»Klar, ich hab ihm doch gesagt, was er zu tun hat.«, erwidert Erik.
»Ich glaube nicht, dass das reicht. Du musst ihm alle Schritte genau zeigen, welche Lappen und Wischtücher er wo einsetzen darf und vor allem regelmäßig kontrollieren. Diese Menschen leben in einfachen Hütten auf dem nackten Boden, wo einmal am Tag der Dreck mit einem Staubwedel vor die Tür gekehrt wird, wenn überhaupt. Ich empfehle Dir, dringend zurückzugehen.«, erläutert Wilfried.
Man soll einem alten Hasen lieber folgen, denkt sich Erik und steigt wieder aus. Als Erik das Haus betritt, sieht er, wie Shekar den Boden in der Küche mit einem Geschirrhandtuch aufwischt.
»No, this is for dish drying!«, erklärt Erik, worauf er ein unverständiges Lächeln erntet. Erik schaut sich um und findet das Bodentuch in einem Schrank. Vermutlich wollte Shekar nicht das neue Tuch schmutzig machen und das Geschirrhandtuch war ja augenscheinlich schon benutzt. Erik nimmt ihm das Geschirrhandtuch ab und wirft es in die Mülltonne neben der Spüle.
»This is for floor only!«, erklärt Erik, als er das Bodentuch an Shekar reicht. Gleichzeitig sucht er den Schrubber aus dem Besenschrank und gibt ihn an Shekar. Dieser schaut zunächst etwas irritiert, wie denn das zusammenpasst. Also nimmt Erik es selbst in die Hand, um es Shekar zu zeigen. Als er den Lappen in den Eimer taucht, stellt er fest, dass Shekar als Putzmittel wohl Eriks Duschgel verwendet hat. »O. K., selbst schuld«, sagt sich Erik, »hätte ich ahnen können.« Zunächst zeigt Erik seinem Hausboy, welches Putzmittel für den Boden zu nehmen ist, wie das mit dem Aufwischen geht und das man den Lappen von Zeit zu Zeit ausspülen muss. Nachdem der Küchenboden ausreichend gewischt wurde, geht es an den Abwasch. Erik zeigt also auf die Spüle. Shekar nimmt das Bodentuch und will gerade den Teller damit abwischen, als er von Erik gestoppt wird.
»I told you, this is for floor only!,« raunzt er etwas ungehalten und fordert Shekar mit Handzeichen auf, den Bodenlappen wieder in den Eimer zu legen. Shekar schaut ihn fragend an, woraufhin Erik ihm zeigt, wie das mit dem Abwaschen gehen soll. Dabei fuchtelt Erik mit vielen Gesten in der Luft herum und versucht, Shekar zu erklären, dass das Spülmittel nicht für den Boden oder sonstiges zu verwenden ist, sondern nur für den Abwasch. Auch Funktion und Anwendungsbereich des Geschirrhandtuches erklärt Erik eindrücklich.
Schließlich steht noch das Badezimmer aus. Das Auswischen ist kein Problem, da das ja schon geübt wurde. Dann soll noch das Klo, die Dusche und das Waschbecken gereinigt werden. Erik zeigt Shekar den Gebrauch der Klobürste, wobei er ihn gerade noch stoppen kann, als Shekar anschließend mit der Klobürste das Waschbecken putzen will.
»Verdammt, hätte nicht gedacht, dass Angestellte so viel Arbeit machen,« denkt sich Erik, als er Shekar zu erklären versucht, welche Putzmittel und welche Putztücher und Putzutensilien wo im Bad zu benutzen sind. Schließlich kommt Erik auf eine Idee, indem er die Putztücher farbig organisiert. In der Küche darf nur das gelbe Material oben benutzt werden und im Bad nur das blaue. Die Tücher dürfen auch nicht die Räume verlassen. Erik versucht, sich verständlich zu machen und nutzt dazu Hände und Füße mit etlichen Wiederholungen. Shekar antwortet auf alles mit »Aja.«, was vermutlich so viel heißt wie »O. K.«. Ob er das wirklich verstanden hat, kann Erik allerdings nicht erkennen.
Etwas erschöpft von der morgendlichen Lehrstunde in Sachen Hausputz beschließt Erik, dass es nun endlich Zeit ist, zur Baustelle zu fahren. Gleichzeitig nimmt er sich vor, die Leistung von Shekar durch regelmäßige Kontrollen zu überprüfen.
»Ich glaube, ich sollte das Geschirr vor Benutzung selbst noch mal spülen.«, überlegt sich Erik die Konsequenz seiner aktuellen Erfahrung, als er sich auf den Weg zum Campeingang macht.
Als Erik nun nach nur einer halben Stunde wieder vor die Tür tritt, bemerkt er, wie intensiv die Sonne nun deutlich vom Himmel brennt und das Leben mit ihren heißen Strahlen zu verbrennen sucht. Ihm fällt jetzt erst ein Strauch in seinem Vorgarten auf, der mit einer unzähligen Menge an hellrosa gefärbten Blüten übersät ist. Gleichzeitig sieht er, wie 4 oder 5 kleine Kolibris vor den Blüten in der Luft zu schweben scheinen. Diese exotische, wunderbare Schönheit vor seiner Tür überrascht Erik. Wie er später feststellen wird, öffnen sich jeden Morgen neue Blüten. Allerdings bereitet die Sonne dem ganzen schon nach wenigen Stunden ein Ende. Die Sonne ist so unbarmherzig, dass sie die feinen Blüten bis zum Mittag verbrannt hat. Danach hängen die Blüten nur noch schlaff herab, um bereits am Nachmittag auf den Boden zu fallen. Nur in diesen paar Stunden am Morgen können die Vögel den Nektar aus den Blüten naschen.
Am Tor wartet Mustapha mit dem Wagen auf Erik. Man kann das Kraftwerk vom Camp aus sehen, und Erik vermutet, dass er es locker in 15 Minuten zu Fuß erreichen könnte. Er überlegt daher kurz, ob er die Strecke nicht einfach einmal zu Fuß gehen soll, um sich die Umgebung und vor allem die Ansiedlung der Arbeiter rechts und links der Straße genauer anzusehen. Ein Europäer geht aber nicht zu Fuß und da Erik nicht weiß, ob er ohne weiteres als Fußgänger in das Kraftwerk kommt, verzichtet er auf diese Option und lässt sich auf der Rückbank des Ambassadors zur Baustelle fahren. Die Straße zwischen dem Camp und dem Kraftwerk ist asphaltiert. Auf jeder Seite findet sich ein über ein Meter tiefer und doppelt so breiter Graben. Erik vermutet, dass dies wohl mit den Regenfällen in der Monsunzeit zu tun haben könnte. »Für derartig große Gräben muss aber schon ordentlich was von oben kommen.«, überlegt sich Erik, als sie sich in Richtung zu dem Kraftwerk bewegen. Hinter dem Graben befindet sich noch ein etwa zwei Meter hoher Maschendrahtzaun, wobei nicht klar ist, wozu der gut sein soll. Hinter dem Maschendrahtzaun erstrecken sich rechts und links der Straße die Ansiedlungen der Arbeiter. Als Erik die Ausdehnung dieser Ansiedlung aus primitiven Hütten sieht, und damit, wie viele Menschen tatsächlich hier leben, ist er froh, in einem Auto zu sitzen. Es sind unzählige, kleine Hütten aus Stroh, Plastikplanen, teilweise aus Holz und allem, was irgendwie dienlich zu sein scheint. Keiner der Hütten würde wohl einen kräftigen Windstoß aushalten. Überall sieht er die Rauchsäulen von kleinen Feuern, vor denen Menschen hocken, die von einer Schar von Kindern umgeben sind und vermutlich das Frühstück zubereiten. Streunende Hunde lungern dazwischen und hoffen darauf, dass irgendetwas Essbares für sie abfällt. Ein kleiner, nackter Junge steht hinter dem Zaun vor einer Strohhütte und schreit so laut, dass Erik es trotz der Motorgeräusche deutlich hören kann. Der Grund: Seine Mutter wäscht ihn mit kaltem Wasser aus einem Topf ab, was ihm augenscheinlich hochgradig missfällt.
An dem Maschendrahtzaun neben der Straße hängen überall zerfetzte Lumpen. Es sieht aus, als hätte der Wind diese Stofffetzen dorthin geweht. Tatsächlich handelt es sich um die Habseligkeiten der Hüttenbewohner, die ihre Wäsche trocknen. Vereinzelt sind einige halb hohe Pflanzen oder Büsche zwischen den Hütten zu erkennen, hinter denen allerdings geduckte Gestalten hocken, die dort vermutlich ihre Morgentoilette verrichten. Es ist sicher nicht ratsam, außerhalb der Hauptwege spazieren zu gehen. Das gesamte Land ist vermutlich auf diese Art »vermint«. Das Areal, auf dem sich diese einfachen Hütten befinden, ist so groß, dass Erik nicht abschätzen kann, wie viele Menschen dort wohl leben. Vor allem schockiert ihn die Armut. Sie leben einfach auf dem nackten Boden. Einige der Hütten bestehen sogar nur aus ein paar Ästen, die mit einer Plastikplane überdeckt sind und so ein notdürftiges Dach darstellen. Es gibt kein Wasser, keinen Strom, keine Straßen. Erik überlegt, dass ein kräftiger Sturm alles komplett wegfegen würde, ohne dass danach erkennbar wäre, dass hier einmal so viele Menschen gelebt haben. Etwas beschämt stellt Erik fest, dass, egal welchen Unannehmlichkeiten er selbst bisher ausgesetzt war, alles von dem einfach nichts im Vergleich zu dem Elend ist, in dem diese Menschen leben. Und das gerade mal einen Steinwurf von seinem Haus entfernt! Etwas überrascht ihn jedoch. Egal wohin er schaut, sieht er fröhliche Gesichter und lachende Menschen. Es kommt ihm alles etwas surreal vor, als ob man diese Menschen künstlich mit einer Droge ruhiggestellt hat. »Vielleicht ist der Spruch von Karl Marx: »Religion ist Opium für das Volk« doch nicht so abwegig.«, überlegt sich Erik nachdenklich.
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