Unsre Reise neigt sich allmählich seinem Ende zu. Am Sonnabend den 24. November verlassen wir in Shanghai die „PRINZ-REGENT LUITPOLD“ und wenn ich nach Tsingtau komme, steige ich auf einen kleineren Dampfer, der uns in 36 Stunden an unser Ziel bringt. Allenthalben macht sich ein Gefühl von Langeweile, ja Faulheit, bemerkbar, und jeder sehnt sich danach, wieder in einen geregelten Betrieb hineinzukommen. In Tsingtau treffe ich mehrere sehr intime Kameraden, die dort ebenfalls an Bord sind. Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen mit ihnen.
… Wenn Du den seidenen Kragen aus Genua und das Spitzentaschentuch aus Port Said erhalten hast, teile es mir doch bitte kurz mit… …sage ich… für heute adieu, lebe wohl bis morgen…
20.11.1906
…Nach einer sehr unruhigen Nacht, war ich heute Morgen froh, aufstehen zu können... Das Wetter hat sich sehr verschlechtert, und es steht eine See, wie ich sie nur wenige Male gesehen habe. Das Schiff rollt, stampft, dass es einen Hund jammert. Es scheint so, als ob sich der gewaltige Meeresgott Neptun noch einmal von seiner unangenehmsten Seite zeigen wollte, damit wir nur nicht die Achtung vor seiner Gewalt verlieren könnten. Der Erfolg ist daher auch dem Beherrscher aller Meere sicher. Er spielt mit dem Schiff, wie ein Kind mit einem Ball. Kaum sollte man annehmen, dass ein derartig großer Dampfer so leicht hin und her geworfen werden kann. Da kommt mir wieder unser altes Marine-Spruch-Wort in den Sinn: „Die Seefahrt ist nur für die Dummen!“ Nachts wird man in der Koje (Bett) herumgeworfen, dass man nicht einen Augenblick zur Ruhe kommt. Am Tage kann man sich knapp auf den Beinen halten. Fast möchte ich streiken. Wenn ich mich auch körperlich sehr wohl fühle, so passt mir diese Unbequemlichkeit an Bord eines in schwerer See befindlichen Schiffes auf die Dauer doch ganz und gar nicht. Ich bin nur froh, dass mein Torpedoboot S 90 nur sehr wenig und auch nur bei gutem Wetter zur See fährt, sonst aber immer im schützenden Hafen liegt. Du kannst also deshalb ganz beruhigt sein... Bei allen Unannehmlichkeiten der heutigen Fahrt muss man doch staunen und sich bewundernd über die Riesengewalt der aufgeregten See freuen. Kaum beschreiblich sind die haushohen Wogen mit ihren weißen Schaumkronen, ab und zu bricht eine allzu hohe See über das Schiff ein und erfüllt alles mit seinen Wassermassen, ohne Erbarmen jedes Hindernis mit sich fortreißend. Ganz natürlich ist es, dass das Schiff an Schnelligkeit einbüßt und nur in der Stunde 18 – 19 km, anstatt 26 – 27 km, zurücklegt. Daher kommen wir erst morgen Abend, statt morgen früh, nach Hongkong. Mein Bedarf an schwerer See ist nun vollauf gedeckt, und ich sehne mich wieder nach einer ruhigen Seefahrt. Eben legte sich das Schiff derartig nach einer Seite über, dass ich mich nur mühsam auf dem Sofa halten konnte und viel Geschirr pp. klirrend in Scherben zu Boden fiel. Ja, …das sind die Freuden der Seefahrt, das Barometer macht Miene, wieder steigen, und es ist daher Hoffnung vorhanden, dass das Wetter besser wird. – Die verlobte Dame steigt in Hongkong aus, wo sie von ihrem Verlobten erwartet wird und sofort getraut wird. Das schlechte Wetter, zerbrochenes Geschirr usw. ersetzen ihr den Polterabend. Das Schreiben wird mir heute so schwer gemacht, dass ich Dir Adieu sagen muss, lebe wohl bis morgen…
21.11.1906
Einen herzlichen Morgengruß... Wie ich gestern vermutete, hat sich das Wetter etwas gebessert, so dass die Gefahr, aus dem Bett zu fliegen, nicht mehr so groß ist, wie vorher. Hierzu kommt, dass es bedeutend kühler geworden ist, so dass auch hierin eine Besserung zu verzeichnen ist. Immerhin macht das Schiff aber noch ziemlich bedeutende Bewegungen, so dass die Seekrankheit nach wie vor an Bord das Zepter führt. Denke Dir, Liebling, heute früh 7 Uhr erwachte ich aus einem Traum, der mich zu Dir geführt hatte… Ganz ärgerlich wurde ich, als mich der Bordsteward weckte, mich aus dem schönsten Träumen riss, um mir das Bad „klar“ zu melden...
Gestern Nachmittag hatten wir, wie alltäglich, von 4 – 5 Uhr Konzert von unsrer Bordkapelle; das Programm hierzu hatte Fräulein Iffland, die Braut, ausgesucht. Als erstes wurde das Brautlied aus Tannhäuser gespielt. Hierbei wurde mir doch so weh und doch so freudig ums Herz! Ich musste mich zusammenreißen, und sinnlich zerdrückte ich eine Träne... Überhaupt habe ich schon an mir selbst die Beobachtung gemacht, dass ich viel sentimentaler geworden bin, für äußere Eindrücke mehr zugänglich, ja oft sogar schwärmerisch veranlagt...
Heute am Buß- und Bettag wird jedermann etwas weicher gestimmt und gibt sich gern dem Träumen und Sinnen hin. – Morgen – Donnerstag – sind wir schon sieben Wochen verlobt, und ich bin sechs Wochen von Hause fort, das ist der 20. Teil meiner ganzen Reise. Sieh nur wie die Zeit mit Windeseile vergeht, und mir ist zu Mute, als hätte ich erst gestern von Dir Abschied genommen. So vergeht der übrige Teil meiner Auslandszeit auch, und wir haben uns wieder, unzertrennt für immer. Darum immer guten Mut. – Ehe ich heute diesen Brief schließe, soll ich Dir unbekannterweise von Fräulein Iffland recht herzliche Grüße bestellen. Heute holt sie ihr Verlobter ab, um sich mit ihr für das Leben zu vereinen. Gestern Abend tranken wir (der Oberassistenzarzt, welcher auf den Bildern häufig vertreten ist, und ich) auf ihr Wohl, und wünschten ihr recht viel Glück in der Ehe, auch haben wir natürlich auf Dein Wohl getrunken, und wie sich das in solchem Falle gehört, nur mit einem edlen Stoff, Heidsieck-Monopol. Nun darfst Du aber nicht etwa glauben, dass ich verschwenderisch lebe, aber ich bekomme zu Getränken pp. für den Tag 4,50 Mark neben meinem Gehalt, da kann man sich schon hin und wieder ein „Pülleken“ leisten, damit ich auf Dein Wohl trinken kann. – Nun muss ich bald meine Sachen wieder packen, und am Schluss der Reise kommt auch die Trinkgeldfrage (für die Stewards) in Betracht. Was meinst Du, wie viel Trinkgeld man nach einer solchen Reise geben muss? Halte Dich aber fest, nun – rund – 75 Mark, sage und schreibe fünf und siebzig Mark. Dieses ist der übliche Satz, den jeder Passagier I. Klasse gibt, sonst wird man schief angesehen. Hinzu kommen noch etwa 50 – 60 Mark für Wäsche (die Preise sind natürlich höher, als in Deutschland), also immerhin ist eine solche Reise eben mit Kosten verknüpft, selbst wenn man sie dienstlich machen muss. Die Überfahrt kostet abzüglich 20% für Vergütung, welche dem Fiskus gewährt werden, 1.070 Mark für einen Passagier I. Klasse (1.335 Mark ohne Abzug für Zivilpassagiere). Dies wollte ich nur zu Deiner Belehrung hinzufügen. – In Hongkong kann ich hoffentlich wieder ein Andenken für Dich kaufen. Von Shanghai mehr. – Lebe wohl…
Briefnummer 12 – transkribiert von Bernd Liebig
Hongkong – Shanghai, 23. November 1906
…Dieses ist der letzte Brief von Bord des Postdampfers; ganz zufällig ist hiermit auch das Dutzend voll. Meine letzten drei Briefe, 9, 10, 11, wirst Du vielleicht am selben Tage bekommen, denn 9. und 10. gehen mit demselben westlich (über Italien), und 11. geht über Nord-Amerika (Japan – Vancouver – New York). Zufällig trafen wir in Hongkong noch den amerikanischen Postdampfer, der unsre Post mitgenommen hat. Du siehst, dass die gesamte Weltpost sich bemüht, Dir, mein Lieb meine Briefe zu überbringen. Die nächsten Briefe an Dich expediere ich eigenhändig mit unsrer Marine-Schiffspost, stempele sie selbst ab, damit sie nur sicher ankommen.
Nun erst´ mal etwas von Hongkong. Wir kamen am 21. Nachmittags hier an; wie Du vielleicht in den Zeitungen gelesen hast, herrschte im Hafen von Hongkong, der rings von hohen Bergen eingeschlossen ist, ein Taifun (Orkan), wie er seit Menschengedenken nicht wiedergekehrt war. Allenthalben sieht man die furchtbaren Spuren dieses Ereignisses vom 12. September diesen Jahres. Gestrandete Schiffe liegen überall, alles Lebende mit sich in den Grund reißend. Ein französisches Torpedoboot liegt gestrandet auf dem Land, ebenso ein englischer Kreuzer. Kaum zu beschreiben war die Gewalt des Taifuns, der ganz plötzlich kam, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. 20.000 Menschen, alles Chinesen bis auf 18 Europäer, ertranken im inneren Hafen. Große Landungsbrücken, Piers und sonstige Anlagen, Gebäude wurden leicht fortgerissen und rissen alles, was ihnen begegnete, in den Grund. Jedoch kannst Du nur ganz beruhigt sein. Ich komme mit meinem Boot S 90 nicht in Taifungegenden. Meine Hauptliegehäfen Shanghai und Tsingtau sind so geschützt, dass ein Taifun nicht entstehen kann.
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