Sie wollte es zwar nicht unbedingt noch ausgesprochen haben, aber es beruhigte sie tatsächlich ungemein, dass er es von sich aus erwähnte.
„Danke, das ist nett von dir. Was machst du in Boston? Bist du geschäftlich dort oder fliegst du weiter?“
„Ich besuche meinen Bruder in Boston. Wenn du möchtest kann ich dir auch die Stadt und die Sehenswürdigkeiten zeigen. Ich bin in Boston aufgewachsen und kenne mich daher gut aus, würde ich meinen.“
„Danke für das Angebot, aber ich denke das hat meine Cousine auch schon vor“ versetzte sie ihm einen erneuten Korb.
Mit oberflächlichem, vorsichtigem Geplänkel, um ihre Skepsis zu entschärfen, hielt Mike das Gespräch weiter in Gang. Im Nu verflog die Zeit und das Flugzeug setzte zum Landeflug an, was Mike durch ihre plötzliche Verkrampfung bemerkte. Instinktiv nahm er ihre Hand und redete einfühlend zu ihr.
„Es ist kein Problem. Ich habe schon die meiste Zeit meines Lebens in Flugzeugen verbracht. Es läuft gerade alles normal ab.“
„Es lässt sich leichter reden, als es für mich gerade ist“, flüsterte sie. Er spürte das Zittern unter seiner Hand und drückte sanft fester zu.
„Du hast es in wenigen Augenblicken geschafft. Wir setzen gleich auf. Dann ist es schon vorbei“, erklärte er ihr beruhigend.
Isabella konnte nicht sagen warum, aber es half ihr, dass er da war. Sie war froh darum und merkte sichtlich, wie sich ihr verkrampfter Körper langsam löste und der Entspannung etwas Näher kam. Das Flugzeug setzte endlich auf und auch das starke Abbremsen, machte ihr nichts mehr aus. Es war überstanden und sie hörte, wie alle umliegenden Passagiere dem Piloten mit ihrem Beifall die Dankbarkeit der sicheren Landung zollten. Auch Isabella war dankbar, doch war sie gerade nicht in der Lage, ihre verkrampften Hände zum klatschen zu bewegen. Ha
Mike dagegen stand auf und holte seinen kleinen Trolley aus dem Gepäckfach und übergab auch Isabella ihre Tasche. Zusammen verließen sie das Flugzeug und gingen zur Gepäckausgabe.
„Willst du deine Cousine sicherheitshalber anrufen? Du kannst mein Handy haben?“, fragte Mike sie. Er fragte sie nicht nur aus reiner Hilfsbereitschaft. Es war mehr durchdachte Raffinesse. Wenn Isabella gleich von ihrer Cousine abgeholt wurde, würde er sie nie wieder sehen. Wenn sie aber versuchte ihre Cousine anzurufen, hatte er zumindest eine Telefonnummer, der er nachgehen konnte. So hatte er zumindest einen Anhaltspunkt für ein Wiedersehen.
„Danke, das ist nett von dir. Aber ich muss erst auf meinen Koffer warten. Ich habe am Koffer einen Zettel mit ihrer Telefonnummer angebracht.“
Sie standen wartend vor der Gepäckausgabe und die Bänder begannen sich gerade in Bewegung zu setzen. Die ersten Koffer wurden vom Gepäckband gezogen und Koffer für Koffer fanden ihren Besitzer wieder. Mike entdeckte seinen und zog ihm vom Band und überlegte, ob er nun gehen oder doch lieber bleiben sollte. Wenn er ging, würde er sie nie wiedersehen, so viel war ihm klar. Doch das gleiche konnte ihm auch passieren, wenn er blieb. Was sollte er also tun? Was würde sie wollen? Kurzerhand entschied er sich zu bleiben und auf eine Gelegenheit zu warten, die ihm mehr über sie und ihren Aufenthaltsort in Boston verriet. Er stellte seinen Koffer neben ihr ab und wartete weiter, bis auch sie ihren Koffer hatte.
„Mit wie vielen Koffern reist du denn?“, fragte sie ihn, nachdem er immer noch neben ihr stand.
„Nur mit den beiden hier.“
Mike zeigte auf seine zwei Stücke und verstand sofort was sie mit ihrer Frage bezwecken wollte.
„Hast du schon vergessen, dass ich dir helfen wollte? Ich habe Zeit und will nur sichergehen, dass deine Cousine dich auch wirklich abholt. Stört dich das?“
„Nein, aber erwartet dich dein Bruder nicht? Ich will dir wirklich keine Umstände machen. Ich bin dir schon dankbar für deine Ablenkung im Flugzeug.“
„Gern geschehen. Mach dir mal um meinen Bruder keine Gedanken, der ist schon alt genug und kann auch auf sich alleine aufpassen. Eher mache ich mir Sorgen um dich, wenn deine Cousine wirklich nicht kommen sollte. Es ist gleich 21 Uhr und die sicherste Gegend ist es hier nachts wirklich nicht.“
„Willst du mir Angst einjagen?“
„Nein, sicher nicht. Aber ich will auch nicht, dass du die Gefahren unterschätzt. Du kennst dich hier nicht aus und bist alleine unterwegs. Geradezu das perfekte Opfer.“
„Das könnte man genauso gut jetzt auch auf dich beziehen, findest du nicht?“ konfrontierte sie ihn.
Er lachte. Sie war direkt, intelligent und ließ sich nicht einschüchtern. Sie war so ziemlich alles, was er bisher nie an einer Frau zu schätzen wusste. Dennoch machte es ihm Spaß sie herauszufordern.
„1:0 für dich. Wobei es immer noch ein Unterschied ist männlich und ortskundig zu sein im Gegensatz zu weiblich und Tourist. Aber es ist wirklich nicht meine Absicht dich zu ängstigen, das kannst du mir glauben“
„Sagte der Fuchs zur Gans, kurz bevor er sie gefressen hatte“, beendete Isabella den Satz.
„Jetzt beleidigst du mich wirklich. Sehe ich für dich wirklich wie ein Verbrecher aus?“ er versuchte eine beleidigte Miene aufzusetzen, auch wenn ihm das nicht ganz gelang.
„Das hat nichts mit dem Aussehen zu tun. Würde man es jedem ansehen, wären schon alle weggesperrt, ehe etwas passieren würde.
„Gut 2:0 für dich, dennoch bleibe ich zu deinem Schutz bei dir, bis deine Cousine dich abholt. Vielleicht brauchst du noch meine Hilfe.“
„Na gut“, lenkte Isabella ein.
Die Reihen der Passagiere, die sich um das Gepäckband versammelt hatten, lichteten sich mittlerweile. Die meisten hatten ihre Koffer und verließen das Flughafengebäude. Nur Isabella und Mike standen noch in der Halle und Verzweiflung machte sich in Isabella breit. Ein einzelner Koffer drehte einsam seine Runden. Nur gehörte dieser Koffer nicht ihr! Panik stieg in Isabella auf. Das war das Letzte was ihr in dieser Situation noch fehlte! Sie konnte nur noch hoffen, dass Laura in der Ankunftshalle auf sie wartete. Doch realistisch betrachtet hatte sie keinerlei Hoffnung nach über 2 Stunden Verspätung, dass sie noch wartete. Warum auch? Sie wusste ja nichts von dem verpassten Anschlussflug. Ratlos und mit den Nerven am Ende stand Isabella da und sah Mike an, der scheinbar ungewollt doch ihre einzige Hilfe zu sein schien.
„Siehst du, so schlecht war es doch nicht, dass ich geblieben bin. Ich bin nämlich Spezialist im Abwickeln von verloren gegangenem Gepäck. Wenn du willst mache ich das für dich?“, bot er sich freiwillig an.
Sie wusste es hatte keinen Sinn das Angebot abzulehnen, es blieb ihr sowieso keine Alternative. Es war auch nicht unbedingt das Gefühl ihm ausgeliefert zu sein, was sie störte. Es störte sie viel mehr, dass sie ihn einfach nicht einschätzen konnte. Normalerweise fiel ihr es sehr leicht, Menschen einzuschätzen und sie konnte schon fast deren Gedanken lesen, wenn sie nur richtig konzentrierte. Doch bei ihm war es wie abgeschnitten. Sie wusste nicht ob er falsch spielte und gefährlich war oder einfach nur harmlos nett.
„Das wäre überaus nett von dir, wenn du das für mich erledigen könntest. Wie dir bereits schon aufgefallen sein dürfte, habe ich leichte Verständigungsprobleme. Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so provoziert habe. Aber es fällt mir ehrlich gesagt schwer dich einzuschätzen, was normal nicht der Fall ist. Hast du eine Idee, an was das liegen könnte?“
Mike war von ihrer Offenheit verblüfft und noch viel mehr verwundert von ihren Worten. Ihr ging es offenbar genau, wie ihm selbst auch. Er wurde aus ihr einfach nicht schlau, aber er kam auch nicht los von ihr. Es verwirrte ihn und trotzdem wäre er nie auf die Idee gekommen, ihr das auch noch einzugestehen. Sie war so völlig anders, wie alles, was er bisher kennengelernt hatte.
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