Erik zieht das Moskitonetz über seinem Bett zur Seite und geht zum Fenster. Als er die Vorhänge zur Seite zieht, sieht er nichts außer einer schwarzen Wand. Er hatte sich schon am Abend gewundert, wie schnell es so stockdunkel wird, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sieht. Es gibt hier auch keine Stadt, die der Umgebung etwas von ihrem Leuchten abgibt. Vor allem liegt es aber an der Nähe zum Äquator, wodurch es keine richtige Dämmerungszeit gibt. Wenn die Sonne am Horizont versinkt, ist es nach wenigen Minuten einfach nur noch finster. Ebenso schnell wird es dann allerdings auch wieder hell, wenn die Sonne am Horizont wieder auftaucht. Im Moment ist bei seinem Blick aus dem Fenster allerdings nichts zu erkennen.
Eriks erster Gang geht in die Küche, um die Kaffeemaschine anzuwerfen. Zum Glück werden die Wasservorräte zum Kochen in Plastikflaschen geliefert, die angeblich unter hygienischen Verhältnissen abgefüllt werden. Wilfried hatte nach Eriks Frage einen der Boys beauftragt, einen Karton mit Wasserflaschen zu ihm zu bringen, so dass zumindest der Kaffee jetzt besser schmecken sollte. In der Zeit, in der die Kaffeemaschine in der Küche diese schlürfenden Geräusche verursacht, das von baldigem, heißen, wohlriechenden Kaffee kündet, lässt Erik sich warmes Wasser über den Rücken laufen. Er genießt es, wie das Wasser den Staub und Schweiß davon trägt und der Strahl seinen Rücken massiert. Mit einem Mal wird das Wasser allerdings kalt, so dass von angenehm keine Rede mehr sein kann. Im ersten Moment überlegt Erik, dass die Heizung wohl kaputt ist. Doch dann dämmert es ihm langsam. Er hatte am Tag zuvor zwar die schwarzen Tonnen auf den Dächern der Häuser gesehen, sich aber nichts dabei gedacht. Das Wasser wird durch die Sonne erwärmt. Wenn der Tank leer ist, dann muss man wieder warten, bis die Sonne scheint.
»Ich muss mir wohl mal wieder die Stoppeln aus dem Gesicht kratzen.«, sagt sich Erik, als er sich im Spiegel sieht. Seine Kollegen hatten ihm in Deutschland zur Nassrasur geraten, da dies auch ohne Strom geht. Das Waschbecken präsentiert ihm allerdings nur einen Wasserhahn für auf und zu. »Also kein warmes Wasser,« seufzt Erik, der keine guten Erfahrungen bei einer Rasur mit kaltem Wasser gemacht hatte. Also beschließt er etwas Wasser auf dem Herd aufzuwärmen. Er erwärmt das Wasser nur gerade so viel, dass es lauwarm ist und er endlich das Projekt Rasur in Angriff nehmen kann. Etwas besser gelaunt zieht Erik anschließend seinen Bademantel an und holt sich eine Tasse Kaffee. So bewaffnet geht er vor das Haus. Es ist noch immer dunkel, aber die Morgendämmerung beginnt gerade, das Land aus dem Schlaf zu holen. Auf den Feldern der Umgebung sieht er kleine flackernde Feuer, so dass die Luft mit dem Geruch von Rauch durchsetzt ist. Es ist angenehm warm, obwohl es eine sternklare Nacht war. Erik sieht, dass der Boden in seinem Vorgarten diese typischen Risse von knochentrockener Erde aufzeigt. Da es nicht regnet und die Hitze alles Wasser aufsaugt, müssen die Pflanzen in seinem Vorgarten im Sommer wohl jeden Morgen gegossen werden. Schließlich findet Erik einen Schlauch, der wie eine Schlange in seinem Vorgarten herumliegt. Er geht an den Wasserhahn und dreht ihn auf. Sofort erwacht die Schlange zum Leben. Leider ist es nur ein Schlauch ohne Ventil, so dass Erik sich abmüht, in einer Hand seinen Kaffee zu halten und mit der anderen das Schlauchende so zusammenzukneifen, dass er etwas weiter sprühen kann. Er hat den Eindruck, dass es wie ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Wenige Sekunden, nachdem er eine Fläche besprüht hat, scheint sie schon wieder zu trocknen. Schließlich legt er den Schlauch einfach auf den Boden, so dass eine Pfütze vor ihm entsteht, die langsam immer größer wird. »Vielleicht ist es die einzig richtige Methode der Bewässerung,« überlegt Erik, »den ganzen Garten einfach unter Wasser setzen.«
Der Himmel verfärbt sich im Osten langsam, wobei ein schmaler, gelber Streifen die Sonne ankündigt. Die ersten Vögel sind wach und wecken durch ihre kurzen Rufe ihre Kameraden. Von den Lagern der indischen Wanderarbeiter am Rande der Straße hört er das Plärren eines Radios, das sich mit den Rauchschwaden der Lagerfeuer verwebt. Erik genießt die friedliche Ruhe am Morgen vor seinem Haus. Es ist noch alles verschlafen, friedlich und irgendwie sanft und angenehm. In diesem Moment steigt die Sonne über den Horizont und hüllt das Land augenblicklich in einen gelben Schein, der lange Schatten wirft. Die Rauchschwaden über den Feldern sind nun als Rauchsäulen deutlich zu erkennen und scheinen nahezu senkrecht nach oben zu steigen, da so gut wie keine Luftbewegung zu spüren ist. Erik wundert sich, wie schnell sich die Situation ändert. Nur wenige Minuten später steht die Sonne vollständig am Himmel und die Wärme ist deutlich zu spüren, obwohl sie nur knapp über dem Horizont steht. Sie scheint irgendwie aggressiv und unbarmherzig auf das Land, so als wolle sie alles Leben verbrennen, das sich nicht vor ihr versteckt. So lebendig alles in diesen ersten Minuten noch war, so lethargisch wird alles, sobald die Hitze den Raum erobert. Es wird zu einer Friedhofsruhe, die lähmend über dieser Welt liegt. Nur eine kurze Zeit in der Morgendämmerung sind das Leben und das Klima angenehm.
»Hello, Sir!«, ruft ihm ein Inder auf einem Fahrrad zu, der auf der Straße hinter dem Zaun vor seinem Haus vorbei radelt. Erik hat ihn nicht erkannt, vermutet aber, dass es sein neuer Hausboy Shekar sein könnte. Er muss um die ganze Kolonie herumfahren, da es nur den einen Eingang gibt, der von dem Wachmann mit Argusaugen bewacht wird. Erik geht ins Haus und zieht sich an. Nach Frühstück ist ihm nicht zumute, weil sein Magen irgendwie noch schläft. Der Kaffee reicht ihm im Moment völlig aus.
Gerade als er fertig ist, klopft es an der Tür und Shekar steht lächelnd davor. Für die Erledigung der Hausarbeiten bekommt Shekar im Monat umgerechnet 12 Euro. Das ist ein einheitlicher Satz, der allen Hausboys bezahlt wird, um Streit zu vermeiden. Erik hat sich erklären lassen, dass das für hiesige Verhältnisse ein Spitzenverdienst ist. Shekar ist nicht älter als vielleicht 17, hat eine kohlrabenschwarze Hautfarbe, kurze Haare und immer ein Lächeln aufgesetzt. Erik fragt sich, wie wohl die Arbeit mit ihm klappen wird.
Zuerst geht er mit Shekar in die Küche und zeigt Erik den Abwasch, der nur aus zwei Kaffeetassen und einem Teller besteht. Der Abwasch ist also recht überschaubar. Erik blickt Shekar nach der Aufforderung an. Shekar nickt, so dass Erik davon ausgeht, dass er die Aufgabe verstanden hat. Anschließend zeigt Erik auf den Boden und den Wischeimer, der in der Ecke hinter der Tür steht, Shekar nickt wieder und Erik geht mit ihm zufrieden ins Bad. Hier macht Erik eine umfassende Bewegung, die Shekar wieder mit einem Nicken quittiert. »Das ist doch ganz angenehm. Shekar wird jetzt täglich ausfegen, wischen, das Bad putzen und das Geschirr abspülen.«, überlegt sich Erik und fühlt sich dabei als kleiner Maharadscha mit eigenen Bediensteten.
Kurz vor sieben Uhr verabschiedet sich Erik von Shekar und tritt aus dem Haus. In seinem Garten hat sich eine kleine Seenlandschaft gebildet, da Erik den Schlauch ganz vergessen hatte. Er dreht den Wasserhahn ab und geht gemütlich zum Haupteingang des Camps. Dort sammelt sich langsam ein kleines Häuflein müder Zeitgenossen, um zur Baustelle zu fahren. So stehen schließlich mit Erik sechs Kollegen am Eingang und warten auf ein Fahrzeug. »Haben wir nur ein Fahrzeug?« wendet sich Erik an seinen nächsten Nachbarn. »Der Jeep ist im Augenblick in der Werkstatt. Der Bus ist in Kota, um jemanden abzuholen. Der Graue hat einen platten Reifen, wobei er auf ein Fahrzeug neben dem Eingang zeigt, und der Weiße ist mit der ersten Gruppe unterwegs.«, erfährt er in einer müden Tonlage. Da alle der Anwesenden irgendwie müde und lustlos aussehen, beschließt Erik, dass er besser keine weiteren Fragen stellt. Nach einigen Minuten des schweigenden Wartens kommt der weiße Ambassador angerauscht. Da es so gut wie keinen Verkehr gibt, hört man den Motor schon von weitem. Alle sechs zwängen sich wie eine typisch indische Besatzung zuzüglich Fahrer in das Fahrzeug. Erik erkennt Mustapha als Fahrer, der ein immer breiteres Grinsen bekommt, als er sieht, wie alle versuchen, irgendwie in dem Fahrzeug Platz zu finden. Auch Wilfried ist dabei. Erst als sie im Wagen direkt nebeneinander sitzen, schaut er Erik verdutzt an und fragt: »Bist Du mit dem Hausboy schon fertig?«
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