Peer hatte sich vor lauter Vorfreude nicht um die Reservierung eines Restaurants gekümmert, was ihn zum Improvisieren zwang. Also rief er einfach ein Taxi. Normalerweise vergaß er solche Planungsangelegenheiten nicht, aber der andauernde Zustand der Nervosität war ihm, gerade nüchtern, ein Hindernis.
„Lass dich überraschen“, kündigte er an und trippelte die Stufen vor dem Hauseingang auf und ab.
„Aha“, antwortete Brokat unbeeindruckt und durchschaute ihn schnell. Dennoch ließ sie ihn gewähren und beschloss, den Abend auf sich zukommen zu lassen. Irgendetwas würde sie schon mit dem Mann essen können.
„Schönes Fräulein“, mischte sich der Mongole ein, der vor dem Eingang seines leeren Bistros Wache schob.
„Guten Abend“, wünschte das ungleiche Paar gleichzeitig. Beide lächelten ein wenig und hatten ihre eigenen abwertenden Gedanken für den Wachhund übrig.
„Wohin?“, fragte dieser dann und bellte doch nicht. Er wollte sich mit der schönen Frau unterhalten. Den Herrn kannte er ja schon.
„Essen“, sagte Brokat. „Wir wollen essen gehen.“
Der Mongole machte ein beleidigtes Gesicht und fluchte irgendetwas Unverständliches. Brokat stupste Peer an die Schulter. „Unsympathischer Typ, oder?“, flüsterte sie. Peer nickte.
„Warst du da mal essen?“, fragte sie und zeigte auf das Bistro, das da schräg unter ihnen die Pforten geöffnet hatte. Ein wenig roch es nach kräftiger Sülze und Bratfett. Aus dem Lokal strömte unbelebte Kantinenatmosphäre.
„Ne“, sagte Peer leise und schaute auf die Straße. Er wollte unbedingt ins Taxi. Er war auch schon lange nicht mehr mit dem Taxi gefahren. Es war ihm immer überflüssig teuer vorgekommen und die Busanbindungen hier waren in Ordnung.
„Warum nicht?“, wollte Brokat wissen.
„Weiß ich nicht.“ Peer zuckte mit den Schultern und war in Gedanken bei dem vergessenen Restaurant.
Dann kam endlich das Taxi und der Mongole verschwand demonstrativ in seinem leeren Bistro.
Peer und Brokat nahmen Platz im Wagen. Dabei setzten sie sich beide nach hinten und hatten genügend Abstand voneinander um wie Geschäftspartner zu wirken.
„Zum besten Restaurant der Stadt!“, platzte es aus Peer heraus. Er hatte diesen Bluff gerade eben improvisiert und schickte Stoßgebete gen Himmel und Hölle.
„Jawohl, Sir!“, antwortete der Fahrer zur Überraschung seiner Fahrgäste. Schon seine Erscheinung war auffällig gewesen, denn er trug einen perfekt geschnittenen Vollbart und hatte eine erloschene Pfeife im Mund.
„War das geplant?“, fragte Brokat beeindruckt.
„Wer weiß?“, sagte Peer nur und war ganz überrascht von sich selbst.
Drei Kilometer später hielt der Wagen vor dem größten Hotel der Stadt, dem Welttor . Der Name war angesichts der Lage des Hotels natürlich ein wenig irreführend; es stand nun wirklich nicht in einer international frequentierten Stadt. Allerdings war es für die Bewohner des Städtchens ein besonderes Gebäude: Von den schmucklosen Bauten der Siebziger, die außerhalb der Wohngebiete verbreitet waren, hob es sich mit seiner weißen Fassade und dem mit Säulen gestützten Vordach ab. Es war ein ansehnliches Hotel, das offenbar auch ein Restaurant für alle anbot.
„Die Dame? Der Herr? Wir wären dann da. Soll ich auf Sie warten?“, fragte der Fahrer todernst und kaute dabei auf dem Mundstück seiner Pfeife herum. Trotz dessen er leicht nach Rauch roch und einen recht unzeitgemäßen Bart trug, wirkte er penibel und reinlich in seinen Bewegungen.
„Sie scherzen doch. Das ist hier ist ein Taxi“, antwortete Peer, der mindestens genauso irritiert war wie seine „reizende“ (der Fahrer nannte sie exakt ein einziges Mal während der Fahrt so) Begleitung.
„Wenn Sie mich später für die Zeit auszahlen, passt das schon. Genieße dann die Pfeife, wenn es nichts ausmacht“, antwortete der Fahrer einladend. Er schien sich auf genau diese Situation vorbereitet zu haben.
„Wie kommen Sie darauf, dass ich das tun würde?“, fragte Peer und verriet damit, dass es nicht Teil seines Plans war, diesen Fahrer für den Abend zu buchen.
„Sehen so aus, als ob Sie ihr was bieten wollen, Sir“, sagte der Fahrer und lächelte mit seinen Augen in den Rückspiegel.
„Da haben Sie recht.“ Peer war geschlagen.
Der Fahrer stieg aus und öffnete erst Brokat die Tür und dann Peer. Zum Abschied strich er sich über den Bart. Dann lehnte er sich an sein Taxi und sagte zu, so lange zu warten, wie es halt dauern würde.
Brokat und Peer betraten das Hotel durch den Haupteingang.
„Sie wünschen?“, fragte die energische Frau an der Rezeption und schaute kurz von ihrem Computer auf. Dabei lächelte sie gezwungen. Sie hatte keine Grübchen.
Die Rezeption trennte den Zimmertrakt des Hotels von den Angebotsstätten und da man das Restaurant wohl nur über diesen Weg erreichen konnte, fanden sich Brokat und Peer hier wieder.
„Ihr Restaurant. Das soll sehr gut sein“, erwiderte Brokat ohne gespielte Freundlichkeit.
„Rechts, Gang runter und dann eine Stufe. Einen angenehmen Aufenthalt wünsche ich Ihnen.“ Und damit widmete die Rezeptionistin sich wieder ihren Daten und hämmerte auf ihrer Tastatur herum.
Im Restaurant stellten die beiden fest, dass das Essen hier sowohl teuer als auch kalorienarm war. Dafür servierte man auf riesigen Tellern, was beiden missfiel. Doch immerhin bestand die Möglichkeit, mehrere Gänge zu ordern.
Peer gefiel das Brot mit Öl und Meersalz am besten, aber für das musste er nicht einmal bezahlen, denn es kam als kostenlose Beilage daher.
Ein paar Gänge sehr gutes Essen später – man hatte sich mittlerweile auch über die Gepflogenheiten an Arbeitsstellen ausgetauscht – schnitt Peer bei einem guten Wein das Thema an, deswegen er mit Brokat hier war.
„Brokat“, sagte er ernst und roch noch einmal an seinem Wein. Er war viel besser als der TC. „Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.“
„Der da wäre?“, fragte sie, die Nase ebenfalls im Wein vertieft.
„Erstens muss ich fragen: Glaubst du, dass man einfach unverschämtes Glück haben kann? Finanziell, meine ich. Also konkret: ich. Was glaubst du?“
„Wenn nicht einige Menschen mehr Geld als andere hätten, wäre ich arbeitslos. Oder was meinst du?“
Peer sortierte kurz seine Gedanken und wurde sich dann einig, wie er vorgehen wollte. „Ich habe geerbt“, sagte er dann. „Ein paar Millionen sogar. Und das Problem ist dieses: Ich weiß nicht, was man damit macht. Ich habe eine Uhr, neue Kleidung und sitze in einem viel zu teuren Restaurant. Und jetzt habe ich keine Idee, wie es weitergeht. Du aber bestimmt. Du hast doch bestimmt auch steinreiche Klienten. Ich meine: du bist ja Extraklasse .“
„Wie viele Millionen denn?“, wollte Brokat nur wissen und ignorierte Peers Kompliment. Geld machte ihn aber irgendwie interessanter. Zumindest bliebt ihr nichts anderes übrig, als anzunehmen, dass es das Geld war. Schließlich war an dem Mann ja sonst nichts, was sie begehren wollte.
„Zwölf. So ungefähr.“ Peer schaute Brokat in die Augen. Über die unnatürliche Kombination dieser grauen Augen mit dem ansonsten eher wenig blassen Körper dachte er nicht nach. Ihm gefiel sie, wie sie da so mit all ihren kosmetischen Veränderungen vor ihm saß.
„Also“, setzte er dann wieder an, weil Brokat nichts sagte, „was macht man damit?“
Brokat schnalzte mit der Zunge und trank einen Schluck Wein. „Du hast doch noch mehr als dein halbes Leben lang Zeit, um das Geld auszugeben“, antwortete sie bestimmt.
„Hm“, machte Peer nur und orderte noch ein Glas Wein.
„Du könntest dir ein schönes Haus kaufen“, schlug Brokat vor.
„Darüber habe ich nachgedacht“, antwortete Peer. „Aber ich will nicht allein in einem großen Haus leben. Das wollte ich dich fragen... Würdest du mit mir in einer Villa leben wollen? Hier in der Stadt, im guten Viertel am Kanal. Ich habe überlegt, dorthin zu ziehen und es wurde mir auch schon von jemandem vorgeschlagen. Aber allein will ich das nicht und ich habe niemanden, mit dem ich das teilen könnte. Da dachte ich an dich.“
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