»Das wird wohl der erste Job für meinen Putzboy!«, beschließt Erik bei dem recht trüben Ausblick. Die Einrichtung ist äußerst spärlich, aber brauchbar. Die Wände haben keine Tapeten und sind stattdessen mit einer hellgelben Farbe direkt auf den Putz gestrichen. Für die Gebäude war eine indische Baugesellschaft zuständig. Um Kosten zu sparen, wurden die Möbel in einer lokalen Tischlerei mit der Hand hergestellt. Die teilweise grobe Handarbeit ist den Möbeln deutlich anzusehen. Für die lokalen Verhältnisse handelt es sich aber sicher um Luxusobjekte, die nur wenige Inder in ihren Häusern haben dürften. Leider ist bei der Herstellung nur begrenzt auf Qualität geachtet worden. Trotzdem die Gebäude gemauert wurden, haben sich schon nach wenigen Wochen die ersten Risse gebildet. Der Putz bröckelt an vielen Stellen von der Wand. Erik kann auf dem Boden einige Reste entdecken, so dass der Putz einem wohl auch regelmäßig auf den Kopf fallen dürfte. Das Bad ist ebenfalls indischer Standard. Ein etwa 10 qm großer Raum mit einem winzigen Waschbecken und einer Dusche, die gleichzeitig die Toilette beregnet.
Erik zieht seinen Koffer ins Schlafzimmer und sieht, dass auch das Bett mit einem Moskitonetz versehen ist. Jeder Raum verfügt über eine in die Wand eingelassene Klimaanlage. Diese funktioniert wie ein Kühlschrank, wobei sich der Wärmetauscher außerhalb des Hauses befindet und der innere Teil eine deutlich kühlere Luft in das Zimmer bläst. Sowohl der kalte Luftstrom als auch der Lärm im Betrieb empfindet Erik als störend, so dass er die Klimaanlage zunächst abschaltet. Als erstes verstaut er dann seine mitgebrachten Lebensmittel und sortiert anschießend die Wäsche in den Schrank. Schließlich setzt er sich auf das Bett, wippt einmal kurz und legt sich dann probeweise hin.
»Na ja, Luxus buchstabiert sich sicher anders, aber für drei Wochen sollte es wohl reichen.«, sinniert Erik.
Episodenhaft erscheinen einzelne Szenen seiner Reise vor seinen Augen, so dass er nicht bemerkt, wie er einschläft. Eine halbe Stunde später wacht Erik völlig verschwitzt wieder auf. An einen erholsamen Schlaf ist nicht zu denken. Es ist einfach zu heiß. Da erst bemerkt Erik die Ruhe. Die Klimaanlage in den anderen Zimmern läuft auch nicht mehr. Das Licht geht auch nicht.
»Dann haben wir wohl einen Stromausfall.!« stellt Erik fest. Um etwas frischer zu werden, beschließt Erik, zu duschen. Er dreht den Hahn auf, woraufhin ein kurzer Wasserstrahl herausschießt, aber augenblicklich mit einem gurgelnden Röcheln versiegt. Ohne Strom gibt es wohl auch kein Wasser, stellt Erik fest. In der Ecke stehen mehrere große Kübel und Wannen im Bad. Langsam dämmert Erik, dass Stromausfälle wohl öfters passieren und die Behälter dazu dienen, Wasser zu sammeln. Auch die nächste Idee, sich einen Kaffee zu kochen, muss Erik wieder verwerfen. Ohne Strom läuft auch keine Kaffeemaschine. Erik wird langsam bewusst, wie anfällig die Welt ist, in der er in Europa lebt. Ohne Strom würde in einer technisierten Welt alles zusammenbrechen. Mit einem Mal wird Elektrizität, die in Europa als Selbstverständlichkeit gilt, ein echter Luxus. Wie Erik so dasteht und darüber grübelt, dass in Europa der Strom fast genauso dringend benötigt wird, wie die Luft zum Atmen, startet mit einem lauten Rattern plötzlich wieder die Klimaanlage, um gleich darauf aber wieder den Dienst zu quittieren. Kurz darauf springt sie wieder an. Erik wartet darauf, dass sie wieder ausfällt, doch sie läuft diesmal weiter. Erleichtert geht Erik in die Küche, um die Kaffeemaschine zu bedienen. Als er den Wasserhahn in der Küche öffnet, läuft eine braune Brühe in den Behälter, die Erik etwas angewidert sofort wieder ausschüttet und den Wasserhahn laufen lässt. Es dauert eine Weile, bis das Wasser halbwegs klar aussieht. Tatsächlich ist es nicht wirklich klar, sondern zeigt immer noch eine leicht bräunliche Farbe. Er erinnert sich, dass Wilfried ihm erzählt hat, dass das Camp einen eigenen Tiefbrunnen hat. Es ist also das Wasser, was direkt aus der Erde kommt und daher mit allen möglichen Mineralien gesättigt ist. Als er den Eindruck hat, dass es nicht mehr besser wird, füllt er den Behälter der Kaffeemaschine und steigt dann unter die Dusche. Im Anschluss beschließt er, zwei Plastikwannen mit Wasser zu befüllen um dem nächsten Stromausfall nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Wenn man dann eingeseift unter der Dusche steht, ist das ziemlich unangenehm ohne Wasser. Als er dann aber den steigenden Wasserspiegel in der weißen Wanne beobachtet, kann er auch hier deutlich die braune Färbung des Wassers erkennen.
Etwas misstrauisch füllt er anschließend in der Küche eine Tasse mit dem frischen Kaffee. Als erstes versucht er, am Geruch zu erkennen, ob sich eine Auffälligkeit zeigt. Unentschlossen, ob er einen Schluck wagen soll oder nicht steht er einen Augenblick mitten im Raum, um schließlich seine Widerstände zu überwinden. Zum einen lockt ihn der Kaffeeduft und zum anderen ist das Wasser ja gekocht, beruhigt er seine innere, warnende Stimme. So richtig schmeckt ihm der Kaffee aber nicht, so dass er beschließt, es bei einer Tasse zu belassen. Erik überlegt sich, dass er eigentlich noch keine Ahnung hat, wie die Abläufe im Camp und bei der Arbeit sind. Gerade als er beschließt, vorzulaufen und Willy danach zu fragen, klopft es an der Tür. Als er öffnet, stehen drei junge Inder vor seiner Tür, die der Wachmann vom Gate begleitet hat und nun im Hintergrund wartet. Sie wurden wohl von Wilfried ausgesucht und bewerben sich um den Job als Hausboy. Fremde Inder dürfen wohl nicht so einfach im Camp herumlaufen, weshalb der Aufpasser vom Gate sie begleitet.
»Good Morning. What is your name?«, fragt Erik den Ersten.
Er lächelt Erik freundlich an, antwortet aber nicht.
»What is your Name.«, fragt Erik den Zweiten.
»My name is Kumar, Sir.«, antwortet dieser laut und aufgeregt.
Also, der hat mich zumindest verstanden überlegt Erik.
»And you?«, wendet er sich an den Dritten.
»My name is Shekar. Please Sir, read this.«, wobei der Dritte ein Schreiben entgegenhält und einen deutlich ruhigeren Eindruck vermittelt.
Erik sieht das Logo der Firma Siemens auf dem Papier. Er kann sich ein Lachen kaum verkneifen, als er den Text liest. Auf dem offiziellen Briefpapier kann er lesen, dass der Besitzer dieses Schreibens das Recht hat, bei Regen einen Regenschirm und Gummistiefel zu tragen. Das Ganze sieht hochoffiziell aus, mit Stempel und Unterschrift. Entsprechend stolz ist Shekar auf das Dokument. Erik kann sich ein Schmunzeln kaum verkneifen. Er hat davon gehört, dass Monteure sich im Ausland derartige Scherze mit den Einheimischen erlauben. Gleichzeitig überlegt er aber, dass der junge Mann vermutlich einige Zeit in den Diensten eines Europäers gestanden haben muss, wenn er ihm am Schluss solch ein Dokument ausstellt. So ist er zumindest mit der grundsätzlichen europäischen Mentalität vertraut. Aufgrund der vorliegenden Referenzen beschließt Erik, Shekar einzustellen.
Erik wendet sich also an Shekar, fordert ihn auf, mit in das Haus zu kommen und bedankt sich bei den anderen Indern, die ihn weiterhin anlächeln. Erik erklärt Shekar, dass er jeden Morgen kommen soll, die Wohnung fegen, das Bad reinigen und einmal durchwischen. Bei allen Erklärungen wackelt Shekar mit dem Kopf, wobei nicht klar ist, ob er den Sinn der Erklärung verstanden hat, oder ob das Wackeln lediglich zeigt, dass er gar nichts verstanden hat. Erik beschließt, dass er Shekars Arbeit im Zweifel auch noch später optimieren kann und entlässt ihn für heute. Als er wieder die Tür öffnet, stehen immer noch der Aufpasser und die zwei anderen Kollegen davor. Erik hatte erwartet, dass sie mittlerweile von alleine gegangen sind, doch anscheinend warten sie auf eindeutige Ansagen. Nun erklärt Erik dem Wachmann, dass Shekar eingestellt ist und morgen früh kommen soll.
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