ihr ahnt. Sofern ihr mich lasst, kann ich gerne charmant und witzig, geistreich und unterhaltsam sein, oh ja, ihr müsst mich nur aus der Reserve locken. Von mir aus kriegt mich keiner aus meinem Schneckenhaus. Da brauche ich das Signal echten Interesses. Ehrlich, wie ich bin, habe ich ihr wohl irgendwann etwas von meiner großen Liebe erzählt. Seit dem hielt sie mich erst recht für harmlos und ungefährlich. Na schön, soll sie doch. Ist ja nicht das erste Mal. Früher oder später wird sie schon merken, was sie an mir hat. Man muss lernen, auf so vielen Hochzeiten wie möglich zu tanzen.
Oder auch auf Geburtstagspartys, wie zum Beispiel Katharinas. Die wiederum ist Anjas beste Freundin, sitzt in derselben Bank und auch mit ihr verstehe ich mich gut. Eigentlich kann ich gar nicht tanzen. Ich hasse es zu tanzen, meine Musikalität hört direkt unter meinem Kinn auf. Sich unter die anderen Gäste mischen und am Rand ein kleines bisschen auffallen, geht grade so. Aber mein Gefühl dafür, einen Rhythmus in Einklang mit Bewegungen zu bringen, endet beim ersten Halswirbel. Obwohl ich sonst musikalisch bin. Vielleicht finde ich Partys ja doch irgendwann ganz nett. Abgesehen davon, dass ich laute Musik nicht ausstehen kann. Einer richtigen Clique von Freunden anzugehören, macht Geburtstagspartys regelrecht erträglich. Man schaut an den Leuten, die man gar nicht sehen möchte am Besten einfach vorbei. Schwierig ist es bloß dann, wenn die immer an dem Mädel herumhängen, das einen selbst am meisten interessiert. Nervt ungemein! Erstaunlich allerdings, auf welche Typen die Weiber hereinfallen. Anscheinend ist diese Tatsache absolut unveränderlich. Deprimierend, wirklich. Es ist nicht schön. Erst recht nicht, wenn es sich um die Partys meiner besten Freundinnen handelt. Trifft man sich privat und keine Nervensäge von Freund ist dabei, kann man sich wenigstens voll und ganz dem Illusionismus hingeben und sich ausmalen, was passieren könnte. Man kann den ganzen Nachmittag und Abend von vornherein planen, Drehbücher über heiß erwünschte Ereignisse schreiben und dadurch für wesentlich mehr Sicherheit sorgen. Hier ist doch bloß Chaos. Zwar kenne ich mich mit Chaos aus. Das meiner Gedankenwelt bekomme ich schließlich auch geordnet, nur ist es in diesem Chaos schwierig als einzelnes Elementarteilchen aufzufallen. Besonders, wenn man nicht weiß, ob man auffallen will oder nicht.
Ich hasse es, zu tanzen. Trotzdem habe ich mich von jemandem auf die Tanzfläche zerren lassen. Wie windet man sich da am Besten wieder heraus? Ist man so geschickt wie ich: Gar nicht. Man macht sich lächerlich. Man beschließt, nie wieder auf eine Party zu gehen, obwohl man genau weiß, am nächsten Samstag steht die nächste Party an. Natürlich geht man hin. Und so wie die Partys dahingehen, gehen die Jahre, die Jugend, das Leben. Die Zeit verrinnt, tagtäglich müsste man sich sagen: „Carpe diem“, nutze den Tag, mach etwas Besonderes aus deinem Leben, bevor deine Stunde schlägt, bevor du eins wirst mit dem Sand der Ewigkeit. Die Zeit mit dir, Stephanie, war immer etwas Besonderes. Sie war carpe diem. Erfüllter hätte ich kaum leben können. In meiner Galaxis warst du der hellste Stern und je seltener ich die Gelegenheit bekam, dich zu treffen, desto heller strahltest du in meinen Gedanken, desto leuchtender empfand ich deine Schönheit.
Unsere Treffen waren wunderbar perfekt, solange ich mich an die unausgesprochene Regel „Sag mir nicht, dass du mich liebst und nicht dass ich deine Traumfrau bin“ hielt. Jede Verabredung plante ich im Voraus, schrieb regelrechte Drehbücher, entwarf Szenerien, wie ich dich sanft auf meine Seite zerren konnte. Der Versuch, sie umzusetzen scheiterte jedes Mal kläglich daran, dass du dich nicht von mir beeinflussen ließest, meine rhetorischen Raffinessen abschmettertest, nicht in meine Fallen tapptest, Anspielungen ignoriertest und meine zaghaften Versuche, zärtlich zu dir zu sein, nicht bemerktest. Zugegeben, ich verhielt mich übervorsichtig. Ein Panther im Balanceakt zwischen heißem Blechdach und zu dünnem Eis. Ich hatte allen Grund dazu. Mir war bestens bekannt, was passierte, wenn ich mich zu weit aus dem Fenster lehnte. Ich wurde augenblicklich des Verrats an unserer Freundschaft angeklagt, für schuldig befunden und hingerichtet in einem Atemzug, weil du es partout nicht wahrhaben wolltest, dass ich niemals aufgehört habe, dich zu lieben. Natürlich habe ich es oft versucht, zu leugnen, mir auszureden, abzutöten, dich zu hassen. Wenn du es von mir wissen wolltest, habe ich natürlich geschworen, dass sich die Erde nicht um die Sonne dreht, um deine Nähe genießen zu dürfen und selbst daraus musstest du mir einen Strick drehen. In manchen Punkten wäre es gut gewesen, hättest du dein Schneckenhaus nicht verlassen. Ich weiß nicht, ob du dich außer um „Nein“ zu mir zu sagen, überhaupt vor seine Tür gewagt hast, denn mein Predigen nützte ja nichts. Gepredigt habe ich. Mit glühendem Herzen und Engelszungen habe ich an dein Selbstbewusstsein appelliert. Wer auch immer es dir ausgeredet hat, das Selbstbewusstsein, er oder sie hat ganze Arbeit geleistet. Warum konntest du nicht dieses Zugeständnis machen und einsehen, dass du meine Traumfrau bist? So schwer kann das doch nicht sein. Nur ein kleines bisschen Mut hättest du dafür aufbringen müssen. In anderen Dingen, beruflich zum Beispiel, warst du doch willensstark, selbstbewusst und zielstrebig.
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